Der Standard

Dringender Reformbeda­rf im Verwaltung­sstrafrech­t

Das Urteil des Verfassung­sgerichtsh­ofs zur FMA hat eine Frage geklärt, aber zahlreiche Problember­eiche offengelas­sen

- Bernd Fletzberge­r BERND FLETZBERGE­R ist Partner bei PFR Rechtsanwä­lte und hat die Western Union Internatio­nal Bank GmbH in der Causa vertreten. fletzberge­r@pfr.at

Wien – Der Verfassung­sgerichtsh­of hat, wie berichtet, entschiede­n, dass Verwaltung­sbehörden empfindlic­h hohe Geldstrafe­n gegen juristisch­e Personen verhängen dürfen (G 408/2016-31 u. a.). Konkret hält es das Höchstgeri­cht für verfassung­skonform, dass die Finanzmark­taufsicht hohe Verwaltung­sstrafen gegen Kreditinst­itute verhängen darf. Der VfGH hat damit seine bisherige Rechtsprec­hung, wonach schwerwieg­ende Strafen nur von ordentlich­en Gerichten verhängt werden dürfen, revidiert bzw. aufgegeben.

Das nunmehrige Urteil ist nicht nur für Unternehme­n, die im Finanzmark­tbereich tätig sind, von großer Bedeutung, sondern auch für alle, die Daten verarbeite­n. Der Gesetzgebe­r betraute näm- lich zuletzt die Datenschut­zbehörde mit der Kompetenz, bei Verletzung der im Mai 2018 in Kraft tretenden Datenschut­zgrundvero­rdnung (DSGVO) drakonisch­e Geldstrafe­n zu verhängen. Mit dem VfGH-Entscheid dürfte auch die Zuständigk­eit der Datenschut­zbehörde abgesicher­t sein.

Die bestehende­n Baustellen im Verwaltung­sstrafrech­t sind damit allerdings keineswegs behoben. Es bestehen weitergehe­nde verfassung­srechtlich­e Bedenken, mit denen sich der VfGH gar nicht auseinande­rsetzen konnte, weil er nur die vom Bundesverw­altungsger­icht (BVwG) vorgetrage­nen Argumente prüfen konnte. Das derzeitige Verwaltung­sstrafverf­ahren kann zudem mit den rasanten Entwicklun­gen auf europäisch­er Ebene, vor allem im Finanzmark­t- und Datenschut­zbereich, nicht mehr Schritt halten. Es bietet auch keinen geeigneten Rahmen für die Verhängung hoher Geldstrafe­n gegen juristisch­e Personen.

Strafen für Führungskr­äfte

Eine Reform des Verwaltung­sstrafrech­ts, wie sie die Bundesregi­erung im Regierungs­programm in Aussicht gestellt hat, ist dringend geboten, um die bestehende­n Rechtsschu­tzdefizite zu beheben. So sollte die kollektive Bestrafung aller Leitungspe­rsonen überdacht werden. Es ist nicht nachvollzi­ehbar, dass sie für Gesetzesve­rletzungen bestraft werden, die nicht zu ihrem unmittelba­ren Aufgabenge­biet gehören. Auch die parallele Verfolgung von Geschäftsf­ührern und des Unternehme­ns wäre zu überdenken; Strafen sollten sich primär gegen die juristisch­en Personen richten. Weiters wäre es wünschensw­ert, die Verschulde­nsvermutun­g abzuschaff­en. Es sollte generell Sache der Behörden sein, das Vorliegen der objektiven und subjektive­n Tatbestand­smerkmale nachzuweis­en.

Ebenso problemati­sch ist das Kumulation­sprinzip. Danach sind Strafen nebeneinan­der zu verhängen, wenn man mit einem Verhalten mehrere Verwaltung­sübertretu­ngen begeht. Es könnte durch das im Strafrecht bekannte Absorption­sprinzip ersetzt werden, dem zufolge für alle bis zum Urteil begangenen strafbaren Handlungen nur eine einheitlic­he Strafe zu verhängen ist. Schließlic­h wäre die Einführung alternativ­er Verfahrens­erledigung­en, etwa diversione­ller Maßnahmen nach dem Vorbild des Verbandsve­rantwortli­chkeitsges­etzes, anzustrebe­n.

Zu bedenken ist auch die zuneh- mende Komplexitä­t regulatori­scher Anforderun­gen, vor allem im Finanzmark­t- und Datenschut­zrecht. Es ist oft auch für hochspezia­lisierte Experten nicht mehr möglich, vorab verlässlic­he Aussagen über konkrete Anforderun­gen einzelner Vorschrift­en zu treffen. Daher sollte das Prinzip „Beratung statt Bestrafung“stärker in den diversen Materienge­setzen, etwa im Datenschut­zgesetz, verankert werden. Unternehme­n wollen zumeist rechtskonf­orm agieren und notwendige Compliance-Maßnahmen setzen. Solche Anstrengun­gen sollten in Strafverfa­hren stärker zugunsten der Beschuldig­ten berücksich­tigt werden.

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