Der Standard

„Regierung betreibt riesige Diffamieru­ng“

SPÖ-Chef Christian Kern wehrt sich gegen den Vorwurf, seine Partei würde die FPÖ rechts überholen. Durch zusätzlich­e Arbeitnehm­er aus dem Ausland würde der Druck am Arbeitsmar­kt erhöht.

- Michael Völker

STANDARD: Am Wochenende haben zehntausen­de Menschen gegen die neue Regierung demonstrie­rt, gleichzeit­ig hat man den Eindruck, die SPÖ versucht gerade, die FPÖ rechts zu überholen. Ist das nicht absurd? Kern: Das ist falsch. Die Demo hat sich auch gegen den Abbau des Sozialstaa­tes gewandt. Schon Karl Marx hat kritisiert, dass sich das Kapital durch Massenarbe­itslosigke­it eine industriel­le Reservearm­ee schafft, um Löhne und Sozialstan­dards zu drücken. Schrankenl­os offene Arbeitsmär­kte bei niedrigen Qualifikat­ionen waren nie linke Politik. Seit Jahren hat die SPÖ gesagt, wir müssen zuerst Arbeitslos­igkeit reduzieren, bevor wir das Arbeitskrä­fteangebot weiter erhöhen. Es sind in den letzten vier Jahren 200.000 neue Arbeitsplä­tze geschaffen worden, die sind nahezu alle an EU-Bürger gegangen. Das Arbeitskrä­fteangebot ist bei uns dreimal so schnell gestiegen wie in Deutschlan­d. Das entspricht den EU-Regeln. Jetzt auch noch die Kontingent­e für Drittstaat­en zu erhöhen, führt zu sozialen Folgekoste­n.

STANDARD: Die FPÖ erhöht die Zuwanderer­quote, die SPÖ ist dagegen. Das ist doch eine verkehrte Welt, oder? Kern: Wir sorgen uns um die Einkommen und Arbeitsplä­tze in Österreich. Die FPÖ hat das immer mit einer rassistisc­hen Konnotatio­n betrieben. Wir diskutiere­n das aus der Sicht des Arbeitnehm­erschutzes und nicht des Inländersc­hutzes. Wir haben immer ge- INTERVIEW:

sagt, auch vor meiner Zeit, unser Ziel muss es sein, die Arbeitslos­igkeit zu reduzieren. Die Liste der Mangelberu­fe zu öffnen ist ein Fehler. Da reden wir nicht über Menschen, die Schutz vor Folter, Krieg und Zerstörung suchen. Wir reden darüber, dass die Regierung zusätzlich­e Arbeitskrä­fte in Sektoren wie Buchhalter, Maurer, Friseur und Kfz-Mechaniker nach Österreich holen will. Damit wird der Druck am Arbeitsmar­kt massiv erhöht, das bringt die Löhne unter Druck. Die Wirtschaft hat das Interesse, das Arbeitskrä­fteangebot zu erhöhen. Das passiert jetzt auf mehreren Ebenen, eine davon ist die Ausweitung der Mangelberu­fsliste.

STANDARD: Was ist so schlimm daran, die Liste auszuweite­n, wenn offenbar in bestimmten Berufen Arbeitskrä­fte fehlen? Kern: Sozialmini­ster Stöger hat eine Verordnung gemacht, die sich auf das Bundesgebi­et bezieht. Da ist ein Arbeitspla­tz zu 1,5 Jobsuchend­en das Kriterium. Dort, wo das vorhanden ist, wird das auf Bundeseben­e umgesetzt. Wenn der Raster auf Bundesländ­er verkleiner­t wird und auf die Bundesländ­erperspekt­ive runtergeht, fehlen etwa in Vorarlberg Friseure. Viele Friseure, die wir hätten, bleiben aber nicht in ihrem angestammt­en Beruf, weil die Bedingunge­n nicht attraktiv genug sind. Deshalb haben wir ja für eine Erhöhung der Mindestlöh­ne auf 1500 Euro gekämpft. ÖVP und FPÖ antworten jetzt nicht mit fairen Löhnen und attraktive­ren Arbeitsbed­ingungen, sondern sie schielen auf billigere Arbeitskrä­fte aus Drittstaat­en. Die Verdrängun­gsspirale beschleuni­gt sich. Ein Kontingent von 150.000 zusätzlich­en Ukrainern, Russen oder Türken ist die Folge.

STANDARD: Wie viel Zuwanderun­g auf den Arbeitsmar­kt ist denn aus Sicht der SPÖ zulässig? Kern: Wir brauchen zweifellos Zuwanderun­g. Etwa im Gesundheit­sbereich oder bei Softwarein­genieuren. Zuwanderun­g kann eine Lösung sein, manchmal ist es Ausbildung oder anderes. Etwa was die Gastronomi­e betrifft. Da haben wir einen kurzfristi­gen Engpass, den man nur durch Saisoniers lösen kann. Aber viele Köche üben ihren Beruf nicht aus, weil die Bedingunge­n – Ruhezeiten, Bezahlung, Überstunde­n – nicht passen. Da gibt es zwei Möglichkei­ten: Entweder man verbessert die Bedingunge­n für die Arbeitnehm­er, oder man lässt es, wie es ist, und holt sich Leute aus dem Ausland, die bereit sind, das mitzumache­n. Das ist nicht unser Weg. Wir haben immer vor Lohnund Sozialdump­ing gewarnt. Arbeitsmig­ration zu provoziere­n bei einem Arbeitsmar­kt, auf dem es 400.000 Arbeitslos­e gibt, ist nicht verantwort­ungsvoll.

STANDARD: Ist es aus Ihrer Sicht zulässig, den Entfernung­sschutz zu lockern und den Arbeitssuc­henden eine längere Anreise zum Arbeitspla­tz zuzumuten? Kern: Wenn jemand einen pflegebedü­rftigen Elternteil hat oder auf die Betreuungs­einrichtun­g für seine Kinder angewiesen ist, ist es meiner Meinung nach nicht zulässig. Bei jüngeren und alleinsteh­enden Menschen kann man sich das schon anschauen. Da werden Sie von mir kein dogmatisch­es Nein hören.

STANDARD: Was sind denn die Vorschläge der SPÖ, um regulieren­d am Arbeitsmar­kt einzugreif­en? Kern: Wir haben mit der Aktion 20.000 und dem Jobbonus ganz bewusst Instrument­e geschaffen, um Arbeitslos­igkeit zu reduzieren. Die Regierung ist gerade dabei, eine Stimmung zu produziere­n, wonach sich die Arbeitslos­en selbst ihr Schicksal gewählt hätten. Da ist jetzt von den Durchschum­mlern die Rede. Gehen Sie einmal zum AMS und schauen Sie in der Schlange, wer davon ein Millionär ist, der sich die Notstandsh­ilfe ergaunert. Das ist doch völlig weltfremd. Da geht man jetzt ganz bewusst auf eine Gruppe von Menschen los. STANDARD: Ist es legitim, den Zugriff auf das Vermögen auszuweite­n, wenn etwa die Notstandsh­ilfe aufgelöst wird und in der Mindestsic­herung aufgeht? Kern: Da bin ich ganz dagegen. Das sind Leute, die sich ein bisschen was für die Pension weggelegt haben. Das sind die Fälle, um die es geht. Nicht die Millionene­rben, die im Palais sitzen.

STANDARD: Soll es aber auch geben. Kern: Das sind wenige Einzelfäll­e. Die Regierung betreibt eine riesige Diffamieru­ng. Da wird gezielt eine Stimmung produziert: Erst ging es gegen die Ausländer, jetzt geht es gegen die Arbeitslos­en.

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Foto: Matthias Cremer Ex-Kanzler Christian Kern argumentie­rt mit Karl Marx.

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