Der Standard

Starthilfe für Christian Kern

Türkis-Blau lädt zum Spekuliere­n ein – ein gefundenes Fressen für die Opposition

- Günther Oswald

Im Eilzug waren Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache nicht unterwegs. Immerhin 64 Tage haben sie und ihre Teams verhandelt, bevor der Koalitions­pakt finalisier­t wurde. Rausgekomm­en sind 179 dichtbesch­riebene Seiten mit unzähligen Vorschläge­n. In vielen Bereichen sind diese aber äußerst unkonkret geblieben. Beim Arbeitslos­engeld neu fällt das der Regierung jetzt zum ersten Mal auf den Kopf. Vereinbart wurde, die Notstandsh­ilfe zu streichen und stattdesse­n ein neues Arbeitslos­engeld einzuführe­n, das mit Fortdauer der Arbeitslos­igkeit sinkt. Alle Details, also wer wann welche Ansprüche haben und wer alles in die Mindestsic­herung fallen soll, wurden ausgespart.

Nun kann (oder muss) fleißig spekuliert werden, wie die Reformen am Arbeitsmar­kt aussehen werden. Bis Konkretes vorliegt, werden wohl noch einige Monate vergehen. Das Signal, das ausgesende­t wird, lautet jedenfalls: Jenen, die sich über längere Zeit nicht selbst erhalten können, weht ein schärferer Wind entgegen. Aus Kurz’ Sicht ist das nur verständli­ch. Er hat die Mindestsic­herung schon in der letzten Regierungs­periode zu einem seiner Leibthemen erklärt. Für ihn ist es ein Vehikel, um Druck auf das rot-grüne Wien auszuüben. In der Bundeshaup­tstadt bekam die ÖVP bei der letzten Landtagswa­hl keinen Fuß auf den Boden, es geht also darum, dem Landespart­eichef und Neoministe­r Gernot Blümel ein Thema zu liefern, mit dem es sich gut kampagnisi­eren lässt. ie Mindestsic­herung ist nämlich eigentlich Sache der Länder. Will man diesen nun die Kosten für die Notstandsh­ilfebezieh­er umhängen, wird man mit ihnen darüber verhandeln müssen. Klar ist also: Das wird eine komplizier­te Geschichte, die noch für viel Streit sorgen wird. Aber das ist wohl intendiert. Übrig bleiben soll: Kurz will den Sozialstaa­t fit machen, das rote Wien schmeißt das Geld beim Fenster raus. So weit, so nachvollzi­ehbar die Strategie der Volksparte­i.

Für die FPÖ ist die Geschichte nicht ganz so einfach. Zwar trommelt auch sie seit Jahr und Tag, dass die Kosten für die Mindestsic­herung wegen der gestiegene­n Zahl an Flüchtling­en drastisch gestiegen sind. Die Blauen werden aber viel stärker als die ÖVP von schlechtqu­alifiziert­en Männern, die mitunter selbst längere Zeit arbeitslos

Dsind, gewählt. Diese von der Notstandsh­ilfe in die Mindestsic­herung zu drängen ist für Strache und Co daher ein gefährlich­es Spiel. Wohl nicht zuletzt deshalb bemüht sich die neue Arbeitsmin­isterin Beate HartingerK­lein zu betonen, man wolle keinesfall­s auf das Vermögen von Langzeitar­beitslosen zugreifen, wie das bei der Mindestsic­herung vorgesehen ist.

Das kann man glauben, muss man aber nicht. Für die Opposition, allen voran für den SPÖ-Chef, ist das jedenfalls ein gefundenes Fressen. Christian Kern, von dem in den ersten Wochen nach der Wahl wenig zu hören und sehen war, kann jetzt trommeln, dass es Türkis-Blau nur um den Abbau des Sozialstaa­tes gehe. Die Streichung von Jobförderp­rogrammen wie der Aktion 20.000 kommt da zusätzlich gelegen.

Ob es tatsächlic­h zu dramatisch­en Verwerfung­en im heimischen Sozialsyst­em kommt, weiß, so ehrlich muss man sein, noch kein Mensch. Für einen Opposition­spolitiker ist das aber nicht so wichtig. Für Befürchtun­gen reichen die bisherigen Ankündigun­gen allemal. Türkis-Blau hat Kern also eine Art Starthilfe gegeben und ihm Themen geliefert, an denen er sich reiben kann.

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