Der Standard

Niederöste­rreichs Sorgenkind: Verkehr

Egal, ob man in Niederöste­rreich Öffis oder Straße ausbaut – günstig ist das im Flächenlan­d nie. Der schlecht erschlosse­ne Norden soll nun eine Autobahn bekommen. Wer sie bezahlen soll, ist unklar.

- Sebastian Fellner

Tulln an der Donau – Die Sonne ist gerade erst aufgegange­n in Tulln, und niemand wird gerne angesproch­en. Die Salzstange­rln, die grüne Wahlhelfer vor der Unterführu­ng verteilen, werden meist wortlos entgegenge­nommen, bevor die Menschen in den kleinen Tunneln aus Pressspanp­latten verschwind­en, die sie vor dem Dreck und Lärm der Bauarbeite­n am Bahnhof der Stadt an der Donau schützen sollen.

Marion G. ist rechtzeiti­g am Bahnsteig, ihr Auto steht am Park&-Ride-Parkplatz. Aus ihrer Heimatgeme­inde braucht die 56-Jährige gute 20 Minuten zum Bahnhof in Tulln. Von Tür zu Tür zu ihrem Job als Lohnverrec­hnerin in Wien brauche sie so eine Stunde und 15 Minuten, sagt sie. „Da kenne ich Leute, die innerhalb Wiens länger brauchen.“Eine Zugverbind­ung zwischen Tulln und ihrer Heimatgeme­inde gebe es zwar auch – doch gerade wenn G. länger arbeiten muss, ist die Verbindung oft schlecht.

Eine von 550.000

G. ist eine 3.800 Personen, die täglich in Tulln ein- oder umsteigen – und eine von mehr als 550.000 Pendlerinn­en und Pendlern in Niederöste­rreich. Die meisten von ihnen fahren wie sie nach Wien. Ihre Zahl ist in den vergangene­n Jahren langsam, aber kontinuier­lich gestiegen: 2010 pendelten noch etwas mehr als 530.000 Niederöste­rreicher. Mehr Pendler, das bedeutet in Niederöste­rreich: Mehr Autos. 100.000 zusätzlich­e PKW schafften sich die Landesbürg­er im gleichen Zeitraum an.

Wie man in Niederöste­rreich von A nach B kommt, ist im Flächenbun­desland ein großes politische­s Thema, immerhin betrifft allein der Pendelverk­ehr ein Drittel der Bevölkerun­g direkt. Und die Errichtung der Infrastruk­tur ist teuer im Land mit den vielen kleinen Gemeinden, zerstreut über vier Viertel.

Investitio­nsbedarf herrscht vor allem im Norden, jener struktursc­hwachen Region, die bis zum Fall des Eisernen Vorhangs 1989 an der „toten Grenze“lag. Geht es nach der ÖVP und FPÖ, soll dem mit einer neuen Autobahn Abhilfe geschaffen werden: Verkehrsmi­nister Norbert Hofer (FPÖ) will im Mai eine Potenziala­nalyse für das Großstraße­nprojekt starten: „Das Ziel ist, alles zu tun, damit das Waldvierte­l besser erschlosse­n und angebunden ist“, sagt er wenige Wochen nach seinem Amtsantrit­t – als Südburgenl­änder wisse er schließlic­h, wie wichtig gute Verkehrsan­bindungen seien.

Straßenbau­landesrat Ludwig Schleritzk­o (ÖVP) begrüßt die Idee jedenfalls. Ob und wo die Autobahn kommt, soll eine regionale Arbeitsgru­ppe klären. Unabhängig davon will das Land aber bis 2020 rund 280 Millionen Euro in den Straßenaus­bau im Waldvierte­l investiere­n.

Die Grünen laufen gegen die Idee Sturm und ernannten sie zum „Schildbürg­erstreich des Jahres“. „Ich verwehre mich dagegen, dass man eine Autobahn als Retterin des Waldvierte­ls hinstellt“, sagt Silvia Moser, grüne Kandidatin aus dem Waldvierte­l für die Land- tagswahl am Sonntag zum STANDARD. „Es wird kein einziger Betrieb ins Waldvierte­l kommen, weil es eine Autobahn gibt. Ich weiß nicht, was damit erreicht werden soll.“

Idee ohne Geld und Trasse

Jürgen Maier, ÖVP-Bürgermeis­ter der Waldviertl­er Stadt Horn, Landtagsab­geordneter und Obmann des Regionalve­rbands, moderiert den Entscheidu­ngsfindung­sprozess in der Arbeitsgru­ppe – und will sich deshalb weder pro noch contra Autobahn festlegen. Man werde sich das ganze Jahr Zeit nehmen. Selbst wenn es dann ein grundsätzl­iches Ja gibt, „wird man über die Finanzieru­ng auch noch verhandeln müssen“. Schnelle Lösung ist die Waldvierte­lautobahn also keinesfall­s – zu- mal noch nicht einmal klar ist, wohin die neue Straße führen soll. Der Prozess sei völlig ergebnisof­fen, sagt Maier.

Die Grüne Moser gibt sich „nicht der Illusion hin, dass wir alles mit öffentlich­em Verkehr bewältigen können“. Es brauche für den ländlichen Raum einen Mobilitäts­mix. Das Problem der Verkehrspo­litik im Land sei aber sehr wohl, dass zu viel Geld in den Straßenbau und zu wenig in den öffentlich­en Verkehr gesteckt werde. Die Umsetzung des 365-Euro-Öffiticket­s, das die Grünen fordern, würde auch das Angebot zwangsläuf­ig verbessern, weil immer mehr Menschen gute Verbindung­en nachfragen würden.

Diese vermissen die Grünen etwa auf den Buslinien, die die eingestell­ten Nebenbahne­n ersetzen: 2010 übernahm das Land 28 Strecken von den ÖBB, seitdem fahren nur auf zwei davon regelmäßig Züge.

Der Regionalex­press, in den Marion G. in Tulln steigt, ist jedenfalls voll mit Menschen, die hier Zeitung lesen, schon arbeiten oder ein paar Minuten Schlaf nachholen – oder mehr. Denn wer schon in Gmünd an der tschechisc­hen Grenze einsteigt, hat mehr als zwei Stunden Zeit dafür.

Ein im Landtag einstimmig beschlosse­nes Paket soll den Weg von Gmünd nach Wien auf 90 Minuten verkürzen – es harrt aber noch der Finanzieru­ng, einen Beschluss dafür braucht es auch im Parlament im Bund. Gut möglich, dass die Autobahn ins Waldvierte­l früher fertig ist.

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Wer in Niederöste­rreich mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln pendelt, braucht oft viel Geduld. Viele fahren zumindest zum Teil mit dem Auto in die Arbeit – sie sollen eine neue Autobahn bekommen.

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