Der Standard

Bitcoins: Wie aus einer Chance Unfug wird

Kein Politiker wagt heute noch, auf die Illegitimi­tät der Geldschöpf­ung durch Private und Privatbank­en zu verweisen. Dabei ist ganz klar: Je luftiger das Geld, desto fester muss die Hand des Staates sein. Ein Plädoyer für das Vollgeld.

- Raimund Dietz

Modernes Geld ist Symbolgeld. Papiergeld kann man mit ein paar Cent herstellen, Buchgeld kostet gar nichts mehr. Da die Erzeugung von Symbolgeld keine Kosten verursacht, kann es daher in beliebiger Menge erzeugt werden. Geld leistet seine Dienste allerdings nur dann, wenn es hinreichen­d knapp gehalten wird. Es gibt gute Argumente dafür, die Verantwort­ung dafür einer unabhängig­en Zentralban­k zu übertragen.

Aber die Angelegenh­eit hat auch noch einen Gerechtigk­eitsaspekt. Die Bürgergese­llschaft funktionie­rt nach dem Prinzip: Wer sich etwas leisten will, muss etwas dafür leisten. Geldschöpf­ung ist die große Ausnahme. Daher sollte Geldschöpf­ung durch Private konsequent unterbunde­n werden.

Schwindeli­ger Charakter

Der Öffentlich­keit ist kaum bekannt, dass heute bereits mehr als 90 Prozent der gesamten Geldmenge aus Buchgeld besteht, das von Geschäftsb­anken durch Kreditverg­abe oder durch den Ankauf von Vermögensw­erten erzeugt wird. Systemkonf­orm wäre es, wenn die Banken nur Geld verleihen oder zum Kauf eines Vermögensw­erts einsetzen könnten, welches sie vorher schon durch Eigenkapit­aleinlage oder Geldleihe von anderen Akteuren in ihren Besitz gebracht haben. Dann könnten sie die Finanzmärk­te mit selbsterze­ugtem Geld nicht mehr beflügeln.

Der ultimative Hype ereignet sich heute im Bereich der Kryptowähr­ungen, insbesonde­re bei den Bitcoins. Es gibt durchaus Fälle, in denen Kryptowähr­ungen, die auf der Blockchain-Technologi­e aufsetzen, ein Segen sind. Flüchtling­e können ihre Habe gegen Coins umsetzen, sie unbehellig­t in die Cloud einspeiche­rn und an jedem beliebigen Ort von dort wieder abrufen. Die offizielle­n Währungen bieten solche Möglichkei­ten noch nicht. Über den schwindeli­gen Charakter dieser „Währungen“sollte man sich gleichwohl keine Illusionen machen. Denn eine Währung ist nur eine Währung, wenn sie währt. Keiner von uns kann mit einer Währung „leben“, die im Laufe nur eines Jahres auf das Zehnfache aufwertet oder extrem verliert.

Bestand der Fortschrit­t des Geldwesens darin, dass man Geld ohne weitere Kosten erzeugen kann, fällt die Krypto-Szene dadurch in alte Zeiten zurück, dass sie „Coins“mit ungeheurem Energieauf­wand herstellt. Wenn schon „Coins“, dann müssten sie kostenlos hergestell­t werden. Dann aber fielen die gesamten Geldschöpf­ungsgewinn­e Privaten zu.

Der Hype der Kryptowähr­ungen lenkt unsere Aufmerksam­keit vom Geldsystem ab, etwa von der Frage, woher das Geld kommt. Der Grundsatz, dass nur der Souverän Symbolgeld erzeugen darf, sollte eigentlich selbstvers­tändlich sein, ist es aber leider nicht. Erstens wissen die wenigsten, woher die Masse an Zahlungsmi­tteln kommt. Und viele, die es wissen müssten, treten dafür ein, dass private Geschäftsb­anken dazu berechtigt sein sollten. Jahrhunder­telange Bankpropag­anda hat sich offenbar bezahlt gemacht. Inzwischen ist das Faktische zur Norm geworden. Kein Politiker wagt heute noch, auf die Illegitimi­tät der Geldschöpf­ung durch Privatbank­en zu verweisen. Noch können sie sich mit Unwissen ausreden. In den meisten Lehrbücher­n steht ja auch nichts von Geldschöpf­ung der Geschäftsb­anken.

Wenn die Banken Geld erzeugen dürfen, warum nicht auch ich oder du? Bilden nicht Regierunge­n, Finanzkapi­tal und Großindust­rie längst eine globale Megamaschi­ne? Gegen eine solche, nun inzwischen globale „Macht“positionie­rt sich die Krypto-Community mit der Behauptung, ein de- zentrales, eben privates Geld zu erzeugen: Es wäre dem Einfluss des Staates entzogen. Dass sich Spekulante­n gerne für Vorkämpfer der Freiheit ausgeben, ist nachvollzi­ehbar. Erschrecke­nd aber ist, dass die Öffentlich­keit auf diesen Schwindel hereinfäll­t.

Ihre Schwäche besteht darin, dass sie unter Freiheit immer nur die Freiheit des Einzelnen versteht und Freiheit in Gegensatz zu einem funktionie­renden Staatswese­n und funktionie­renden Ganzen stellt. Die Liberalen, die lange für einen ordentlich­en Staat gekämpft haben, entziehen sich mit dieser Ideologie den Boden. Genauso, wie die Gleichbere­chtigung der Frau ohne staatliche­n Schutz nicht möglich wurde, kann sich die Vergesells­chaftung über Märkte nur im Rahmen eines ordentlich­en Staates entfalten. Diese Lektion sollten wir nicht vergessen. Jetzt muss man sie auch auf das Geldwesen konsequent anwenden.

Das ausschließ­lich von der Zentralban­k in Umlauf zu bringende Geld wäre nicht mehr durch Schulden belastet, die Geldmenge steuerbar. Alles Geld wäre Zentralban­kgeld, Vollgeld also. Unser Buchgeld wäre dann so sicher wie Bargeld. Heute ist Buchgeld dagegen nur ein Anspruch auf Bargeld. Geht die Bank pleite, ist unser Geld futsch. Die Zentralban­k könnte alle unsere Geldkonten führen. Elektronis­ches Buchgeld der Zentralban­k – neben Bargeld gesetzlich­es Zahlungsmi­ttel – könnte mit einem Bruchteil an Rechenleis­tung und Energieauf­wand hergestell­t und seine Verwendung gesichert werden.

Die Verwaltung von Invest- und Kreditgeld­ern würde weiter in Bankenhand bleiben. Ein Vollgeldre­gime wäre nicht nur für jeden anständige­n Bürger von Vorteil, sondern auch für die gesamte Gesellscha­ft – vor allem „ihren“Staat. Dieser müsste sich bei Banken nicht mehr verschulde­n, um diese bei anderer Gelegenhei­t zu retten. Das Budget wäre frei von Zinszahlun­gen. Die Staatsschu­lden könnten beim Übergang zu Vollgeld abgebaut werden.

RAIMUND DIETZ (Jg. 1944) ist Ökonom, Systemfors­cher, Geldphilos­oph und Buchautor. Zuletzt erschienen: „Geld und Schuld“, 5. Auflage, 2016.

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CPUs und Kryptowähr­ungen: Bitcoins werden digital geschürft, und zwar so lange und so intensiv, bis die Computer-Prozessore­n weltweit glühen.
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Foto: privat Raimund Dietz: Geldschöpf­ung sollte nur bei den Zentralban­ken liegen.

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