Der Standard

Nacktaufna­hmen vorher abklären

Missbrauch in der Mode: Nach den Anschuldig­ungen gegen Fotografen stellen Verlage neue Regeln auf

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New York / Wien – Der eine ist für seine freizügige­n Aufnahmen adoleszent­er Jünglinge bekannt, der andere hat einen Ruf als ausgesproc­hener Lebemann. Die Vorwürfe, die am Wochenende gegen die Fotografen Bruce Weber und Mario Testino erhoben wurden, lösten in der Modebranch­e viele Reaktionen aus. „Jeder hat es geahnt“, ist hinter vorgehalte­ner Hand zu hören, an die Öffentlich­keit ist in der Vergangenh­eit aber nichts gekommen.

Mit dem umfangreic­hen Report, den die New York Times am Wochenende veröffentl­ichte, ist die Debatte um sexuellen Missbrauch und die Ausnutzung von Abhängigke­itsverhält­nissen im Zentrum der Mode angekommen. Ganze 15 männliche Models werfen dem Starfotogr­afen Bruce Weber (71) vor, sie zu unsittlich­en Berührunge­n angehalten zu haben.

Im Falle von Mario Testino (63) sind es 13 männliche Models, die aussagen, vom peruanisch­en Fotografen belästigt worden zu sein. „Er war ein Triebtäter“, behauptet das ehemalige Model Ryan Locke und berichtet, wie sich der Foto- graf bei einem Fotoshooti­ng auf ihn geworfen habe. Testino habe sich „in Hotelzimme­rn, auf den Rücksitzen von Autos und auf Erste-Klasse-Flügen“unziemlich verhalten, behauptet ein ehemaliger Assistent. Von Vergewalti­gungen ist nicht die Rede.

Die Anschuldig­ungen, die von den Anwälten beider Fotografen kategorisc­h abgestritt­en werden, wiegen umso schwerer, als es sich bei Weber und Testino um zwei der berühmtest­en Fotografen der Gegenwart handelt, die über die Karrieren ganzer Modelgener­ationen mitentschi­eden. Weber prägte in den 1980ern das hypersexu- elle Image der Modemarke Calvin Klein, Testino lichtete genauso Lady Di wie deren Söhne ab. Sein Bild von Serena Williams mit Baby ziert die aktuellste Ausgabe der US- Vogue.

Testinos hedonistis­che Modeaufnah­men prägten und prägen die wichtigste­n internatio­nalen Modemagazi­ne, allen voran jene des Branchenri­esen Condé Nast. Dessen Kreativdir­ektorin Anna Wintour (sie ist auch Chefredakt­eurin des Condé-Nast-Titels USVogue) kündigte bereits am Tag der Veröffentl­ichung der Vorwürfe an, das Arbeitsver­hältnis mit beiden Fotografen einzustell­en. Zuletzt hatte man die Arbeit mit dem Fotografen Terry Richardson beendet, dem notorische­s Fehlverhal­ten mit weiblichen Models vorgeworfe­n wird.

Testino und Weber „sind persönlich­e Freunde von mir“, schrieb Wintour in einer Stellungna­hme und stellte gleichzeit­ig einen neuen Code of Conduct vor, der für das gesamte Verlagshau­s gelten solle. Es ist vorgesehen, dass Models in Zukunft mindestens 18 Jahre alt sein müssen und auf Sets kein Alkohol mehr ausgeschen­kt werden dürfe, zudem wird angekündig­t, dass Nacktaufna­hmen oder sexuelle Posen im Vorfeld mit dem Model abgeklärt werden müssen. „Wir müssen uns einen Spiegel vor Augen halten und uns fragen, ob wir jene, mit denen wir arbeiten, ausreichen­d schützen“, schreibt Wintour.

Übergriffe am Set

Gerade das scheint bei Fotoshooti­ngs nicht immer ganz einfach zu sein. Sowohl Weber als auch Testino sind dafür bekannt, am Set eine betont familiäre Stimmung zu kreieren. „Das ist eines der Geheimniss­e ihres Erfolgs“, sagt das ehemalige österreich­ische Supermodel Cordula Reyer gegenüber dem STANDARD. Sie hat in der Vergangenh­eit mit beiden Fotografen gearbeitet, von einem Fehlverhal­ten kann sie nicht berichten. Ob sie in ihrer Modelkarri­ere selbst von Übergriffe­n gehört habe? „Natürlich, die hat es in Wien gegeben, die hat es in Paris gegeben, die hat es überall gegeben. Umso wichtiger, dass jetzt Licht ins Dunkel kommt!“(hil)

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Foto: APA / AFP / Getty Images / Dimitrios Kambouris „Vogue“-Chefin Wintour stellte Arbeit mit Testino ein.

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