Das Palmöl aus der verbrannten Erde
Man findet es in Schokoriegeln, Bratensoße und Lippenstift: Palmöl. Eine kaum zu bremsende Nachfrage nach dem billigen Verbrauchsprodukt kostet die Welt mehr, als sie sich leisten kann.
Dieser Schuss ging daneben. Statt die Orang-Utan-Mutter zu treffen, dringt der Betäubungspfeil aus dem Blasrohr ihrem Baby in den Oberschenkel. Hoch in der Krone des Urwaldbaumes klammern sich beide Tiere an die Äste, mehr verärgert über die Störung als verängstigt. Eine Minute später, und das Baby fällt vom Baum – direkt in ein Tuch, das fünf Retter bereithalten. Während der Schütze das Blasrohr auf die Mutter anlegt, wird das Jungtier untersucht. „Es ist etwa zwei Jahre alt“, meint der Veterinär, „alles okay.“Dann fällt auch die Mutter. „Es wird fünf Stunden dauern, bis die beiden wieder auf den Beinen sind“, sagt Panut Hadisiswoyo, Gründer und Vorsitzender des Orangutan Information Centre (OIC). Der Mittvierziger trägt eine Chirurgenmaske: Orang-Utans sind anfällig für fast alle Infektionskrankheiten, die von Menschen übertragen werden können.
Entreißen aus der Natur
Gut 30 Orang-Utans retten Hadisiswoyo und 60 Helfer pro Jahr. „Wir entreißen sie nicht gerne der Natur“, erklärt der Aktivist. „Aber es ist die einzige Möglichkeit, Orang-Utans zu retten.“Hadisiswoyo und sein Team stehen in einer Plantage von Ölpalmen, rund drei Stunden nördlich der Stadt Medan auf der indonesischen Insel Sumatra. Die Affenmutter und ihr Kind haben sich aus dem Dickicht des benachbarten Urwalds in die Anlage verirrt. Eine potenziell tödliche Situation. Für die Bauern der Umgebung seien die Tiere „wertlose Schädlinge“.
Erwachsene Affen „werden einfach abgeknallt, niedergestochen, verbrannt“. Babys dagegen könnten die Bauern verkaufen. Etwa 350 Euro würden sie für eines erhalten, sagt Hadisiswoyo. Ein Vermögen in dieser Gegend, wo arme Familien von 200 Euro im Jahr lebten. Die meisten der gewilderten Tiere würden aber in den Gärten wohlhabender Indonesier dahinvegetieren, sagt Hadisiswoyo,
Sumatra-Orang-Utans (Pongo abelii) sind akut vom Aussterben bedroht: Nur noch etwa 7500 Tiere leben in Freiheit, vorwiegend im Leuser-Ökosystem, einem von der Unesco zum Weltnaturerbe erklärten Urwaldgebiet im Zentrum von Sumatra. Mit 2,6 Millionen Hektar ist es die letzte Region auf dem Globus, wo man Menschenaffen, Elefanten, Tiger und Großwild auf vergleichsweise kleinem Raum sehen kann. Wie Metastasen eines Krebstumors fressen sich die Plantagen tief in den Re- genwald, in Gebiete, die jahrtausendelang kaum von Menschenhand berührt worden waren.
Die Affenretter haben die Tiere in einer speziell gebauten Kiste gesichert und diese auf der Ladefläche eines Allradfahrzeugs fixiert. Dann geht die Fahrt los zurück in die Wildnis. Zum Ort, wo die Affen ausgesetzt werden sollen. Kilometer um Kilometer Ölpalmen auf beiden Seiten der Straße, wo noch vor wenigen Jahren unberührter Regenwald stand. Als Zierpflanze eingeführt aus Afrika, haben sich die Palme (Elaeis gui- neensis) und ihr Produkt für Indonesien und Malaysia zu einem Goldesel entwickelt. Die beiden Länder produzieren 85 Prozent des weltweit konsumierten Palmöls, Indonesien ist Weltmarktführer. Die Palme gedeiht hervorragend im tropischen Klima, ihre Frucht lässt sich mit geringem Arbeitsaufwand ernten und verarbeiten. Das Endprodukt ist weitaus billiger als vergleichbare Öle.
Laut Bloomberg verdoppelte sich der weltweite Konsum von Palmöl seit 2000 auf jährlich 7,7 Kilogramm pro Person. Es ist überall: in Pizzateig, Schokoriegeln oder Brotaufstrichen. Auch in Kosmetikartikeln und Pharmazeutika werden die Fettsäuren verwendet. Einen Aufstieg hatte das Öl als „Biotreibstoff“, als vermeintlich umweltfreundliche Al- ternative zu Benzin und Diesel. Eine Studie der Rainforest Foundation Norway (RFN) kommt zu dem Schluss, Treibstoffe aus Palmöl seien wegen des Herstellungsprozesses „schädlicher als fossile Brennstoffe“. Oslo verbot bereits die Treibstoffe in Regierungsfahrzeugen.
Im Quarantänezentrum des Sumatran Orangutan Conservation Programme (SOCP) im Hinterland von Medan werden Tiere gehalten, die nach ihrer Rettung nicht sofort in die Wildnis entlassen werden können. Die von Ian Sing- leton geführte Anlage wurde von der Schweizer Organisation PanEco ins Leben gerufen. Dutzende Tiere hausen in großen Stahlkäfigen, mitten im Urwald. Die genaue Lage der Station ist geheim. „Besucher könnten Krankheiten einschleppen“, sagt Singleton. Selten gebe es eine Ausnahme. Das einzigartige Leuser-Ökosystem brauche jede erdenkliche Hilfe, „denn was hier abläuft, ist ein Holocaust an der Natur“. Palmöl sei ein Produkt der verbrannten Erde. „Farmer und Firmen roden erst den Urwald. Dann verbrennen sie alles. Der vor der Zerstörung biologisch vielfältige Boden ist danach buchstäblich steril. Es gibt keine Lebewesen mehr“. Auf Sumatra konzentriert sich die Industrie auf die ausgedehnten Torflandschaften im Unterland des sonst gebirgigen Leuser-Systems. Genau dort, wo die Menschenaffen leben.
Illegale Plantagen
Hadisiswoyo wechselt sein T-Shirt. „Man darf mich nicht erkennen“, flüstert der Aktivist, als er aus dem Urwald in eine riesige Lichtung tritt, mehrere Hundert Hektar mit Gartenbeeten. Gemüse, Früchte, Bananen und Orangen – dazwischen mit Stroh bedeckte Hütten. „Alles illegal“, erklärt er. Bagger hätten „alles abgeholzt. Dann wurden Ölpalmen gepflanzt und Gärten angelegt.“Hunderte von Hektar Urwald pro Jahr würden auf diese Art und Weise fallen.
Neben der Rettung von OranUtans identifizieren Hadisiswoyo und seine Mitarbeiter illegale Plantagen sowie „gestohlenes Land, das gerodet wurde und auf dem die Bauern dann Gärten anlegen“. Hadisiswoyo zwingt die Landbesetzer, die Grundstücke aufzugeben. Sie könnten noch eine gewisse Zeit bleiben und ihre Feldfrüchte ernten, solange sie sich verpflichten, danach zu verschwinden. Dann wird das Gebiet mit Urwaldvegetation bepflanzt. „Der Urwald kommt zurück. Die Natur holt sich, was ihr gehört.“
Das Rettungsteam ist am Ziel, eine Lichtung am Rande des Dschungels. Als Hadisiswoyo die Türe der Kiste öffnet, klettert das Muttertier in Sekundenschnelle auf einen Baum.