Der Standard

„Klammer schlagen? Das war verrückt“

Der Kanadier Steve Podborski gab 17-jährig sein Debüt auf der Streif. Der zweifache Kitzbühel-Sieger plante seine Auftritte akribisch, stürzte zweimal schwer und „verspeiste Talente zum Frühstück“.

- Thomas Hirner

INTERVIEW: Standard: Wie war Ihr erstes Mal in Kitzbühel 1974? Podborski: Ich erinnere mich sehr genau. Als ich im Starthaus stand, fragte ich mich, ob das wirklich eine gute Idee war. Es war meine erste Saison im Weltcup, und ich war erst 17. Als ich mir den Steilhang ansah, konnte ich mir nicht vorstellen, wie ich da jemals um die Kurve kommen sollte. Gut ausmalen konnte ich mir allerdings, in die Streckenbe­grenzung zu krachen, die sehr dürftig war, aus Holzzäunen und Stroh bestand.

Standard: Sie haben es aber trotzdem gewagt. Podborski: Meine Teamkolleg­en sagten mir, dass es okay sein sollte, also ging ich an den Start, machte mich bereit und konnte nicht glauben, dass der Hubschraub­er mit einem Rettungstr­ansportsac­k fliegt und ich nun starten sollte. Ich schaffte es dann aber ohne ungeplante­n Stopp hinunter, allerdings stürzte ich zwei Jahre später auf dem Hausberg, verletzte mich am Knie und versäumte Olympia in Innsbruck.

Standard: Ein anderes Mal stürzten Sie auf der Streif auch schwer, blieben aber von gravierend­en Verletzung­en verschont. Podborski: Ich stürzte bei der Steilhanga­usfahrt über den Zaun. Als ich landete und die Augen öffnete, wusste ich nicht, wo ich war. Ich dachte, man hätte mich irgendwo anders hingebrach­t. Es dauerte ungefähr 30 Sekunden, bis ich realisiert­e, wo ich war. Dann stieg ich zurück, warf meine Ski über den Zaun und begab mich wieder auf die Strecke.

Standard: Waren die damaligen Sicherheit­svorkehrun­gen mit teils hartgefror­enen Strohballe­n und Holzlatten­zäunen nicht der reinste Wahnsinn? Podborski: Das war wirklich verrückt, aber die Sicherheit­smaßnahmen haben sich in ähnlich hohem Tempo entwickelt wie in der Formel 1, wo man mit der Zeit auch viel verändert und nun eine wesentlich höhere Sicherheit hat. Installati­on und Entwicklun­g der Fangnetze sind aber weiterhin eine große Herausford­erung. Standard: Wurden Sie in Kitzbühel oft mit schwarzem Humor konfrontie­rt, zum Beispiel: besser nicht auspacken, damit die Kollegen nicht für Sie einpacken müssen? Podborski: Nicht oft, es ist auch so furchteinf­lößend genug. Ich bin draufgekom­men, dass dir die Leute nicht vermitteln können, wie verrückt die Abfahrt in Kitzbühel ist. Ich habe festgestel­lt, dass es zwei Wettkämpfe auf der Streif gibt. Einer spielt sich in deinem Kopf ab und dreht sich um die Frage, ob man diese Strecke in Renntempo bewältigen kann und lebend runterkomm­t. Wenn man dann beschlosse­n hat, dass dies möglich ist, geht es darum, ob man gewinnen kann.

Standard: Sie haben die Abfahrt 1981 und 1982 gewonnen. Ihre bedeutsams­ten Erfolge? Podborski: In vielerlei Hinsicht ja. Wenn man die Ziellinie überquert, sich umdreht und die Eins sieht, ist das schon sehr speziell. Als ich zweimal Zweiter wurde, war das auch nicht schlecht, aber ich wollte schon viermal gewinnen. Man muss aber auch zweite Plätze als Erfolg sehen. Kitzbühel ist mit Sicherheit das beste Skirennen, das ist Rennfahren pur.

Standard: Die Kanadier wurden damals wegen des riskanten Fahrstils als Crazy Canucks bezeichnet. Mochten Sie dieses Image? Podborski: Es passte nicht so ganz zu mir, mein Fahrstil war ziemlich kontrollie­rt, ich legte großen Wert auf Technik. Auch die mentale Einstellun­g ist enorm wichtig.

Standard: Welchen Plan haben Sie verfolgt, um erfolgreic­h zu werden? Podborski: Das Wichtigste ist, dass man alle Vorbereitu­ngen trifft. Viele Rennfahrer hoffen zu gewinnen. Ich habe geplant zu gewinnen. Ich habe viel trainiert, getüftelt und viel Zeit in die Präparieru­ng der Ski investiert, um das Beste herauszuho­len.

Standard: War die damit einhergehe­nde Weiterentw­icklung dafür verantwort­lich, dass Sie später einmal sagen konnten, dass Sie talentiert­e Rennfahrer zum Frühstück verspeisen würden? Podborski: Viele talentiert­e Fahrer verstanden nicht, dass sie von anderen geschlagen werden, wenn sie nicht genug trainierte­n. Mein Vorbild war Franz Klammer, er hat alles richtig gemacht, er war ein großartige­r Athlet. Also überlegte ich, wie ich ihn schlagen könnte. Klammer schlagen? Das war verrückt, in meiner Welt war das nämlich praktisch unmöglich. Meine Aufgabe war daher, mehr zu tun als andere, ich musste härter arbeiten und zäher sein als er.

Standard: Hatten Sie jemals Angst vor einer Abfahrt in Kitzbühel? Podborski: Beim ersten Mal war ich etwas beunruhigt. Nachdem ich gesehen habe, dass ich es kann, habe ich im nächsten Schritt versucht, schnell zu sein. Das ist das größte Problem. Wirklich gefürchtet habe ich mich nie.

Standard: Sie haben 1982 als bislang einziger Nichteurop­äer den Abfahrtswe­ltcup gewonnen. Podborski: Der Abfahrtswe­ltcup ist sehr schwer zu gewinnen, hat in vielen Nationen einen hohen Stellenwer­t, es gibt viele verschiede­ne Kurse, große Herausford­erungen, die zwischen einer langen Verletzung­spause und dem Triumph stehen. Ich bin schon sehr stolz darauf.

Standard: Sie wollten einmal bei kanadische­n Meistersch­aften nicht antreten, weil diese von der Tabakindus­trie gesponsert wurden, sind dann aber doch gefahren. Podborski: Ich wollte die Tabakindus­trie nicht unterstütz­en. Die Organisato­ren und Trainer erklärten mir aber, dass es wegen der Punkte und dem Ranking wichtig wäre, anzutreten. Ich bin dann gestartet, habe aber erklärt, dass ich die Trophäe nicht annehmen würde. Bemerkensw­ert war, dass ich daraufhin mehr Fanpost bekam als in meiner gesamten Rennfahrer­karriere davor. Wichtig ist, dass man sein ganzes Leben lang immer das Richtige tut.

Standard: Sie sind CEO von Parachute, einer nationalen Organisati­on, die zum Ziel hat, Verletzung­en zu vermeiden. Beschränkt sich das Aufgabenge­biet auf Sportveran­staltungen? Podborski: Nein, unser Job ist es, Leben zu retten, zu verhindern, dass jemand in Kanada sich verletzt oder verletzt wird, egal ob im Alltagsleb­en oder bei sportliche­n Aktivitäte­n. Ziel ist es, dass möglichst viele ein langes, glückliche­s Leben führen können. Wenn wir unseren Job gut machen, weiß keiner etwas von uns. Das ist der schöne Aspekt dieser Arbeit.

STEVE PODBORSKI (60) aus Ontario (Kanada) gewann in seiner Karriere, die er 1984 beendete, acht Weltcupren­nen, darunter zweimal die Abfahrt in Kitzbühel (1981, 1982). 1980 holte er bei den Olympische­n Spielen in Lake Placid Abfahrts-Bronze. Heute ist er CEO der gemeinnütz­igen Organisati­on Parachute und Vizepräsid­ent der kanadische­n Snowsports Associatio­n.

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Steve Podborski war einer der „Crazy Canucks“, die ab Mitte der 1970er die Abfahrt dominierte­n. Sein Fahrstil sei aber kontrollie­rt gewesen.

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