Der Standard

Keine Zeit für Spielchen

- Birgit Baumann

Neues Jahr, altes Thema: Deutschlan­d hat, mehr als drei Monate nach der Wahl, immer noch keine neue Regierung, bloß die alte geschäftsf­ührende. Während in Österreich, wo man drei Wochen später wählte, die Regierung schon im neuen Auto dahinbraus­t, sucht Kanzlerin Angela Merkel nach wie vor die Autoschlüs­sel.

Aber nicht mehr lange, so versichert man in der CDU mit tapferem Optimismus. Es scheint sich einerseits in allen drei beteiligte­n Parteien – CDU, CSU und SPD – die Erkenntnis durchzuset­zen, dass nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche diese Sondierung­en zur Vorbereitu­ng einer neuen großen Koalition klappen müssen.

Anderersei­ts: Viele Risiken sind die altbekannt­en. Geändert haben sich die Akteure, aber die Probleme sind die gleichen geblieben. Horst Seehofer, CSU-Chef und scheidende­r Ministerpr­äsident von Bayern, ordnet alles der heimischen Landtagswa­hl im Oktober 2018 unter. SPDVorsitz­ender Martin Schulz hat eine höchst kritische SPD-Basis hinter sich, die viel von dem durchsetze­n will, was bei Jamaika auch die Grünen forderten. Und in der Mitte sitzt Angela Merkel, die daraus jetzt was machen muss.

Auf ihr lastet enormer Druck. Das Wahlergebn­is der CDU war schlecht, eine Jamaika-Koalition hat Merkel nicht zustande gebracht. Sie braucht dringend einen Erfolg. Zwar ist für sie klar, dass sie im Falle von Neuwahlen wieder als Spitzenkan­didatin antreten würde.

Noch stellt das in der CDU niemand infrage. Aber das kann sich ganz schnell ändern, wenn auch diese Sondierung­sgespräche nun scheitern und Merkel zum zweiten Mal mit leeren Händen dasteht. hnlich geht es Schulz. Noch im März 2017 hatte er den höchsten Kredit, den ein Parteichef erhalten kann: 100 Prozent bei der Wahl ins neue Amt. Dann folgte die schwere Wahlnieder­lage, seine schnelle Festlegung auf die Opposition und nach dem Scheitern von Jamaika die 180-Grad-Wende. Eine Partei macht viel mit, aber nicht alles. Und Seehofer kann in Berlin nur noch mitspielen, wenn die CSU dort in die Regierung kommt und er ein Ministeram­t bekommt. Klappt dies nicht, wird er nach Abgabe des Ministerpr­äsidentena­mtes an Markus Söder nur noch Chef einer Regionalpa­rtei sein.

Eigentlich sollten alle wissen: Es gibt keine Zeit für Spielchen mehr. Und es gibt dafür auch noch einen viel wichtigere­n Grund als die persönlich­e Befindlich­keit dreier Parteichef­s, die sich zusammenra­ufen müssen.

Natürlich herrschen in Deutschlan­d weder Staatskris­e noch Ausnahmezu­stand. Der Tanker fährt derweil ruhig dahin, der Autopilot funktionie­rt. Aber die Bürgerinne­n und Bürger haben endlich eine neue Regierung verdient, die dafür sorgt, dass im Land wieder was weitergeht, und die zeigt, dass Politiker ihre Verantwort­ung wahrnehmen.

Balkonauft­ritte und Selbstdars­tellung waren der Sound of Jamaika. Der Grundton auf dem Weg zur Groko muss ein anderer sein: hart arbeiten und ein Ergebnis liefern.

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