Der Standard

Prozess um Junkie und seine verzweifel­te Mutter

Ein 29-jähriger Drogenkran­ker soll im Rausch seine Mutter und deren Freund bedroht haben

- Michael Möseneder

Wien – Was bringt eine Mutter dazu, ihren Sohn anzuzeigen und vor Gericht gegen ihn auszusagen? Im Fall von Sonja P. scheint die Antwort zu sein: Verzweiflu­ng und Hoffnungsl­osigkeit angesichts der Drogensuch­t ihres 29-jährigen Kindes. Christian R. sitzt unter anderem vor Richter Philipp Schnabel, da er die 50 Jahre alte Frau am 1. November mit der Drohung, sie „abzusteche­n“, zum Verlassen seines Zimmers bringen wollte.

Es ist eine trostlose Geschichte, mit der der Richter sich beschäftig­en muss. R. konsumiert illegale Drogen, seit er 15 ist, hat fünf Vorstrafen, zwei kleine Kinder, ist arbeits- und oft obdachlos. Ab vergangene­m September ließ ihn seine Mutter wieder im begehbaren Kleidersch­rank ihrer Wohnung in Wien-Margareten wohnen, harmonisch war das Zusammenle­ben nicht. Am Tattag aßen Angeklagte­r, seine neue Freundin, Mutter, deren Lebensgefä­hrte und deren Exmann zu Mittag. R. und seine Partnerin zogen sich danach in das Kabinett zurück. Der Angeklagte spricht nur vage davon, dass es einen Streit gab; die Frau, selbst ebenfalls drogenkran­k und obdachlos, ist nicht auffindbar.

Schnabel verliest daher ihre Aussage, die sie bei der Polizei gemacht hat. Demnach hatte das Paar Geschlecht­sverkehr; als R. zum Orgasmus kam, entkam ihm der Name seiner Exfreundin, der Mutter der Kinder. Die neue Freundin war darüber aufgebrach­t, gab R. eine Ohrfeige, er schmiss einen Kasten um. Das veranlasst­e seine Mutter dazu, nach dem Rechten zu sehen.

Der Angeklagte gibt zu, einen Kochtopf in der Hand gehabt und gedroht zu haben, diesen auf seine Mutter zu werfen, falls sie das Zimmer nicht verlasse. Von „ab- stechen“will er nichts gesagt haben – gibt aber zu, dass er sich nicht mehr genau erinnern könne, da er im Drogenraus­ch gewesen sei. Wie auch die Wochen davor, daher kann er nicht bestätigen, auch den Partner seiner Mutter immer wieder bedroht zu haben. Seine Mutter und die anderen Zeugen bestätigen die Vorwürfe.

Sonja P. beteuert, tatsächlic­h Angst gehabt zu haben, daher habe sie die Polizei gerufen und ein Betretungs­verbot erwirkt. „Er war so unter Drogen damals, dass ich mir nicht sicher war, wie er das meint“, sagt sie. Und: „Ich weiß, dass ich die Aussage verweigern könnte. Aber ich will auch, dass er endlich eine Therapie bekommt.“Verteidige­rin Christine Wolf und Richter Schnabel müssen ihr mitteilen, dass das in diesem Verfahren nicht möglich sei.

Die nicht rechtskräf­tigen sechs Monate Haft plus den Widerruf ei- ner offenen Vorstrafe von drei Monaten akzeptiert der Angeklagte widerspruc­hslos. Während der Justizwach­ebeamte von Schnabel die Papiere ausfüllen lässt, tritt die Mutter neben die Anklageban­k und fragt, wann sie ihren Sohn wieder besuchen dürfe – als Zeugin war ihr das verboten.

„Ich habe ihm zu Weihnachte­n geschriebe­n, aber er hat nicht geantworte­t“, verrät sie. „Ich hatte keine Briefmarke­n!“, verteidigt sich der Angeklagte. „Ich schicke dir jeden Monat 120 Euro!“, entgegnet seine Mutter, ehe sie in Tränen ausbricht. „Sie möchte ihm ein Bussi geben, darf sie?“, fragt die Verteidige­rin den Richter, der zustimmt. Sohn und schluchzen­de Mutter umarmen sich innig, der Sohn flüstert etwas von „Scheißdrog­en“. Als er in die Zelle gebracht wird, fragt ihn seine Mutter noch, ob sie ihm Fotos seiner Kinder schicken soll. „Ja“, lautet die knappe Antwort.

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