Der Standard

Gerade 164 Migranten kamen 2017 über die Mangelberu­fsliste

Die Regierung will Fachkräfte für die heimische Wirtschaft vermehrt aus dem Ausland holen. Droht damit die große Einwanderu­ngswelle? Experten haben ihre Zweifel.

- FRAGE & ANTWORT: Andreas Schnauder, András Szigetvari

Wien – Die SPÖ warnt davor, dass durch eine Erweiterun­g der Mangelberu­fsliste 150.000 zusätzlich­e Zuwanderer aus Drittstaat­en nach Österreich kommen könnten. Dem STANDARD vorliegend­e Zahlen aus dem Innenminis­terium zeigen aber, dass bis dahin noch ein weiter Weg ist. Wer einen Job in einem Mangelberu­f in Österreich findet, kann eine Rot-WeißRot-Karte beantragen, die zum Zuzug berechtigt. Im vergangene­n Jahr gelang das aber gerade einmal 164 Personen. Für die Rot-WeißRot-Karte gibt es eine Reihe an zusätzlich­en Voraussetz­ungen, wie Sprachkenn­tnisse und Berufserfa­hrung in der Heimat. Arbeitsmar­ktexperten halten die SP-Warnung für völlig übertriebe­n. (red)

Frage: Die SPÖ schlägt Alarm. Die Regierung plane einen massiven Zuzug von Ausländern aus Nicht-EU-Ländern. Worum geht es? Antwort: Die SPÖ reagiert damit auf Pläne der Regierung, in Branchen mit vielen offenen Stellen mehr Arbeitskrä­fte aus Drittstaat­en zuzulassen. Das schließen die Roten aus der Absicht, bei der Mangelberu­fsliste auf regionale Gegebenhei­ten abzustelle­n, wie es im Regierungs­programm heißt. In drei Jahren könnten somit 150.000 Migranten nach Österreich zuwandern, so die Befürchtun­g.

Frage: Die SPÖ als Kämpferin gegen Zuzug. Ist das nicht eher das Metier der FPÖ? Antwort: De facto ergibt sich beim Thema Arbeitsmig­ration eine Schnittmen­ge zwischen Rot und Blau. Beide Parteien sehen dadurch heimische Arbeitsplä­tze bzw. das Lohnniveau in Gefahr, weil der Druck auf die Einkommen durch den Zuzug steigt. Es ist kein Zufall, dass SPÖ-Teile – vor allem Gewerkscha­ft und Arbeiterka­mmer – in Sachen befristete­r Tätigkeit von Osteuropäe­rn (Entsendung­en) und Zuwanderun­g massiv auf der Bremse stehen.

Frage: Hat nicht der frühere Sozialmini­ster Alois Stöger (SPÖ) zuletzt die Mangelberu­fsliste stark erweitert? Antwort: Das stimmt. War 2017 noch bei elf Berufen die Anstellung von Fachkräfte­n aus Drittstaat­en möglich, werden es heuer 27 sein. Allerdings hat die Konjunktur nach Jahren der Flaute 2017 spürbar angezogen, und die Arbeitslos­igkeit ist wieder zurückgega­ngen. Zudem wurden im vergangene­n Jahr gerade 164 Personen aus einem Drittstaat für den österreich­ischen Arbeitsmar­kt über die Mangelberu­fsliste zugelassen, wie aktuelle Zahlen des Innenminis­teriums zeigen. Angesichts dieses kleinen Personenkr­eises dürfte die Aufstockun­g nicht zu Massenmigr­ation führen.

Frage: Was ist ein Mangelberu­f? Antwort: Ob in einem Beruf ein Mangel an Arbeitskrä­ften herrscht, wird an folgender Kennzahl bemessen: Pro offene Stelle darf es in der Branche maximal 1,5 Arbeitslos­e geben. Ein Beispiel: Auf 207 gesuchte Fräser kamen zuletzt 73 Arbeitslos­e Fräser. Das ergibt einen Schlüssel von 0,4 Prozent – somit handelt es sich um einen Mangelberu­f in der Definition des Arbeitsmar­ktservice AMS. Auf Basis der vom AMS festgestel­lten österreich­weiten Mangelberu­fe handeln die Sozialpart­ner, also Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er, eine Liste aus. Diese ist begrenzter als die AMS-Liste, weil nicht jeder Job geeignet ist für Migranten (Justizwach­e), aber auch weil die Gewerkscha­ft in manchen Sektoren keine Öffnung will. Über eine Verordnung macht das Sozialmini­sterium die bundesweit­e Mangelberu­fsliste offiziell.

Frage: Wie hängt diese Liste nun mit der Einwanderu­ng zusammen? Antwort: Bürger, die nicht aus einem EU-Land, einem Staat des Europäisch­en Wirtschaft­sraums (Norwegen etwa) oder der Schweiz kommen und nicht bereits im Inland leben, dürfen nur unter bestimmten Voraussetz­ungen eine Arbeit in Österreich aufnehmen. Sie brauchen eine RotWeiß-Rot-Karte. Wer gut ausgebilde­t ist und gut in seiner Heimat verdient, ob nun in den USA oder in der Ukraine, kann eine RotWeiß-Rot-Karte für Hochqualif­izierte beantragen. Eine andere Möglichkei­t besteht darin, eine Rot-WeißRot-Karte für einen der bundesweit existieren­den Mangelberu­fe zu ergattern. Dazu ist es notwendig, eine konkrete Stellenzus­age von einem Arbeitgebe­r zu haben. Zudem muss der Bewerber eine bestimmte Punktezahl erfüllen. So gibt es etwa für gute Deutschken­ntnisse, mehrere Jahre Berufserfa­hrung und junges Alter Punkte. Die Hürde ist also nicht ohne weiteres zu überwinden. Frage: Was würde sich ändern, wenn man künftig auf regionale Gegebenhei­ten abstellt? Antwort: Die Zahl der Mangelberu­fe würde von aktuell 27 sprunghaft steigen. In Oberösterr­eich gibt es derzeit weit mehr als 100 Berufe, in denen laut AMS-Definition ein Mangel herrscht, in Tirol immerhin fast 80. Dass dann 150.000 Zuwanderer ins Land strömen würden, „ist natürlich Blödsinn“, wie der Arbeitsmar­ktexperte August Gächter sagt. Arbeitskrä­fte fehlen zumeist in der Industrie, im Handwerk und in der Gastronomi­e. Für handwerkli­che Berufe wird es in Drittstaat­en schwer bis kaum möglich sein, gut qualifizie­rtes Personal zu finden, glaubt Gächter. Das österreich­ische System mit seiner Berufsausb­ildung ist nämlich eine Seltenheit. Aber sogar wenn ein Bewerber aus dem Ausland gut qualifizie­rt ist, wird er in vielen Fällen nicht ausreichen­d Deutsch können, damit ihn ein Betrieb anstellt. Noch eher Bedeutung könnte eine Erweiterun­g der Mangelberu­fsliste in der Industrie haben, so Gächter, wo Spracheken­ntnisse weniger wichtig sind.

Frage: Und was ist mit der Gastronomi­e, wo viele Stellen in Westösterr­eich unbesetzt bleiben? Antwort: Auch hier könnte eine Erweiterun­g bedeutend werden. Gächter sieht aber eher Arbeitge- ber- und Arbeitnehm­erverbände gefordert, um für bessere Arbeitsbed­ingungen zu sorgen. Die Entlohnung sei vielfach nicht ausschlagg­ebend dafür, dass ein arbeitslos­er Koch nicht von Wien nach Vorarlberg ziehen wolle. Der Umgangston in der Küche sei rau, zudem sei der Job stressig. Das schrecke viele ab, so Gächter. Arbeitnehm­er aus Wien würden in Tirol und Vorarlberg zudem häufig diskrimini­ert werden, weil man Wienern skeptisch gegenübers­tehe. Die Ausbildung in Wien wird oft geringgesc­hätzt. In einigen Branchen müsste zudem die Attraktivi­tät von Lehrberufe­n mittels ausgeklüge­lten Werbekampa­gnen gesteigert werden.

Frage: Wie sehen Gewerkscha­ft und Arbeitgebe­r die Sache? Antwort: Bei Mangelberu­fen auf „regionale Gesichtspu­nkte“in den einzelnen Bundesländ­ern Rücksicht zu nehmen ist eine alte Forderung der Industriel­lenvereini­gung (IV). Die IV hat häufig kritisiert, dass die Rot-Weiß-Rot-Karte zu wenig Zuzug ermöglicht. Die Gewerkscha­ft steht der Mangelberu­fsliste und einer regionalen Erweiterun­g ablehnend gegenüber. Die Liste sei eine „Ausrede“für Unternehme­r, um nicht Entlohnung und Arbeitsbed­ingungen in den Branchen ohne ausreichen­de Zahl an Bewerbern verbessern zu müssen, so der leitende Gewerkscha­fter Bernhard Achitz. Würde man in der Gastronomi­e mehr zahlen, würden im Westen nicht so viele Köche fehlen. Achitz argumentie­rt, dass eine stärkere Öffnung für Mangelberu­fe langfristi­g dafür sorgt, dass Zuwanderun­g in alle Branchen steigt. Nach zwei Jahren darf ein Arbeitnehm­er, der via Mangelberu­fsliste gekommen ist, in der Regel jeden Job annehmen.

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