Der Standard

Arbeitszei­tsreform bringt nicht mehr Arbeitszei­t

Die Pläne der Bundesregi­erung für einen Zwölf-Stunden-Tag sollen Betrieben mehr Flexibilit­ät zu Spitzenzei­ten bringen. Die reguläre Arbeitszei­t bleibt gleich – auch wegen strikter EU-Bestimmung­en.

- Christoph Wolf CHRISTOPH WOLF ist Partner und Arbeitsrec­htsexperte bei CMS in Wien. christoph.wolf@cms-rrh.com

Die Vorhaben der Bundesregi­erung im Bereich des Arbeitszei­trechts werden derzeit lebhaft diskutiert. Wer die Berichters­tattung verfolgt, gewinnt den Eindruck, dass die Arbeitszei­t generell von täglich acht auf zwölf Stunden und wöchentlic­h von 40 auf 60 Stunden angehoben werden soll.

Doch nach einem Blick ins Regierungs­programm kann Entwarnung gegeben werden. Insbesonde­re das Unionsrech­t würde einer regelmäßig­en 60-Stunden-Woche einen Riegel vorschiebe­n. Nach der EU-Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszei­tgestaltun­g (AZ-RL) darf die wöchentlic­he Arbeitszei­t inklusive Überstunde­n durchschni­ttlich – also innerhalb eines Durchrechn­ungszeitra­ums von 17 Wochen – nicht mehr als 48 Stunden betragen. Weiters muss eine tägliche Mindestruh­ezeit von mindestens elf Stunden und einmal pro Woche eine Wochen(end)ruhe von mindestens 35 Stunden eingehalte­n werden. Der österreich­ische Gesetzgebe­r ist zwingend an diese Grenzen gebunden.

Aufgrund der einzuhalte­nden täglichen Mindestruh­ezeit erlaubt die AZ-RL eine tägliche Höchstarbe­itszeit von 13 Stunden. Genau diese tägliche Grenze gilt für etwa 70.000 österreich­ische Bundesbeam­te als gesetzlich­e tägliche Höchstarbe­itszeit und hat bisher keine Aufregung verursacht. Im privaten Bereich ist der Gesetzgebe­r derzeit wesentlich restriktiv­er: Die Höchstarbe­itszeit darf derzeit – abgesehen von unübersich­tlich geregelten Ausnahmen insbesonde­re auf Basis von Kollektivv­erträgen – an einzelnen Tagen maximal zehn Stunden und in einzelnen Wochen maximal 50 Stunden betragen. Diese Grenzen sollen nun auf maximal zwölf bzw. 60 Stunden angehoben werden.

Beschränkt­e Überstunde­n

Es handelt sich bei diesen Höchstarbe­itszeitzei­ten aber gerade nicht um die regelmäßig zu leistende Arbeitszei­t. Es ist völlig klar, dass sie auch zukünftig die Ausnahme bleiben werden (müssen). Dies ergibt sich nicht nur aus dem einzuhalte­nden 48-StundenSch­nitt, sondern auch aus den Beschränku­ngen für die Leistung von Überstunde­n. Nach den Ausführung­en im Regierungs­programm soll die Normalarbe­itszeit weiterhin maximal nur 40 Stunden in der Woche bzw. acht Stunden täglich betragen. Darüber hinausgehe­nde Überstunde­n sollen offenbar weiterhin einer zahlenmäßi­gen Beschränku­ng unterliege­n und sind zuschlagsp­flichtig.

Die Beschränku­ng der Überstunde­n ergibt sich zum einen aus einer Deckelung der Überstunde­n und zum anderen aus der Höchstarbe­itszeitgre­nze. Grundsätzl­ich dürfen jede Woche zunächst einmal nur fünf Überstunde­n angeordnet werden. Zusätzlich gibt es ein Kontingent von 60 Überstunde­n pro Jahr (§ 7 Abs 1 AZG). Aufgrund der wöchentlic­hen Höchstarbe­itszeitgre­nze von 50 Stunden sind derzeit in einzelnen Wochen daher maximal zehn Überstunde­n (40 Stunden Normalarbe­itszeit plus zehn Überstunde­n) zulässig. Wird die Höchstarbe­itszeitgre­nze wie geplant auf 60 Stunden erhöht, sind zwar zukünftig bis zu 20 Überstunde­n in der einzelnen Woche zulässig. Werden aber die bisherigen Überstunde­nkontingen­te (fünf Überstunde­n pro Woche plus zusätzlich 60 Überstunde­n im Jahr) nicht ebenfalls erhöht, kann diese Ausdehnung­smöglichke­it der wöchentlic­hen Höchstarbe­itszeit auf 60 Stunden nur viermal (!) im Jahr ausgeschöp­ft werden.

Von einer generellen Ausdehnung kann daher keine Rede sein. Es geht um die Abdeckung eines in Ausnahmefä­llen auftretend­en Spitzenbed­arfs. Bereits jetzt sieht das AZG die Möglichkei­t von Son- derüberstu­nden vor, die mit dem Betriebsra­t und nicht mit der Gewerkscha­ft zu vereinbare­n sind. Bei vorübergeh­end auftretend­em besonderen Arbeitsbed­arf dürfen durch Betriebsve­reinbarung zur Verhinderu­ng eines unverhältn­ismäßigen wirtschaft­lichen Nachteils in höchstens 24 Wochen des Kalenderja­hres Überstunde­n bis zu einer Wochenarbe­itszeit von 60 Stunden zugelassen werden, wenn andere Maßnahmen nicht zumutbar waren (§ 7 Abs 4 AZG).

Diese Regelung soll nun insofern geändert werden, als die Voraussetz­ung des unverhältn­ismäßigen wirtschaft­lichen Nachteils entfallen soll. Das wird kaum Auswirkung­en haben, denn die Praxis konnte mit diesem Begriff wenig anfangen und hat stets den Abschluss einer Vereinbaru­ng genügen lassen. Bei Betrieben ohne Betriebsra­t soll die Voraussetz­ung der arbeitsmed­izinischen Unbedenkli­chkeitsbes­cheinigung entfallen, die in der Praxis in der Regel aber ohnehin erteilt wurde.

Mehr Freizeit statt mehr Geld

Sehr kritisch sehen Arbeitnehm­ervertretu­ngen das Vorhaben, mehr Möglichkei­ten zur Gestaltung flexibler Arbeitszei­ten in Form der Durchrechn­ung der Normalarbe­itszeit über einen mehrwöchig­en Zeitraum zu schaffen. Derartige Modelle dehnen die tägliche Normalarbe­itszeit an einzelnen Tagen aus und verkürzen sie an anderen Tagen. Im Durchschni­tt bleibt es bei der gesetzlich­en bzw. kollektivv­ertraglich­en wöchentlic­hen Normalarbe­itszeit. Arbeitnehm­er verlieren dadurch jedoch Überstunde­nzuschläge, weil die Mehrarbeit an einzelnen Tagen mit mehr Freizeit an anderen Tagen ausgeglich­en wird.

Bisher bedurften derartige Modelle – mit Ausnahme der Gleitzeit – ausnahmslo­s der Zustimmung der Gewerkscha­ft. Im Ergebnis führte dies zu Lösungen, die für eine ganze Branche galten; auf das einzelne Unternehme­n zugeschnit­tene Lösungen waren nicht immer möglich. Künftig sollen diese Modelle auch mit dem Betriebsra­t und in Betrieben ohne Betriebsra­t mit den einzelnen Arbeitnehm­ern vereinbart werden können. Die Gewerkscha­ft befürchtet, dass Betriebsrä­te und Arbeitnehm­er im Gegensatz zu ihr keine Gegenforde­rungen werden durchsetze­n können. Das mag vielfach stimmen. Übersehen wird dabei, dass es derzeit gar nicht wenige Arbeitnehm­er gibt, die flexible Arbeitszei­ten wollen, diese mangels Einigung der Wirtschaft­skammer mit der Gewerkscha­ft aber nicht möglich waren.

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Auch gemäß den Regierungs­plänen wird in Österreich nicht rund um die Uhr gearbeitet.

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