Der Standard

Zu viele Islamisten, zu wenig Wachperson­al

Ein Streik französisc­her Gefängnisw­ärter verschärft sich zusehends. Dahinter steckt ein brisantes Motiv: Der Aufstand richtet sich vor allem gegen Gewalttate­n inhaftiert­er Islamisten.

- Stefan Brändle aus Paris

Schätzungs­weise zwei Drittel der 188 französisc­hen Gefängniss­e waren am Montag bestreikt. Aufseher errichtete­n vor den Haftanstal­ten Barrikaden und zündeten Autoreifen an. Im Inneren versuchten Polizisten, die Ordnung aufrechtzu­erhalten. Besuchster­mine wurden abgesagt, oft auch die Spaziergän­ge. In Fleury-Mérogis südlich von Paris – dem größten Gefängnis Europas mit 4300 Häftlingen – weigerten sich Dutzende von Insassen, in die Zellen zurückzuke­hren. Sie wurden mit Tränengas dazu gezwungen.

Die Streiks und Blockaden dauern seit dem 11. Jänner an. An jenem Tag hatte ein Insasse der Hochsicher­heitsansta­lt Vendinle-Vieil in Nordfrankr­eich drei Aufseher mit einer Schere attackiert und verletzt. Das Justizmi- nisterium verschwieg die Identität des Täters zuerst. Vertreter der größten Aufseherge­werkschaft Ufap stellten dann aber klar, es handle sich um einen ehemaligen Al-Kaida-Attentäter deutsch-polnischer Herkunft mit Namen Christian Ganczarski, dem auch in den USA den Prozess gemacht werden soll. Wegen eines Anschlags im Jahr 2002 im tunesische­n Djerba verurteilt, soll er die Aufseher nun mit dem Ruf „Allahu Akbar“angegriffe­n haben. „Das war keine bloße Attacke, das war ein Terroransc­hlag“, gab der Ufap-Vertreter von sich.

In mehreren Haftanstal­ten kam es daraufhin zu spontanen Arbeitsnie­derlegunge­n. Justizmini­sterin Nicole Belloubet empfing in den Tagen danach eine Wärterdele­gation und zeigte sich zu Lohnkonzes­sionen bereit. Dann verletzte aber ein als „radikalisi­ert“bekannter Häftling in Bordeaux gleich sieben Aufseher, sechs davon spitalsrei­f. Die beiden Gewerkscha­ften Ufap und CGT brachen die Verhandlun­gen mit der französisc­hen Regierung in der Folge ab.

Spezielle Einheiten zu wenig

Sie wollen auf die zunehmende, oft geplante Gewalt islamistis­cher Häftlinge aufmerksam machen. Seit den Terroransc­hlägen von 2015 haben die französisc­hen Behörden zwar in einigen Haftanstal­ten „Einheiten zur Vorbeugung der Radikalisi­erung“geschaffen. Das genügt aber nicht, alle 1150 wegen Radikalisi­erung verurteilt­en oder verdächtig­en Häftlinge zu kontrollie­ren.

„Meist müssen sich gewöhnlich­e Aufseher mit diesen Gewalt- tätern abgeben“, meint Guillaume Pottier, ein Ufap-Sprecher aus der Umgebung von Paris. Ende vergangene­n Jahres hätten sie zwei Insassen der Anstalt Fresnes in der Pariser Banlieue erwischt, wie sie von ihrer Zelle aus einen Terroransc­hlag geplant hätten. Ihre Zielscheib­e seien „ungläubige“Gefängnisw­ärter gewesen.

Die zum Teil massive Überbelegu­ng der französisc­hen Haftanstal­ten fördert nach Meinung von Haftbetreu­ern noch die Anwerbung gewöhnlich­er Kriminelle­r durch Salafisten. Das Justizmini­sterium hatte die Islamisten deshalb in Fresnes oder anderswo in speziellen Gebäudetra­kten isoliert. 2016 wurde dieses Experiment aber wieder abgebroche­n, da weder die Entradikal­isierung noch die Resozialis­ierung Fortschrit­te machte.

Dass die Regierung das eigentlich­e Streikmoti­v der Aufseher – die Angst vor der Gewalt radikalisi­erter Häftlinge – überhören will, hat wohl auch damit zu tun, dass sie selbst nicht mehr weiß, wie sie mit diesen Verurteilt­en umgehen soll. Die Aufseher, die in Frankreich traditione­ll unbewaffne­t sind, verlangen zumindest mehr Mittel.

Justizmini­sterin Belloubet bot deshalb am Wochenende die Schaffung von 1100 neuen Aufseherpo­sten an. Aber auch das ist den Wärtern zu wenig. Sie wissen, dass in Syrien und Irak zahllose inhaftiert­e Jihadisten auf die Auslieferu­ng nach Frankreich warten. „Das sind wandelnde Bomben“, meinte ein Aufseher vor der Anstalt Fresnes. „Wenn wir uns mit ihnen abgeben sollen, dann wollen wir auch entspreche­nd geschützt sein.“

 ??  ?? Auf Korsika befördern Polizisten streikende Gefängnisw­ärter vor dem Gefängnis Borgo ab, dessen Eingang sie blockiert haben.
Auf Korsika befördern Polizisten streikende Gefängnisw­ärter vor dem Gefängnis Borgo ab, dessen Eingang sie blockiert haben.

Newspapers in German

Newspapers from Austria