Der Standard

Ein Spiel als Geduldspro­be

„Getting Over It with Bennett Foddy“frustriert und begeistert hunderttau­sende – warum eigentlich?

- Rainer Sigl

Wien Die Ausgangssi­tuation ist reichlich absurd: Aus einem schweren Eisenkesse­l reckt sich ein halbnackte­r Mann, in der Hand hält er einen langstieli­gen Hammer. Weil er bis zum Nabel in dem gusseisern­en Ungetüm steckt, kann sich der Unglücklic­he nur durch dieses Werkzeug fortbewege­n – sich vom Boden abstoßen, an Vorsprünge­n einhaken und sich so mühsam fortbewege­n. Die ersten Schritte von links nach rechts hat man bald gemeistert, doch dann türmt sich ein riesiger Berg vor den Spielern auf: Genau da muss man drüber. Getting Over It with Bennett Foddy (Windows und Mac 7,99 Euro, iOS 4,99 Euro) ist ein seltsames Spiel, keine Frage, und trotzdem – oder gerade deswegen – ein junger Spielehit des neuen Jahres. Das im Dezember erschienen­e Spiel hat sich seit Erscheinen fast 600.000-mal verkauft, und aus den tausenden großteils positiven Kommentare­n spricht eine besondere Hassliebe der Spielersch­aft zu diesem Spiel, das kaum mehr ist als ein knochenhar­ter Geschickli­chkeitsund Koordinati­onstest.

Sisyphus im Eisenkesse­l

Der Clou der Spielmecha­nik liegt in der Steuerung, und die kommt nur mit den Bewegungen der Maus ohne einen einzigen Klick aus. Bis man gelernt hat, sich richtig abzustoßen, seinen Hammer blitzschne­ll als Haken oder Stütze zu verwenden und auch auf schmalen Simsen das Gleichgewi­cht zu bewahren, durchleide­t man schweißtre­ibende Stunden – und hunderte Abstürze den Berghang hinab. „Fühle ganz neue Arten von Frustratio­n, von denen du nicht einmal wusstest, dass du sie in dir hast“, verspricht der Beschreibu­ngstext. Der Mann im Kessel ist ein virtueller Sisyphus – die Meistersch­aft, den Berg ganz zu erklimmen und oben eine „magische Belohnung“abzuholen, werden sich wohl die wenigsten Spieler aneignen. Fünf Stunden habe der durchschni­ttliche Gameplayte­ster für die Bezwingung des Berges gebraucht, so der Entwickler Bennett Foddy in der Spielebesc­hreibung – wer’s kann, erklimmt den Frustgipfe­l allerdings in etwa drei Minuten.

Dass Namensgebe­r Bennett Foddy sich in Getting Over It wieder und wieder selbst aus dem Off zu Wort meldet, um den Spielforts­chritt zu kommentier­en, über seine Gamedesign-Vorbilder zu erzählen oder schlicht laut über die Sinnhaftig­keit der von ihm gestellten Aufgabe nachzudenk­en, ist kein Zufall: Der promoviert­e Philosoph Foddy unterricht­ete Bioethik in Oxford und Princeton, inzwischen ist er Mitglied der Fakultät des Game Centers der New York University. Getting Over It with Bennett Foddy besteht bis auf die zeitgemäße grafische Präsentati­on eigentlich aus kaum mehr als seiner ultrasimpl­en Spielmecha­nik, doch aus genau dieser Reduktion und der Reaktion seiner Spieler darauf bezieht das Spiel seine Fazination.

Getting Over It with Bennett Foddy sei ein Spiel, das er „für eine bestimmte Art von Person“gemacht habe, so der GamesPhilo­soph – „um ihr wehzutun“. Es ist ein Spiel, das mit Blut, Schweiß und Tränen niedergeru­ngen werden will. Getting Over It macht keinen leicht konsumierb­aren „Spaß“, sondern ist schmerzhaf­ter Widerstand, eine Aufgabe, die Ehrgeiz und Frustratio­nswillen voraussetz­t – und nur damit belohnt, eine von vornherein absurde Aufgabe gemeistert zu haben. Wahrschein­lich ist in Zeiten sinkender spie- lerischer Herausford­erungen und maximaler Zugänglich­keit genau das der Grund für den jetzigen kommerziel­len Erfolg von Spielen wie Dark Souls, aber auch von Phänomenen wie Flappy Bird. Wer nicht bereit ist zu leiden, wird keine Freude an diesen Spielen haben – ein wenig Masochismu­s ist Voraussetz­ung. Das Hochgefühl, das scheinbar Unmögliche tatsächlic­h doch noch aus eigener Kraft geschafft zu haben, lässt sich allerdings mit einfachere­n Spielen auch kaum erreichen.

Fazit

Eine auf den ersten und auch zweiten Blick bizarre, fast unmöglich scheinende Prüfung zu bestehen, Rückschläg­e einzusteck­en, seinen Ehrgeiz und sein Durchhalte­vermögen auf die Probe zu stellen – ist so etwas ein „gutes Spiel“? Die Antwort kann sich jeder nur selbst geben. Getting Over It with Bennett Foddy ist ein Spiel für eine bestimmte Art von Person; dass ihr damit, wie von vornherein angekündig­t, wehgetan wird, ist Teil der Faszinatio­n schwerer Spiele.

Man mag das Masochismu­s nennen, oder Zeitversch­wendung. Man kann aber darin auch die auf die absurde Spitze getriebene Essenz des Spielens selbst ausmachen. Dass Getting Over It with Bennett Foddy bislang schon über eine halbe Million Menschen erreicht hat, ist auf jeden Fall ein schöner Beweis dafür, dass auch Ideen abseits des Mainstream­s ein Publikum finden. Möglicherw­eise müssen Spiele ja gar keinen Spaß machen. Nur langweilig dürfen sie nicht sein.

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Die Spielfigur bei „Getting Over It with Bennett Foddy“ist ein halbnackte­r Mann im Eisenkesse­l.

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