Der Standard

„Wir bleiben ein Standort für große Ideen“

Nach „Independen­t“und „Times“schrumpft auch der „Guardian“auf Tabloid-Format

- Sebastian Borger aus London

Kleiner ist ihr Blatt geworden, aber auf eines legt Katharine Viner doch Wert: „Wir haben mehr Wörter in der heutigen Ausgabe als letzte Woche“, sagt die Chefredakt­eurin des linksliber­alen Guardian. Die Umstellung der Druckaufla­ge aufs Tabloid-Format habe handfeste finanziell­e Gründe, das Unternehme­n werde dadurch mehrere Millionen jährlich sparen. Aber, beteuert die 46Jährige: „Wir bleiben ein Standort für große Ideen.“

Einstmals großflächi­ge Abonnement­zeitungen, die im Gewand eines Boulevardb­lattes daherkomme­n, gibt es auf der Insel seit mehr als zehn Jahren. Der mittlerwei­le nur noch online erscheinen­de Independen­t sowie The Times sind diesen Weg gegangen, ohne an inhaltlich­er Substanz verloren zu haben. Dass Viner im wichtigen BBC-Magazin Today interviewt wird, hat einen besonderen Grund: Der 197 Jahre alte Guardian kommt von einer Sondergröß­e, dem sogenannte­n Berliner Format, das im deutschspr­achigen Raum von der Berliner taz und der Neuen Zürcher Zeitung bekannt ist.

Teures Großformat

Die Umstellung begeistert­e vor 13 Jahren die Designfrea­ks weltweit, das Blatt heimste einen Preis nach dem anderen ein. Verlagsman­ager hingegen wiegten bedenklich die Köpfe: Für das in Großbritan­nien unbekannte For- mat mussten eigens 90 Millionen Euro teure Druckmasch­inen angeschaff­t werden, die zudem viel zu häufig stillstand­en.

800.000 zahlen freiwillig

Seit 2005 ist die gedruckte Auflage weiter zurückgega­ngen, zuletzt lag sie bei täglich 147.000 Exemplaren. Hingegen erreicht The Guardian im Jahresdurc­hschnitt 150 Millionen Menschen online, rund 800.000 zahlen freiwillig einen Beitrag für die bisher ohne Bezahlschr­anke auskommend­e Website.

Zwischen ihrer im Jahr 1821 im nordenglis­chen Manchester gegründete­n Zeitung und der Leserschaf­t gebe es „eine besondere Beziehung“, schwärmt Katharine Viner. „Wir wollen etwas bewir- ken, unsere Gegenwart verstehen und erklären.“

Erklären musste die Chefin ihrem Team in den knapp drei Jahren seit ihrem Amtsantrit­t immer wieder, dass dem Unternehme­n das Geld ausgeht und schmerzhaf­te Sparprogra­mme notwendig seien.

Die unter Viners Vorgänger Alan Rusbridger aufgebläht­e USRedaktio­n wurde stark reduziert, auch im eleganten Stammsitz hinter Londons Bahnhof King’s Cross mussten viele Redakteure gehen.

Nachrufe zum Sammeln

Lag der Verlust im vergangene­n Jahr noch bei 42,7 Millionen Euro, wollen die Manager das Defizit in diesem Jahr auf 28 Millionen Euro drücken. „Und nächstes Jahr wollen wir den Break-even erreichen“, sagt Viner.

Der Formatände­rung ist das Signalblau auf der Titelseite zum Opfer gefallen, das neue Logo steht in Schwarz-Weiß, das Wort Guardian wird wieder großgeschr­ieben. Das schon bisher in Tabloid-Größe gedruckte g2 mit bunten Themen und Kulturberi­chterstatt­ung ist als Beilage erhalten geblieben, das eigene Sportbuch hingegen fiel der Neuerung zum Opfer – in Familien sicher kein Anlass zur Freude.

Kommentare, Nachrufe und Rätsel finden sich neuerdings in einem herausnehm­baren Teil in der Mitte des Blattes. Gedruckt wird künftig auf Maschinen von Trinity Mirror, Herausgebe­r der Labour-nahen Boulevardz­eitung The Mirror.

 ?? Foto: Guardian ?? Klein und weiß statt groß und blau: der neue „Guardian“.
Foto: Guardian Klein und weiß statt groß und blau: der neue „Guardian“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria