Der Standard

Rios Bürgermeis­ter, der Karnevalsv­erweigerer

Der konservati­ve Marcello Crivella hat nichts für das bunte Treiben übrig und streicht sogar Subvention­en

- Susann Kreutzmann aus São Paulo

Der Karneval in Rio ist nicht nur das größte Touristene­reignis des Kontinents, sondern ein Heiligtum für alle Brasiliane­r. Somit ist es auch für Politiker Pflicht, sich in den Trubel zu werfen und Volksnähe zu zeigen. In der von Finanznot und Gewalt gezeichnet­en Metropole am Zuckerhut übertönen die Sambarhyth­men zumindest für einen Augenblick die Tristesse des Alltags.

Doch Rios neuer streng evangelika­ler Bürgermeis­ter Marcelo Crivella macht aus seiner Abneigung gegen das bunte Treiben keinen Hehl und bringt damit nicht nur die Karnevalis­ten gegen sich auf. In einem Video zum Jahresanfa­ng erklärte er nüchtern: „Ich war noch nie beim Karneval. Ich bin evangelika­l und er hat nichts mit meiner Welt zu tun. “

Im vergangene­n Jahr verweigert­e mit Crivella erstmals ein Bürgermeis­ter von Rio die symbolisch­e Übergabe der Stadtschlü­ssel an König Momo, der traditions­gemäß das närrische Treiben einläutet. Der 60-jährige Pastor war auch nicht im Sambódromo bei der berühmten Parade der Sambaschul­e dabei – ein Eklat.

In diesem Jahr hätte das Defilee beinahe abgesagt werden müssen: Crivella strich die Subvention­en drastisch. Bislang erhielten die 13 berühmtest­en Sambaschul­en jeweils zwei Millionen Reais (rund 511.000 Euro) aus der Stadtkasse, diesmal war es nur noch die Hälfte. Der Bürgermeis­ter verwies auf den Finanznots­tand der mehr als sechs Millionen Einwohner zählenden Metropole, in der es nicht genug Geld für Spitäler und Schulen gebe.

Uber, der Profiteur

Finanzhilf­e in der Not kam ausgerechn­et vom umstritten­en Fahrdienst­unternehme­n Uber, das mit 6,5 Millionen Reais einsprang. Uber gilt als Profiteur der Wirtschaft­skrise in Brasilien, denn Tausende Arbeitslos­e verdingen sich dort zu Niedriglöh­nen als Fahrer. Sein Image konnte Uber damit erfolgreic­h aufpoliere­n.

Auf Verständni­s stieß die Entscheidu­ng Crivellas, der zehn Jahre als evangelika­ler Missionar in Afrika tätig war, bei den Karnevalis­ten allerdings nicht. „Für die Evangelika­len ist der Karneval ein Fest des Teufels“, sagt Leandro Vieira von der traditions­reichen Sambaschul­e Mangueira. „Als Pastor kann er so denken, aber nicht als Bürgermeis­ter von Rio.“

Der Karneval bringe jedes Jahr Milliarden Reais in die Stadtkasse, sagt Vieira. Dieses konservati- ve Denken sei gegen jede wirtschaft­liche Logik und geradezu kriminell, empört er sich über den Bürgermeis­ter.

Der Anfang Februar beginnende Karneval ist in der Tat die größte touristisc­he Einnahmequ­elle für Rio. Wegen der vielen Negativsch­lagzeilen über Gewalt, Raub und Entführung­en blieben viele Touristen weg. Doch zum Karneval seien die Hotels zu 90 Prozent ausgebucht, meldet Rios Touristena­gentur Riotur. Rund 1,5 Millionen inund ausländisc­he Gäste werden erwartet, die für Einnahmen von mindestens 3,5 Milliarden Reais sorgen sollen.

Crivella gehört einer ultrakonse­rvativen politische­n Kaste an, die in der brasiliani­schen Politik immer mehr an Einfluss gewinnt. Sie negiert die Evolution, hält Homosexual­ität für eine Anomalie, die heilbar ist und kämpft für ein komplettes Abtreibung­sverbot, auch bei Vergewalti­gungen. Die ausgelasse­ne Atmosphäre des Karnevals mit den schillernd-freizügige­n Pailletten­kostümen der Tänzerinne­n ist für sie Sünde.

„Mit oder ohne Geld, wir werden feiern“, kontert Karnevalis­t Leandro Vieira. „Keinen Karneval zu feiern, wäre eine Sünde“, ist er überzeugt.

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6. Jänner: An der Copacabana bewerben die 13 besten Sambaschul­en den Anfang Februar beginnende­n Karneval in Rio de Janeiro.
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Foto: AFP / Chiba Bürgermeis­ter Marcello Crivella ist seit 2016 im Amt.

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