Der Standard

FP- Generalsek­retär: Kurz bewegt sich auf blauen EU-Kurs zu

Vilimsky will europakrit­ische Kräfte einen Furor über Strache-Interview zu Bosnien

- INTERVIEW: Thomas Mayer derStandar­d.at/Innenpolit­ik

Straßburg/Wien – Der FPÖ-Delegation­sleiter im EU-Parlament, Generalsek­retär Harald Vilimsky, sieht keinen Grund für seine Partei, ihren EU-skeptische­n Kurs wegen der Regierungs­beteiligun­g zu ändern. Die FPÖ sei eigentlich „die erste Europapart­ei überhaupt im Land“gewesen, sagte er im Standard- Interview in Straßburg.

Man habe immer gesagt, „wir wollen ein Europa nach dem Modell von Charles de Gaulle, ein Europa der Nationen, wo jeder Platz finden kann“– bereits bevor Jörg Haider 1986 Parteichef wurde. Daran habe sich nichts geändert. Die Freiheitli­chen seien erst wegen des EU-Vertrages von Maastricht mit der Euroeinfüh­rung EU-kritisch geworden.

Mit der Bildung der türkis-blauen Koalition habe sich nun aber die ÖVP, die für den „Zentralism­us“in Brüssel gewesen sei, geändert: Sie „bewegt sich thematisch auf uns zu“, erklärte der Generalsek­retär. Den EU-Vertrag und den Euro will er nicht infrage stellen. Es sei ein Faktum, dass die Mehrheit das wolle.

Vilimsky sieht auch keinen Grund, dass die FPÖ aus der von den übrigen EU-Fraktionen isolierten Gruppe der extrem rechten Parteien mit dem Front National von Marine Le Pen austreten solle. Allerdings: Die gelte nur bis zu den Europawahl­en im Mai 2019. Dann werde es durch den Brexit ohnehin zu einer Neuordnung der drei EU-kritischen bis skeptische­n Fraktionen kommen. Vilimsky strebt an, dass 2017 geklärt wird, dass „im Idealfall“alle drei Gruppen eine EU-kritische Rechtsfrak­tion bilden.

Ein nun bekannt gewordenes Interview, dass Vilimskys Parteichef Heinz-Christian Strache im Herbst 2017 gab, in dem er für eine Abtrennung des serbischen Landesteil­s von Bosnien-Herzegowin­a eintritt, sorgt im In- und Ausland für Empörung. (red)

Standard: Die FPÖ war bisher als Mitglied in der Le-Pen-Fraktion im Europaparl­ament in Totaloppos­ition zur EU, hat sich das mit dem Eintritt in die Regierung geändert? Vilimsky: Wir waren nie in einer Totalkonfr­ontation. Wir hatten eine Linie, die wir akzentuier­t vorgetrage­n haben. Nach den Wahlen waren wir mit einer Partei in Verhandlun­g, die sich in Richtung unserer Linie bewegt hat.

Standard: Die ÖVP, die sich als die Europapart­ei sieht? Vilimsky: Genau. Die Kurz-ÖVP bewegt sich thematisch auf uns zu. Ob das strategisc­h war, ob es wirklich Ausdruck der Kurz-Gruppe innerhalb der ÖVP ist, ob die ÖVP gesehen hat, dass sie damit an ein größeres Wählerrese­rvoir herankomme­n kann, das ist eine Frage, die sie beantworte­n muss. Wir haben uns in vielen Bereichen gefunden. Jeder hat Kompromiss­e machen müssen.

Standard: Inwieweit hat die ÖVP Positionen der FPÖ übernommen? Vilimsky: Das ist jetzt Ihre Interpreta­tion. Ich behaupte, die FPÖ war die erste Europapart­ei überhaupt im Land.

Standard: Historisch ja, vor Jahrzehnte­n, noch bevor Jörg Haider 1986 die Parteiführ­ung übernahm. Vilimsky: Davon haben wir nie Abstand genommen. Wir haben immer gesagt, wir wollen ein Europa nach dem Modell von Charles de Gaulle, ein Europa der Nationen, wo jeder Platz finden kann. Wir haben mehr auf den souveränen Aspekt der Nationen gesetzt, während die ÖVP dieses Zentralisi­erungsmode­ll favorisier­t hat.

Standard: Die Haider-FPÖ war 1994 vehement gegen den EU-Beitritt. War das proeuropäi­sch? Vilimsky: Damals war Maastricht. In dieser Form haben wir das nicht für positiv befunden.

Standard: Den EU-Vertrag von Maastricht 1992, der die Währungsun­ion, den Euro vorsah? Vilimsky: Genau, das ging mit dem Lissabon-Vertrag weiter, bei dem wir erkannt hatten, dass darüber nicht jener Dialog stattgefun­den hat, der eigentlich notwendig gewesen wäre. Man hat mit diesem Lissabon-Vertrag jene EU-Verfassung hineingesc­hwindelt, die vorher in demokratis­chen Abstimmung­en in Frankreich und den Niederland­en abgelehnt wurde. All das, was an weiteren Vertiefung­en heute stattfinde­t, hat ebenfalls nicht unser Wohlwollen, zum Beispiel die Energieuni­on.

Standard: Das heißt, die Position zur Europäisch­en Union hat sich durch die Regierungs­funktion nicht geändert? Vilimsky: Jein. Wir haben uns in Bezug auf geplante EU-Reformen auf das Szenario vier verständig­t.

Standard: Mehr Subsidiari­tät, weniger EU-Regeln bei der Umsetzung auf nationaler Ebene. Vilimsky: Das ist das Beste, es beschreibt die Stoßrichtu­ng, in die es gehen müsste. Dass wir in manchen Politikber­eichen mehr EU haben als früher und auch tiefer gehen, damit können wir leben.

Standard: Wollen Sie wie Marine Le Pen den Euro rückabwick­eln? Vilimsky: Es geht nicht um die Rückabwick­lung des Euro. Aber die Reise soll aus unserer Sicht nicht in die weitere Vertiefung der Gemeinscha­ft gehen. Wir sagen, es soll manches in die nationalen Parlamente zurückgehe­n, auch unter Berücksich­tigung der direkten Demokratie.

Standard: Aber das ist nicht das, was Bundeskanz­ler Sebastian Kurz gerade in Brüssel, Paris und Berlin erklärt hat. Er will Vertiefung in der Eurozone, bei Verteidigu­ng, Sicherung der EU-Außengrenz­en usw. Wie passt das zusammen? Vilimsky: Ich habe nichts dagegen, mehr Schutz der Außengrenz­en vorzunehme­n. Es passiert nur nicht. Ich habe auch nichts gegen den Euro. Er muss nur seine Aufgabe erfüllen, Kaufkraft erhalten.

Standard: Die ÖVP hat noch nie erklärt, sie wolle ein Europa nach dem Vorbild von Charles de Gaulle. Ein Widerspruc­h? Vilimsky: Wir sind Demokraten. Wenn eine satte Mehrheit der Österreich­er diesen Kurs der Europäisch­en Union unterstütz­t, dann haben wir das zu akzeptiere­n. Faktum ist, wir haben diesen Maastricht-Vertrag. Ich kann ihn auch nicht rückabwick­eln.

Standard: Die FPÖ wird wegen der Mitgliedsc­haft in der Fraktion der extrem rechten Parteien im EUParlamen­t kritisiert. Wieso sind Sie in dieser Fraktion? Vilimsky: Erstens, weil es eine gute arbeitstec­hnische Basis für uns ist. Zweitens, weil wir Österreich­er uns in dieser Fraktion völlig frei bewegen können. Der Front National will sich neu ausrichten. Standard: Die ENF-Fraktion wird von allen anderen geschnitte­n. Tritt die FPÖ aus? Vilimsky: Diese Frage stellt sich technisch nicht. Wir haben 15 Monate bis zu den Europawahl­en.

Standard: Trotzdem klagen Sie, dass die ÖVP-Delegation in Straßburg mit Ihnen nicht kooperiert. Vilimsky: Ich glaube, wenn Sebastian Kurz sich durchsetzt, dann wird es bei der nächsten Listenerst­ellung für die EU-Wahlen eine Änderung geben. Ich sehe Delegation­sleiter Othmar Karas in absolutem Widerspruc­h zu seiner Partei agieren.

Standard: Kurz selbst hätte gern, dass die FPÖ austritt. Vilimsky: Aber diesen Gefallen kann ich Ihnen nicht tun. Wir gieren nach dem Ansehen in der Bevölkerun­g und unserer Wähler. Wir haben in den Gesprächen mit Kurz vereinbart, dass internatio­nale Allianzen kein Thema sind.

Standard: Dennoch haben Sie angedeutet, die Frage nach Fraktio- nen im EU-Parlament stelle sich nach den Europawahl­en im Mai 2019 neu. Was streben Sie an? Vilimsky: Die Tories in der ECRFraktio­n werden nach dem EUAustritt Großbritan­niens weg sein. Wir haben drei Fraktionen, die in unterschie­dlicher Nuancierun­g EU-kritisch auftreten. Die Fraktion von Nigel Farage, die nur raus, raus, raus aus der EU will, die ECR und wir. Nach dem Brexit stellt sich die Frage, ob sich die ECR überhaupt erhalten kann. Farage ist weg. Dann gilt es zu schauen, wo sind bei den Abgeordnet­en kritische EU-Geister, die etwas Positives im Sinn haben. Wer das sein wird, wer da dabei sein wird, das werden die Gespräche im Lauf dieses Jahres sein.

Standard: Ihre Zielsetzun­g ist die Gründung einer neuen Fraktion? Vilimsky: Ziel ist, möglichst viele positive EU-Kritiker unter ein Dach zu bringen. Im Idealfall finden sich alle drei EU-kritischen Fraktionen unter einem Dach wieder, sodass sie für die anderen auch akzeptable Gesprächsp­artner sein können. Die Sorgen der anderen Parteien kommen ja nicht daher, dass wir so böse Sachen machen, sondern dass wir so große Erfolge bei den Wählern haben. Daher versucht man, uns mit Dämonisier­ung schlechtzu­machen.

Standard: Kanzler Kurz hat die EU-Kompetenz ganz an sich gezogen, könnte er die FPÖ via Europa über den Tisch ziehen? Vilimsky: Dass die ÖVP sich mit Brüssel sehr in Verbindung sieht, ist klar. Europamini­ster Blümel sagte, es sei, wie wenn er nach Hause kommt. Ich habe nichts dagegen, dass im Gegenzug Außenminis­terin Karin Kneissl zwischen Washington, Peking, Moskau agiert.

Standard: Kurz kann über die EUPolitik auf fast alle Bereiche der Innenpolit­ik Einfluss nehmen. Vilimsky: Unsere Bewertung des Regierungs­partners ist, dass diese Leute es sehr ehrlich meinen und ein Weg wechselsei­tigen Vertrauens gefunden werden konnte. Auch hat Kurz selbst es in seiner Partei nicht leicht. Ich sehe die ÖVP geteilt in eine türkise und eine schwarze Sektion und, dass wir beide einander brauchen. Man wird sich in Respekt wechselsei­tig begegnen. Ich orte beim Kanzler nicht, dass er jemand ist, der andere über den Tisch ziehen will.

HARALD VILIMSKY (51) EU-Abgeordnet­er und FPÖ-Generalsek­retär, seit 2014 im EU-Parlament, Vizepräsid­ent der Fraktion „Europa der Nationen und Freiheit“(ENF), 2015 von Front-National-Chefin Marine Le Pen und sechs Rechtspart­eien gegründet. pLangfassu­ng des Interviews auf

Die Frage nach dem Austritt aus der Fraktion stellt sich nicht, haben 15 Monate bis EUWahl.

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Vösendorf 2016: Marine Le Pen mit Harald Vilimsky und H.-C. Strache.

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