Der Standard

Schlechte Luft in Peking

Fünf Wochen lang bescherten Wind und Wetter Chinas Hauptstadt Peking Kaiserwett­er und blauen Himmel. Nun ist die schlechte Luft wieder da – und der Verdacht, dass Messungen manipulier­t werden.

- Johnny Erling aus Peking

Fünf Wochen lang war der Himmel über Peking strahlend blau. Doch nun ist der Smog in Chinas Hauptstadt zurückgeke­hrt.

Die Lastwagen waren mit großen Sprühkanon­en bewaffnet, ihre Gegner waren feinste Smogpartik­el. Sie verteilten ein chemisches Gemisch in der Luft, das den Feinstaub PM 2.5 auflösen kann – allerdings nur in der Nähe der Messstatio­nen. Funktionär­e der Städte Xinyu in der Provinz Jiangxi und Xinyang in Mittelchin­as Henan kamen vergangene­n Herbst auf diese famose Idee, um so die Luftwerte in ihrer Stadt zu verbessern. Chinas Umweltamt kommentier­te trocken: „Die städtische­n Führer fühlten sich unter großem Druck, die Luftqualit­ät zu verbessern.“

Das Ministeriu­m kritisiert­e, wie in der Provinz die Daten verfälscht werden. Grobe Manipulati­onen gab es aber auch früher, etwa in der Stadt Xian, wo im Juli 2016 die Smogmessge­räte mit Wolle abgedeckt wurden. Seit Jänner 2017 gilt derartiges als Umweltverb­rechen. Die Leiter der Umweltbehö­rden von Xinyu und Xinyang wurden bestraft und mussten Selbstkrit­ik üben. Die Staatszei- tung China Daily berichtete zusätzlich, dass die Fahrer der Lkws entlassen wurden. Nebenbei enthüllte sie, dass es in vielen Städten, auch in Peking, üblich sei, etwa für Veranstalt­ungen Smogkonzen­trationen mit solchen Kanonen zu neutralisi­eren, „aber nur über begrenzte Gebiete und auf keinen Fall vor Messstatio­nen“.

Wochen wie im Bilderbuch

Die Berichte kommen für Chinas Führung zur Unzeit. Denn seit Freitag sucht eine neue Smogwelle Peking und viele Provinzen heim. Wieder einmal wurde offenbar, wie weit China noch davon entfernt ist, zur Nation mit „blauem Himmel und grünen Bergen“zu werden, wie die Propaganda verspricht. Drei von Pekings Nachbarstä­dten mussten sogar Alarmstufe Rot wegen gesundheit­sgefährlic­hen Smogs ausrufen.

Der Smog kam so plötzlich über Peking wie fünf Wochen zuvor das Bilderbuch­wetter. Seit Anfang Dezember genossen alte Pekinger Wintertage, wie sie sie nur aus ihrer Jugend kannten. Trockene Käl- te bei starkem Nordwind bescherte ihnen glasklare Luft, blauen Himmel und Sonnensche­in.

Das machte übermütig. Stolz verkündete die Hauptstadt, dass die Konzentrat­ion von Feinstaub im Dezember fast um 70 Prozent unter den Vorjahresw­ert fiel. Chinas Medien sprachen vom Durchbruch beim Kampf gegen Smog. Die vielen Aktionspro­gramme der Regierung, die Schließung von Fabriken und Baustellen, die Autofahrve­rbote und die seit 2017 forcierte Umstellung von Kohleheizu­ngen auf Gas und Strom hätten für das „blaue Wunder“gesorgt. Selbst die internatio­nale Nachrichte­nagentur Bloomberg titelte: „China gewinnt seinen Kampf gegen die Luftversch­mutzung.“

Keine Wunder in Peking

Doch das Lob war verfrüht. Die verbessert­e Luftqualit­ät gehe vorwiegend auf Wind und Wetter zurück, schrieb das meteorolog­ische Amt. Im Dezember bliesen schlicht Böen aus dem Norden die Schadstoff­e mit ihrem ungewöhnli­ch hohen Tempo weg. „China kann mit seiner Kommandowi­rtschaft vieles schneller machen als andere Länder. Aber das Land kann keine Wunder auf Befehl bewirken“, sagt Wang Yongchen, Gründerin der NGO „Freiwillig­e für eine Grüne Erde“dem

STANDARD. Die Anstrengun­gen seien zwar „lobenswert“. Doch echter Wandel brauche viel Zeit.

Heimliche Rückbauten

Das gilt besonders für den Entwicklun­gsriesen, der 60 Prozent seiner Energiever­sorgung aus Kohle gewinnt. Chinas Führung setzte 2013 den Hebel bei 28 ausgewählt­en Städten Nordchinas an, einschließ­lich Peking. Sie sollten bis Ende 2017 ihre Kohleverbr­ennung stark einschränk­en. Das wichtigste Mittel dazu war der Abbau von industriel­len Überkapazi­täten. Bis 2021, so lautet nun die Fortsetzun­g dieses Plans, sollten alle 28 Städte Nordchinas in ihrer Heizung „kohlefrei“werden.

2017 beschleuni­gte Peking die Umstellung der Öfen auf Gas und Strom. 126.000 Familien in Peking bekamen Gasheizung­en. Noch schneller ging es in der Nachbarpro­vinz Hebei zu. 2017 mussten dort 2,3 Millionen Bauernfami­lien Gas- und 200.000 Haushalte Stromheizu­ngen installier­en.

Die Eile hatte Folgen. Weder die Verlegung von Pipelines noch die Gasversorg­ung hielten Schritt. Die Zeitschrif­t Caixin beschrieb, wie tausende Bauern heimlich ihre Kohleöfen zurückbaut­en. Die Nachrichte­nagentur Xinhua meldete im Dezember, dass 426.000 Haushalte in Nordchina nun zwar neue Öfen, aber kein Gas hatten.

Selbstvers­chuldete Krise

Hinzu kam der besonders eisige Winter, der Ende 2017 die Gaspreise explodiere­n ließ. Von Anfang Dezember an wurde die Versorgung der petrochemi­schen Industrie in drei Provinzen mit Naturgas reduziert oder ganz eingestell­t, um die Haushalte versorgen zu können. Peking schlittert­e damit in eine Art selbstvers­chuldete Gaskrise. Doch nun ist der Smog trotzdem wieder da. Er soll noch bis Donnerstag bleiben, bevor eine neue Kaltfront ihn auflöst.

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Winter wie diesen kannten alte Pekinger noch aus Kindertage­n: blauer Himmel, kalte Luft, klare Aussicht. Doch nun ist der Smog zurück in Chinas Hauptstadt.

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