„Schön kann alles sein“
Direkt, schnörkel- und schonungslos, so sind die Bilder des Fotografen Jürgen Teller. Anlässlich einer Ausstellung in Wien sprach er über Friederike Mayröcker im Bett und die Milch leckende Charlotte Rampling.
Wien – Jürgen Teller hat keinen Instagram-Account. Was man dort macht, müsse man sich genau überlegen. So wie seine Fotos, die, obwohl sie Spontaneität ausstrahlen, genauestens kalkuliert sind. Auch Fotos mit dem Handy waren lange nicht sein Ding. Jetzt schon. Für eine Gruppe sozial benachteiligter Jugendlicher im Londoner Stadtteil North Kensington, wo er sein Studio hat, organisierte er sogar Smartphones, damit sie das, was sie bewegt, dokumentieren können. Sie sind quasi die zweite Klasse von Professor Teller, der seit 2015 an der Nürnberger Akademie der bildenden Künste lehrt.
Bekannt wurde Teller, der einst die ersten Monate in London vom Verkauf seiner Fotoausrüstung lebte, mit Aufnahmen von Nirvanas Nevermind- Tournee, als man ihren Kometenaufstieg allenfalls ahnen konnte. In internationale Modekampagnen brachte Teller einen neuen, rotzigen Stil: ungebügelte Authentizität statt aalglatten Glamours. „Genial“, sagen die einen, „schamlos“oder „keine Kunst“, die anderen. Vor seiner Linse posierten quasi schon alle: Topmodels wie Kristen McMenamy oder Kate Moss, Ikonen der Fotografie wie Cindy Sherman und immer wieder Grande Dame Charlotte Rampling. Sie fotografierte er nachts im Louvre – nackt. So wie Vivienne Westwood, die sich für ihn auf einem Kanapee räkelte. Aufnahmen, die aktuell im Wiener Belvedere (bis 4. 3.) zu sehen sind. In der Galerie König (bis 3. 3.) gibt es nun ein Wiedersehen mit Rampling.
STANDARD: Charlotte Rampling mit dem Fuchs, ein plattgewalzter Frosch, Stephanie Seymour auf einer ausgestopften Löwin, US-Fotograf William Egglestone Auge in Auge mit einer Gorillaskulptur, dazu das Schild „Das Recht, Waffen zu tragen“: Sind die Begriffe Tier, Gewalt, Mensch das, was die Schau zusammenhält? Teller: Es ist eher eine Art seltsames Märchen. Zu den Fotos vom Model Malgosia auf der SigmundFreud-Couch habe ich Gebirgslandschaften kombiniert, die ich jetzt erst im Oman gemacht habe.
STANDARD: Neben solchen Seelenlandschaften taucht jetzt auch häufig der Wald als Motiv auf. Ihn zu fotografieren sei Ihnen lange nicht gelungen. Warum jetzt? Teller: Nach dem Tod meines Business-Partners mieteten wir ein Haus in Suffolk an der Küste. Ich konnte nicht richtig schlafen, bin irre früh aufgestanden und durch die wunderschöne Landschaft gewandert. Dann habe ich sie ganz normal, ohne zu viel zu wollen, fotografiert, habe die Landschaft gefühlt und dokumentiert.
STANDARD: Weil Sie Märchen sagten: Dort ist der Wald ein Ort der Entrechteten und Fabelwesen, mit Angst behaftet, aber auch Symbol für Freiheit. Was war er für Sie? Teller: Für mich war es Freiheit. Wegzukommen vom Elternhaus. Ich wohnte gleich neben dem Wald, das war mein Spielplatz. Ich bin da herumgehangen. Heute kann man sich das gar nicht mehr vorstellen, dass Kinder da den ganzen Tag allein rumeiern.
Standard: Wie kam es zur Idee von Rampling mit dem Fuchs? Teller: Charlotte, die ich seit 20 Jahren kenne, rief mich an und fragte, ob ich sie für ein Magazincover fotografieren kann. Und als im hintersten Garten meines Studios plötzlich ein Fuchs stand, hat er mich total an sie erinnert. Sie hat auch etwas Fuchsartiges, Tierisches, ihr Blick, ihre Augen. Und so musste ein zahmer Fuchs her. Ich habe einen Teller Milch auf den Boden gestellt, Charlotte hat auf allen vieren die Milch geleckt, und der Fuchs kam immer näher.
Standard: Wie schaffen Sie es, ein solches Vertrauen aufzubauen, dass sich Stars ausziehen, auf dem Boden krabbeln oder sich – wie Victoria Beckham – in eine Einkaufstasche stecken lassen? Teller: Mit Charme und Überzeugungskraft. Ich kriege das immer hin, wenn es für mich Sinn macht.
Standard: Sie sind von entwaffnender Ehrlichkeit und geben zu, dass es viele Kampagnen gab, bei denen Sie im Vorfeld wahnsinnig nervös waren. So etwas unterläuft ja herkömmliche Bilder von Coolness ... Teller: Damit habe ich kein Problem. Ein gutes Foto zu machen macht natürlich nervös! Jeder kann einmal ein gutes Foto machen, aber ich muss die ja dann machen, wenn die Models, die Klamotten, das ganze Blabla gebucht sind. Ich bin immer nervös. Auch jetzt. Ich habe heute Friederike Mayröcker getroffen. Überall in der Wohnung sind Papierstapel. Aber ich habe sie im Bett fotografiert. Es war logisch, weil sie sagte, dass ihr Arbeitstisch im Bett ist. Am Anfang war sie etwas scheu, aber wenn das in irgendeiner Situation nicht angemessen gewesen wäre, hätte ich das nicht gemacht.
Standard: Ist die eigene Offenheit das Geheimnis dafür, dass sich die Porträtierten öffnen? Teller: Ich bin einfach sensibel. Ich fühle mich da ein in die Sache. Standard: Ihre Fotos sind auch enorm direkt und schonungslos. Teller: Ja, aber auch einfühlsam. Und wenn’s um Fotos geht, bin ich auch schonungslos.
Standard: Wenn man so wie Sie auf Fotos ebenso Verletzungen, Vernarbungen, Verlebtes zeigt, dann wird das gerne als Negativ eines Positivs umschrieben, also als Verneinung eines Ideals. Wie verstehen Sie Schönheit? Teller: Schön kann alles sein. Für mich ist es schön, wenn man die Person fühlt und erkennt und sie glücklich in Seele und Körper ist: Das ist Zufriedenheit. Viele Leute eiern irgendetwas hinterher, das sie eigentlich nicht sind.
Standard: Ihre frühen Selbstporträts, in denen Sie sich stark mit Ihrer Biografie oder mit der problematischen Figur Ihres Vaters, der trank und Ihre Mutter schlug, beschäftigt haben, sind sehr drastisch: Sie posierten etwa nackt und mit Flasche auf seinem Grab. Teller: Das Leben ist drastisch. Standard: Hat Sie das ausgesöhnt mit Vergangenem? Teller: Das war der Versuch. Sicher. Geholfen hat es auf jeden Fall. Meine Mutter fand das grauenvoll, aber im Gespräch kamen wir uns näher, und sie verstand irgendwann, warum ich das machen musste.
Standard: „Enjoy Your Life“hieß Ihre letzte große Museumsschau. Auch Aufforderung an sich selbst? Teller: Von meinem Vater habe ich gelernt, dass man nur ein Leben hat und du entscheidest, diesen oder jenen Weg zu gehen. Du musst die Wege einleiten, die zum Positiven führen. Ich bin auch mal melancholisch, aber man muss daran arbeiten. Ich habe ein „amazing life“– oder besser: Ich mache mir mein Leben „amazing“.
JÜRGEN TELLER, 1964 in Erlangen geboren, lebt mit Sohn und Frau, der Galeristin Sadie Cole, in London. Der Fotograf ist sowohl in der Modebranche als auch im Kunstbetrieb etabliert, seit 2015 ist er Professor an der Akademie in Nürnberg.