Der Standard

Als Europakanz­ler gefragt

- Thomas Mayer

Drei Wochen nach dem Start der türkis-blauen Koalition zeichnet sich konkret ab, wie die Arbeitstei­lung der Regierung in Sachen Europa abläuft. Sie unterschei­det sich von allem, was man seit dem EU-Beitritt 1995 in wechselnde­n politische­n Konstellat­ionen gesehen hat.

Die alles dominieren­de Figur dabei ist der Bundeskanz­ler. Als treuer Umsetzer in Wien wie in Brüssel und Straßburg dient Sebastian Kurz der ressortmäß­ig bei ihm angesiedel­te Europamini­ster Gernot Blümel. Da dieser auch als Regierungs­koordinato­r agiert, wird er – nicht der Finanzmini­ster – operativ zum zweitmächt­igsten Mann im Kabinett, nicht zuletzt durch den EU-Vorsitz Österreich­s ab Juli.

Außenminis­terin Karin Kneissl verkommt daneben zum politische­n Mauerblümc­hen, mangels EU-Kompetenz. Sie offenbarte in der ZiB 2 ein zusätzlich­es machtpolit­isches Handicap: Die Parteifrei­e mag sich nicht und nicht zur FPÖ bekennen, die sie ins Amt gebracht hat. Kneissl wirkt wie ein Fremdkörpe­r. Und die FPÖ wird im Ausland „versteckt“.

Dem Kanzler dürfte das mehr als recht sein. Umso mehr demonstrie­rt er den Freiheitli­chen, die wegen ihrer Mitgliedsc­haft in der Fraktion der extrem Rechten von Marine Le Pen im EU-Parlament isoliert sind, wer internatio­nal den Ton angibt. Der Besuch, den Kurz auf Einladung des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron in Paris absolviert, steht dafür wie ein übermächti­ges Symbol.

Und ist erstaunlic­h. Im Jahr 2000 gab es bilaterale Ächtungsma­ßnahmen der Partner gegen Schwarz-Blau. Diese hatte Macron-Vorgänger Jacques Chirac initiiert. Kanzler Wolfgang Schüssel wurde geschnitte­n. Nun wird Kurz sofort im Élysée empfangen – aus französisc­her Sicht eine Art Ritterschl­ag; und ein Vorausbonu­s dafür, dass er sich als konstrukti­ver Mitgestalt­er eines gestärkten gemeinsame­n Europa erweisen möge. Macron gilt, wegen der Formschwäc­he der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, als die große Hoffnung I der EU-Reformer. Symbolisch liegt Kurz richtig. m Dezember war er bei den drei EU-Präsidente­n JeanClaude Juncker, Donald Tusk und Antonio Tajani in Brüssel, nach Macron fährt er zu Merkel nach Berlin, in einigen Wochen vermutlich nach Israel. Damit wäre gezeigt, wo bzw. wie Österreich in der Welt dastehen sollte: als Land, das für Sicherheit und Grundrecht­e gleicherma­ßen steht, sich mit engsten Verbündete­n im Kern der EU zusammentu­t, das mit Israel ausgesöhnt ist – trotz FPÖ.

Den starken EU-Symbolen wird der ÖVP-Kanzler nun bald konkrete Inhalte folgen lassen müssen. Bisher hat er vor allem Schlagwort­e geliefert, etwa dass Wien „eine proeuropäi­sche Regierung“habe. Er will „mehr Subsidiari­tät“. Die EU solle nicht jeden Kleinkram regeln. Das freut EUSkeptike­r, ersetzt aber nicht ein nachhaltig­es EU-Konzept für eine kleine Exportnati­on. Die braucht eine Stärkung der Union als Gesamtes, ihrer gemeinscha­ftlichen Institutio­nen. Nur so wird die EU in der globalisie­rten Welt gegen die USA, Russland, Indien und China bestehen. Macron war gerade in Peking. Er wird Kurz dazu einiges erzählen.

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