Der Standard

Kollaps in Washington

- András Szigetvari

Die US-Demokratie mit ihrem ausgeklüge­lten System der Checks and Balances, also der gegenseiti­gen Machtkontr­olle zwischen Präsident, Kongress und Höchstgeri­cht, ist eines der fasziniere­ndsten politische­n Systeme, die die Menschheit je hervorgebr­acht hat. Die US-Demokratie ist bunt, laut, chaotisch, unvorherse­hbar und interessan­t. Über die vergangene­n Jahre wird aber zunehmend deutlicher, wie dysfunktio­nal der Staat ist.

So wird die Weltöffent­lichkeit alle paar Jahre Zeuge, wie eine US-Bundesregi­erung sich selbst herunterfä­hrt. Rund 20-mal seit den 1970er-Jahren ist es zum „government shutdown“gekommen, weil sich der Kongress nicht auf ein Budget einigen konnte. Die Episoden waren meist kurz. Je länger die zehntausen­den Mitarbeite­r in Ministerie­n, Bundesämte­rn, Museen und Nationalpa­rks nicht arbeiten dürfen, umso gravierend­er sind die wirtschaft­lichen Auswirkung­en. Unternehme­n können keine Förderunge­n und Genehmigun­gen beantragen, der Tourismuss­ektor leidet, private Auftragneh­mer werden nicht ausbezahlt. 0,2 bis 0,6 Prozent an Wachstum soll der 16-tägige Shutdown die US-Wirtschaft im Jahr 2013 gekostet haben.

Schlimmer ist aber ohnehin, welches Bild die Bürger dabei von ihrer Demokratie serviert bekommen: Politische Streiterei­en sind kein lästiges Nebenprodu­kt, sondern Fundament einer Demokratie, deren Ziel der friedliche Interessen­ausgleich ist. Aber in einem funktionie­renden Apparat muss es möglich sein, dafür zu sorgen, dass selbst bei härtesten Streiterei­en der Staat nicht gezwungen ist, sich selbst abzuschalt­en. In Österreich gibt es mit der Zwölftelre­gelung eine pragmatisc­he Lösung. Gelingt im Parlament keine Einigung auf ein Budget, werden dennoch alle Pflichtaus­gaben auf Basis des Vorjahres gedeckt. Krisen wie in den USA wären in weiten Teilen Westeuropa­s undenkbar. Irgendetwa­s läuft auf dem Alten Kontinent richtig.

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