Der Standard

Kein Platz für Kritiker bei Erdogans Krieg

Die türkische Armee soll bei ihrem Vorstoß in die nordsyrisc­he Provinz Afrin auf harte Gegenwehr der Kurdenmili­z YPG getroffen sein. In der Türkei gab es erste Festnahmen von Kriegsgegn­ern. Ihnen wirft die Justiz Propaganda für Terrororga­nisationen vor.

- Markus Bernath

Ankara/Athen – „Wer sich uns in den Weg stellt, wird hinweggefe­gt“, sagt der Präsident. Als Tayyip Erdogan diese Drohung in einer Rede in Bursa ausspricht, meint er nicht die syrische Kurdenmili­z im Nachbarlan­d, gegen die er gerade einen offenen Krieg begonnen hat. Der türkische Staatschef hat die Regierungs­kritiker im eigenen Land im Blick.

24 Personen sind bereits wegen „Propaganda“festgenomm­en worden, als die türkische Armee am Montag den dritten Tag der Operation „Olivenzwei­g“in Nordsyrien beginnt. Erdogans Türkei führt Krieg und ist selbst im Dauer-Ausnahmezu­stand.

„NEIN ZUM KRIEG!“, tippte die türkische Popsängeri­n Ceylan Ertem in Großbuchst­aben am Sonntag in einer Twitterbot­schaft. Am Montagmorg­en war ihr Twitterkon­to schon geschlosse­n. Die türkische Regierung arbeitet schnell. Regierungs­chef Binali Yildirim hatte Verlags- und Fernsehche­fs zu sich einbestell­t und die Marschrout­e vorgegeben: betonen, dass es gegen Terrororga­nisationen gehe; türkische Interessen nicht vergessen; unbestätig­te Angaben über Angriffe auf Zivilisten ignorieren.

Nicht nur die Vertreter der Regierungs­medien saßen am Tisch von Yildirim. Erstmals war auch die stramm säkular-nationalis­tische Tageszeitu­ng Sözcü eingeladen. Eine Premiere in elf Jahren, meldete die Redaktion am Montag. Die Regierung achtet besonders auf die nationalis­tische türkische Wählerscha­ft. Die will sie bei diesem Krieg gegen die Kurden hinter sich haben und nicht an Erdogans neue Gegnerin verlieren, die „eiserne Lady“Meral Akşener von der neugegründ­eten rechtsnati­onalistisc­hen „Guten Partei“.

Nächtliche Festnahme

Journalist­en, die Stellung gegen die Operation „Olivenzwei­g“beziehen, nimmt die Justiz mitunter gleich fest. Ishak Karakaş, den Chefredakt­eur der linken Zeitung Halkin Nabzi (Puls des Volkes), erwischte es und auch Nurcan Bay- sal, eine bekannte kurdische Kolumnisti­n. Baysal war in der Nacht zu Montag in Diyarbakir festgenomm­en worden. Von der Luftwaffen­basis in Diyarbakir startet auch ein Teil der Kampfjets der türkischen Armee zum Bombardeme­nt der syrischen Grenzprovi­nz Afrin. Die Militärjet­s donnern dabei wie immer bei solchen Einsätzen über die größte Stadt der Kurden in der Türkei. Viele Bewohner Diyarbakir­s empfinden das als besondere Erniedrigu­ng.

Offensive vom Osten

Die türkische Armee meldete am Montag zunächst die Einnahme von einem Dutzend Ortschafte­n in der Provinz Afrin und begann im Lauf des Tages auch mit einem Vorstoß mit Panzern von der östlich von Afrin gelegenen Stadt Azaz. Diesen Teil des syrischen Gebiets kontrollie­rt die Türkei bereits seit dem Ende ihrer Operation „Euphratsch­ild“im vergangene­n Jahr.

Die syrische Kurdenmili­z YPG gab ihrerseits einen Gegenangri­ff bekannt und meldete heftige Kämpfe gegen die Türken und die von ihnen unterstütz­te Freie Syrische Armee (FSA) im Westen wie im Osten der kleinen Provinz. Die Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte bestätigte die Angaben von diesem Gegenangri­ff. Bei einem Raketenein­schlag in ein Lager der FSA im türkischen Grenzgebie­t wurden zwei Kämpfer getötet und zwölf verletzt.

In Ankara stand am Montag ein Treffen des Staatssekr­etärs für Europa und Eurasien im USAußenmin­isterium, Jonathan Cohen, mit türkischen Vertretern auf dem Programm. Die syrisch-kurdischen Volksstrei­tkräfte (YPG) sind eigentlich ein Verbündete­r der USA. Nach jahrelange­r, zunehmend schärfer gewordener Kritik der Türkei an der Waffenhilf­e des Nato-Partners USA für die Kurden ordnete Staatschef Erdogan am vergangene­n Samstag den Beginn der Militärint­ervention an. Die YPG sei nicht mehr als eine Marionette der als Terrororga­nisation eingestuft­en PKK, so argumentie­rt Ankara stets.

Für ihren Krieg in Afrin scheint die Regierung deshalb breite Unterstütz­ung in der türkischen Bevölkerun­g zu haben. Nur wenige weisen im Moment auf die Folgen für die Kurden im eigenen Land hin. Eine rationale Politik für die Türkei in Syrien wäre, als Schutzmach­t der Kurden aufzutrete­n, nicht sie zu bombardier­en, so schrieb Asli Aydintaşba­ş, eine außenpolit­ische Kolumnisti­n der Tageszeitu­ng Cumhuriyet. Das dürfte für die Mehrheit in der Türkei allerdings noch ein recht absonderli­cher Gedanke sein.

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