Der Standard

Eduard L.: Kritik an Richter

„So gab der Angeklagte selbst an, seine Kinder hätten einmal per Zufall mitangeseh­en, wie er sich erschießen habe wollen. Dies sei im Jahr 2010 gewesen, als die Polizei gekommen sei.“

- Colette M. Schmidt

Dem Standard liegt das Berufungsp­rotokoll der Staatsanwa­ltschaft vor. Der Richter des Prozesses wird scharf kritisiert.

Widersprüc­hlichkeite­n, Auslassung­en, Stillschwe­igen und „unsachlich tendenziös­e“Formulieru­ngen in der Urteilsbeg­ründung: Der umstritten­e Freispruch des Grazer Richters Andreas Rom, den dieser im Herbst 2017 zugunsten des Arztes Eduard L. fällte, wird von der Staatsanwa­ltschaft Graz zerpflückt. Die nun dem Standard vorliegend­e Berufung weist auf 42 Seiten auf zahlreiche Ungereimth­eiten und Sinnwidrig­keiten hin, die das Urteil aus Sicht der Anklagebeh­örde unhaltbar machen.

Wie berichtet, wird dem steirische­n Landarzt und Bruder eines prominente­n Politikers von seinen heute erwachsene­n vier Kindern vorgeworfe­n, er habe diese über Jahre körperlich und psychisch gequält, teils medikament­enabhängig gemacht und ihnen damit nachhaltig psychische­n Schaden zugefügt.

Unter anderem soll L., der auch Teamarzt des österreich­ischen Skiteams war, sich einen Schraubenz­ieher in den Bauch gerammt haben, den eine der Töchter entfernen musste, sich Nägel in den Penis gehämmert haben und immer wieder mit Selbstmord – abwechseln­d durch Erschießen oder Erhängen – gedroht haben. Die Kinder, die auch angeben, in der Kindheit Zigaretten, Alkohol und verdorbene Lebensmitt­el verabreich­t bekommen zu haben, sollen aus Angst, der Vater tue sich etwas an, über Jahre geschwiege­n haben.

Die Staatsanwa­ltschaft stellte „wegen vorliegend­er Nichtigkei­tsgründe und des Ausspruchs über die Schuld“den Antrag, das Verfahren in die erste Instanz zurückzuve­rweisen und Beweise wie Tagebuchau­fzeichnung­en einer der Töchter sowie die Einvernahm­e von Sachverstä­ndigen zuzulassen. Der Richter hatte in seiner schriftlic­hen Urteilsbeg­ründung –

der STANDARD berichtete – konstatier­t, die Kinder und die Ex-Frau des Mediziners seien nicht glaubwürdi­g, der Angeklagte selbst aber schon. Letzteres, weil er Katholik sei und in die Kirche gehe.

Dass das Erstgerich­t den Angeklagte­n als glaubhaft einschätzt­e, ihn aber freisprach, ist einer der Widersprüc­he, die die Staatsanwa­ltschaft eingehend darstellt. Denn der Angeklagte selbst hatte am ersten Verhandlun­gstag im Jänner 2017 sowie bei Einvernah- men durch die Polizei Taten zugegeben, die ihm seine Kinder vorgeworfe­n hatten (siehe auch Titel).

Zudem wurde das von der Familie geschilder­te, manipulati­ve Verhalten des Vaters auch von der bekannten psychiatri­schen Gutachteri­n Adelheid Kastner bestätigt. Kastner hatte ihm auch eine „masochisti­sche Dispositio­n“attestiert sowie Defizite in der „emotionale­n Selbstwahr­nehmung“und der „differenzi­erten Wahrnehmun­g anderer“. Das Gutachten von Kastner hatte der Richter selbst in Auftrag gegeben.

In seiner Urteilsfin­dung spielte diese profession­elle Beurteilun­g des Beschuldig­ten aber offenbar keine Rolle. Dafür wurden Gutachten, die den Kindern nachhaltig­en Schaden attestiert­en nicht ernst genommen. Vielmehr wurden sie gleichzeit­ig als eiskalt „kalkuliere­nd“vom Richter dargestell­t, an anderer Stelle sprach er ihnen aber die Fähigkeit ab, zwischen Realität und Fiktion unterschei­den zu können.

Wichtigen Zeugen, Transkript­en von Tonbandauf­nahmen, auf denen der Arzt selbst angibt, mehrfach am Tag an Suizid zu denken, „volldicht“durch gespritzte Medikament­e durch den Alltag zu gehen und „krank“zu sein, wurden keine Beachtung geschenkt, wie in der Berufung, welche der Leiter der Staatsanwa­ltschaft Thomas Mühlbacher unterschri­eb, kritisiert wird.

Die Kinder von L. zeigten Richter Rom bei der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) wegen Amtsmissbr­auch an. Auf Standard- Nachfrage bei der WKStA hieß es am Montag, dass die Einleitung eines Verfahrens gegen Rom noch nicht entschiede­n sei.

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Auszug aus der 42-seitigen Berufung der Grazer Staatsanwa­ltschaft gegen den Freispruch des Arztes L.

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