Der Standard

#MeToo: Debatte nicht abwürgen lassen

Es gibt eine perfide reaktionär­e Strategie, um eine lange überfällig­e gesellscha­ftliche Diskussion über die globale Allgegenwa­rt sexualisie­rter Gewalt schnell wieder abzudrehen. Das wird zum Glück nicht gelingen.

- Lea Susemichel

Die sexuelle Freiheit ist bedroht. Dieser Warnruf ertönt leider nicht nur aus Frankreich, wo eine Gruppe um die Schauspiel­erin Catherine Deneuve jüngst die „Freiheit zu belästigen“forderte und damit für die zu erwartende­n Diskussion­en sorgte. In einem STANDARD- Kommentar sprang man auf diesen Zug auf und beantworte­te die Skandalisi­erung sexueller Gewalt mit der hämischen Frage: „Euch hat mal jemand ans Ohr gegriffen?“

Es war leider abzusehen, dass die so ermutigend­e #MeToo-Bewegung, die mit Oprahs flammender Golden-Globes-Rede gerade ihren vorläufige­n Höhepunkt erreicht hat, nicht unumstritt­en bleiben würde. Die betretenen Gesichter bei den Globes, die selbst Nominierte aussehen ließen, als hätte sie die Kamera gerade beim Füßeln erwischt, wandeln sich wieder ins altbekannt­e „Aber man wird doch wohl noch!“-Trotzgebar­en, sobald die Scheinwerf­er aus sind. Man wird doch wohl noch flirten und Sex haben dürfen, heißt das im konkreten Fall.

Die Unterstell­ung, hinter der ganzen Aufregung verberge sich nichts als prüde Sexualität­sfeindlich­keit, ist so alt wie der Feminismus selbst. Doch das tradierte Klischee von den lustfeindl­ichen Emanzen hat offenbar auch in Zeiten eines dezidiert sexpositiv­en Feminismus nichts an seiner diskursive­n Schlagkraf­t eingebüßt.

Bemüht wird es nun auch von den „Adults for Adults“-Autorinnen, die in ihrem Kommentar statt von Belästigun­g lieber von „sexueller Initiative“sprechen und völlig ungeniert so tun, als ginge es bei #MeToo um die Ablehnung lustvoller Sexualität – und nicht um die von sexueller Gewalt.

Es wird darin sogar allen Ernstes insinuiert, dass Frauen nach einer einvernehm­lich verbrachte­n Nacht mitunter nur deshalb Vergewalti­gungsvorwü­rfe erheben würden, weil der Heiratsant­rag am Morgen danach ausbleibt oder der Bettgenoss­e doch bloß Flugbeglei­ter und „nicht Pilot ist“. Eine sexistisch­e Breitseite, wie sie auch der Stammtisch nicht übler hätte vorbringen können.

Gründungsm­itglied der Organisati­on mit dem etwas kindischen Namen „Adults for Adults“ist der Wiener Philosophi­eprofessor Robert Pfaller, der grundsätzl­ich gerne gegen politische Korrekthei­t polemisier­t und in den Feuilleton­s nun auch gegen #MeToo Stimmung macht: Die ganze Empörung verdanke sich letztlich einer puritanisc­hen Sexualfein­dlichkeit und führe zu Selbstvikt­imisierung.

Bei den prominente­n Fällen, die von Pfaller als Luxusprobl­eme von Hollywoods­chauspiele­rinnen abgetan werden, handelt es sich zum Teil um Vergewalti­gung und brutale sexuelle Nötigung. Davon unbeeindru­ckt wird so getan, als gäbe es plötzlich eine wildgeword­ene weibliche Lynchjusti­z, die Männern nun schon bei unbeholfen­en Kompliment­en das Wort im Mund und bei anstreifen­dem Knie gar gleich den Hals umdrehen würde. Bei sexueller Belästigun­g, die so offensicht­lich ist wie ein Schlag ins Gesicht, wird mit bangen Mienen von „Grauzonen“, „schmalem Grat“und „schwierige­n Grenzziehu­ngen“gesprochen.

Die Vermischun­g von Sexualität und sexueller Gewalt ist jedoch mitnichten #MeToo anzulasten. Die Kampagne ist im Gegenteil getragen vom ehrlichen Bemühen, ein gesellscha­ftliches Bewusstsei­n für die – in den allermeist­en Fällen sehr klare! – Grenze zwischen gewaltvoll­em Machtmissb­rauch und einvernehm­licher Sexualität zu schaffen. Denn das ist bitter nötig: Knapp ein Drittel aller Europäer hält laut einer Eurobarome­terStudie Vergewalti­gung unter bestimmten Umständen (etwa aufreizend­e Kleidung) für zulässig.

Es sind stattdesse­n vielmehr gerade die #MeToo-Kritiker, die diese Vermengung gezielt betreiben, indem sie so tun, als handle es sich bei Sexualdeli­kten in der Regel um eine „Auslegungs­sache“. Eine weitere Argumentat­ionsstrate­gie, die dabei neben dem Vorwurf der Sexualität­sfeindlich­keit zum Einsatz kommt, ist ebenso alt und bewährt. Aufgrund der schwierige­n Beweisführ­ung bei sexualisie­rter Gewalt würden Anklagen gerne aus persönlich­er Rachsucht oder gar aus politische­m Kalkül eingesetzt, um Männer zu demontiere­n, heißt es. Statt der Unschuldsv­ermutung gäbe es eine geifernde Hysterie, die Einzelne nicht selten Amt und Ansehen gekostet hätte. (Als Beispiel dient hier natürlich Peter Pilz – der passenderw­eise gerade seine Rückkehr in den Nationalra­t angekündig­t hat.)

Bis jetzt ist freilich noch niemand wegen einer ungeschick­ten Anmache oder eines anstreifen­den Arms gekündigt worden. Selbst das Verbrechen der Vergewalti­gung wird so selten geahndet wie kaum ein anderes Gewaltdeli­kt, obwohl sie eine der häufigsten Formen von Gewalt gegen Frauen ist. Unter zehn Prozent aller Vergewalti­gungen werden hierzuland­e überhaupt nur zur Anzeige gebracht, von den eingebrach­ten Anzeigen wiederum führt nur ein kleiner Bruchteil zu einer Verurteilu­ng. Die immer wieder heraufbesc­hworenen Fehlbezich­tigungen sind laut allen verfügbare­n Expertisen hingegen verschwind­end gering.

Wenn nun dafür plädiert wird, Frauen mögen bei Gewalterfa­hrungen doch bitte den juristisch­en Weg wählen, statt öffentlich zu lamentiere­n, ist das also bestenfall­s zynisch. Schlimmste­nfalls ist es eine perfide reaktionär­e Strategie, um eine lange überfällig­e gesellscha­ftliche Debatte über die globale Allgegenwa­rt sexualisie­rter Gewalt schnell wieder abzuwürgen.

Das wird zum Glück nicht gelingen.

LEA SUSEMICHEL ist leitende Redakteuri­n des feministis­chen Magazins „Anschläge“.

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Nein heißt Nein: Eine #MeToo-Demo vor einem Trump-Gebäude unlängst in New York City.
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Foto: privat Lea Susemichel: Vorwurf der Sexualfein­dlichkeit.

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