FP- Generalsekretär: Kurz bewegt sich auf blauen EU-Kurs zu
Vilimsky will europakritische Kräfte einen Furor über Strache-Interview zu Bosnien
Straßburg/Wien – Der FPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, Generalsekretär Harald Vilimsky, sieht keinen Grund für seine Partei, ihren EU-skeptischen Kurs wegen der Regierungsbeteiligung zu ändern. Die FPÖ sei eigentlich „die erste Europapartei überhaupt im Land“gewesen, sagte er im Standard- Interview in Straßburg.
Man habe immer gesagt, „wir wollen ein Europa nach dem Modell von Charles de Gaulle, ein Europa der Nationen, wo jeder Platz finden kann“– bereits bevor Jörg Haider 1986 Parteichef wurde. Daran habe sich nichts geändert. Die Freiheitlichen seien erst wegen des EU-Vertrages von Maastricht mit der Euroeinführung EU-kritisch geworden.
Mit der Bildung der türkis-blauen Koalition habe sich nun aber die ÖVP, die für den „Zentralismus“in Brüssel gewesen sei, geändert: Sie „bewegt sich thematisch auf uns zu“, erklärte der Generalsekretär. Den EU-Vertrag und den Euro will er nicht infrage stellen. Es sei ein Faktum, dass die Mehrheit das wolle.
Vilimsky sieht auch keinen Grund, dass die FPÖ aus der von den übrigen EU-Fraktionen isolierten Gruppe der extrem rechten Parteien mit dem Front National von Marine Le Pen austreten solle. Allerdings: Die gelte nur bis zu den Europawahlen im Mai 2019. Dann werde es durch den Brexit ohnehin zu einer Neuordnung der drei EU-kritischen bis skeptischen Fraktionen kommen. Vilimsky strebt an, dass 2017 geklärt wird, dass „im Idealfall“alle drei Gruppen eine EU-kritische Rechtsfraktion bilden.
Ein nun bekannt gewordenes Interview, dass Vilimskys Parteichef Heinz-Christian Strache im Herbst 2017 gab, in dem er für eine Abtrennung des serbischen Landesteils von Bosnien-Herzegowina eintritt, sorgt im In- und Ausland für Empörung. (red)
Standard: Die FPÖ war bisher als Mitglied in der Le-Pen-Fraktion im Europaparlament in Totalopposition zur EU, hat sich das mit dem Eintritt in die Regierung geändert? Vilimsky: Wir waren nie in einer Totalkonfrontation. Wir hatten eine Linie, die wir akzentuiert vorgetragen haben. Nach den Wahlen waren wir mit einer Partei in Verhandlung, die sich in Richtung unserer Linie bewegt hat.
Standard: Die ÖVP, die sich als die Europapartei sieht? Vilimsky: Genau. Die Kurz-ÖVP bewegt sich thematisch auf uns zu. Ob das strategisch war, ob es wirklich Ausdruck der Kurz-Gruppe innerhalb der ÖVP ist, ob die ÖVP gesehen hat, dass sie damit an ein größeres Wählerreservoir herankommen kann, das ist eine Frage, die sie beantworten muss. Wir haben uns in vielen Bereichen gefunden. Jeder hat Kompromisse machen müssen.
Standard: Inwieweit hat die ÖVP Positionen der FPÖ übernommen? Vilimsky: Das ist jetzt Ihre Interpretation. Ich behaupte, die FPÖ war die erste Europapartei überhaupt im Land.
Standard: Historisch ja, vor Jahrzehnten, noch bevor Jörg Haider 1986 die Parteiführung übernahm. Vilimsky: Davon haben wir nie Abstand genommen. Wir haben immer gesagt, wir wollen ein Europa nach dem Modell von Charles de Gaulle, ein Europa der Nationen, wo jeder Platz finden kann. Wir haben mehr auf den souveränen Aspekt der Nationen gesetzt, während die ÖVP dieses Zentralisierungsmodell favorisiert hat.
Standard: Die Haider-FPÖ war 1994 vehement gegen den EU-Beitritt. War das proeuropäisch? Vilimsky: Damals war Maastricht. In dieser Form haben wir das nicht für positiv befunden.
Standard: Den EU-Vertrag von Maastricht 1992, der die Währungsunion, den Euro vorsah? Vilimsky: Genau, das ging mit dem Lissabon-Vertrag weiter, bei dem wir erkannt hatten, dass darüber nicht jener Dialog stattgefunden hat, der eigentlich notwendig gewesen wäre. Man hat mit diesem Lissabon-Vertrag jene EU-Verfassung hineingeschwindelt, die vorher in demokratischen Abstimmungen in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt wurde. All das, was an weiteren Vertiefungen heute stattfindet, hat ebenfalls nicht unser Wohlwollen, zum Beispiel die Energieunion.
Standard: Das heißt, die Position zur Europäischen Union hat sich durch die Regierungsfunktion nicht geändert? Vilimsky: Jein. Wir haben uns in Bezug auf geplante EU-Reformen auf das Szenario vier verständigt.
Standard: Mehr Subsidiarität, weniger EU-Regeln bei der Umsetzung auf nationaler Ebene. Vilimsky: Das ist das Beste, es beschreibt die Stoßrichtung, in die es gehen müsste. Dass wir in manchen Politikbereichen mehr EU haben als früher und auch tiefer gehen, damit können wir leben.
Standard: Wollen Sie wie Marine Le Pen den Euro rückabwickeln? Vilimsky: Es geht nicht um die Rückabwicklung des Euro. Aber die Reise soll aus unserer Sicht nicht in die weitere Vertiefung der Gemeinschaft gehen. Wir sagen, es soll manches in die nationalen Parlamente zurückgehen, auch unter Berücksichtigung der direkten Demokratie.
Standard: Aber das ist nicht das, was Bundeskanzler Sebastian Kurz gerade in Brüssel, Paris und Berlin erklärt hat. Er will Vertiefung in der Eurozone, bei Verteidigung, Sicherung der EU-Außengrenzen usw. Wie passt das zusammen? Vilimsky: Ich habe nichts dagegen, mehr Schutz der Außengrenzen vorzunehmen. Es passiert nur nicht. Ich habe auch nichts gegen den Euro. Er muss nur seine Aufgabe erfüllen, Kaufkraft erhalten.
Standard: Die ÖVP hat noch nie erklärt, sie wolle ein Europa nach dem Vorbild von Charles de Gaulle. Ein Widerspruch? Vilimsky: Wir sind Demokraten. Wenn eine satte Mehrheit der Österreicher diesen Kurs der Europäischen Union unterstützt, dann haben wir das zu akzeptieren. Faktum ist, wir haben diesen Maastricht-Vertrag. Ich kann ihn auch nicht rückabwickeln.
Standard: Die FPÖ wird wegen der Mitgliedschaft in der Fraktion der extrem rechten Parteien im EUParlament kritisiert. Wieso sind Sie in dieser Fraktion? Vilimsky: Erstens, weil es eine gute arbeitstechnische Basis für uns ist. Zweitens, weil wir Österreicher uns in dieser Fraktion völlig frei bewegen können. Der Front National will sich neu ausrichten. Standard: Die ENF-Fraktion wird von allen anderen geschnitten. Tritt die FPÖ aus? Vilimsky: Diese Frage stellt sich technisch nicht. Wir haben 15 Monate bis zu den Europawahlen.
Standard: Trotzdem klagen Sie, dass die ÖVP-Delegation in Straßburg mit Ihnen nicht kooperiert. Vilimsky: Ich glaube, wenn Sebastian Kurz sich durchsetzt, dann wird es bei der nächsten Listenerstellung für die EU-Wahlen eine Änderung geben. Ich sehe Delegationsleiter Othmar Karas in absolutem Widerspruch zu seiner Partei agieren.
Standard: Kurz selbst hätte gern, dass die FPÖ austritt. Vilimsky: Aber diesen Gefallen kann ich Ihnen nicht tun. Wir gieren nach dem Ansehen in der Bevölkerung und unserer Wähler. Wir haben in den Gesprächen mit Kurz vereinbart, dass internationale Allianzen kein Thema sind.
Standard: Dennoch haben Sie angedeutet, die Frage nach Fraktio- nen im EU-Parlament stelle sich nach den Europawahlen im Mai 2019 neu. Was streben Sie an? Vilimsky: Die Tories in der ECRFraktion werden nach dem EUAustritt Großbritanniens weg sein. Wir haben drei Fraktionen, die in unterschiedlicher Nuancierung EU-kritisch auftreten. Die Fraktion von Nigel Farage, die nur raus, raus, raus aus der EU will, die ECR und wir. Nach dem Brexit stellt sich die Frage, ob sich die ECR überhaupt erhalten kann. Farage ist weg. Dann gilt es zu schauen, wo sind bei den Abgeordneten kritische EU-Geister, die etwas Positives im Sinn haben. Wer das sein wird, wer da dabei sein wird, das werden die Gespräche im Lauf dieses Jahres sein.
Standard: Ihre Zielsetzung ist die Gründung einer neuen Fraktion? Vilimsky: Ziel ist, möglichst viele positive EU-Kritiker unter ein Dach zu bringen. Im Idealfall finden sich alle drei EU-kritischen Fraktionen unter einem Dach wieder, sodass sie für die anderen auch akzeptable Gesprächspartner sein können. Die Sorgen der anderen Parteien kommen ja nicht daher, dass wir so böse Sachen machen, sondern dass wir so große Erfolge bei den Wählern haben. Daher versucht man, uns mit Dämonisierung schlechtzumachen.
Standard: Kanzler Kurz hat die EU-Kompetenz ganz an sich gezogen, könnte er die FPÖ via Europa über den Tisch ziehen? Vilimsky: Dass die ÖVP sich mit Brüssel sehr in Verbindung sieht, ist klar. Europaminister Blümel sagte, es sei, wie wenn er nach Hause kommt. Ich habe nichts dagegen, dass im Gegenzug Außenministerin Karin Kneissl zwischen Washington, Peking, Moskau agiert.
Standard: Kurz kann über die EUPolitik auf fast alle Bereiche der Innenpolitik Einfluss nehmen. Vilimsky: Unsere Bewertung des Regierungspartners ist, dass diese Leute es sehr ehrlich meinen und ein Weg wechselseitigen Vertrauens gefunden werden konnte. Auch hat Kurz selbst es in seiner Partei nicht leicht. Ich sehe die ÖVP geteilt in eine türkise und eine schwarze Sektion und, dass wir beide einander brauchen. Man wird sich in Respekt wechselseitig begegnen. Ich orte beim Kanzler nicht, dass er jemand ist, der andere über den Tisch ziehen will.
HARALD VILIMSKY (51) EU-Abgeordneter und FPÖ-Generalsekretär, seit 2014 im EU-Parlament, Vizepräsident der Fraktion „Europa der Nationen und Freiheit“(ENF), 2015 von Front-National-Chefin Marine Le Pen und sechs Rechtsparteien gegründet. pLangfassung des Interviews auf
Die Frage nach dem Austritt aus der Fraktion stellt sich nicht, haben 15 Monate bis EUWahl.