Der Standard

Tuberkulos­e: Über die unheilige Kuh

Tuberkulos­e ist eine hochanstec­kende Erkrankung, die in den ärmeren Regionen der Welt immer noch viele Menschenle­ben fordert. Eine neue Studie zeigt, welche Rolle die Viehhaltun­g dabei spielen könnte.

- Kurt de Swaaf

Wir teilen eine lange gemeinsame Geschichte. Als Homo sapiens vor rund 70.000 Jahren seine ostafrikan­ische Heimat in Richtung Asien verließ, trug er in seinem Körper wahrschein­lich schon jene Keime, die noch im 19. Jahrhunder­t in Europa für ein Fünftel der Sterbefäll­e verantwort­lich waren: Mycobacter­ium tuberculos­is.

Auch heute noch fordert die Seuche ihren Tribut. Die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO registrier­te 2016 global 1,7 Millionen Todesopfer und 10,4 Millionen Neuerkrank­ungen. Doch Tuberkulos­e, kurz TB oder früher auch Weiße Pest genannt, ist heilbar. Kombinatio­nstherapie­n mit verschiede­nen Wirkstoffe­n haben seit dem Jahr 2000 geschätzte­n 53 Millionen TB-Patienten das Leben gerettet.

Leider wird nicht jedem geholfen. In Entwicklun­gsländern haben die Betroffene­n oft keinen Zugang zur Behandlung. Sogar kostenlos zur Verfügung gestellte Medikament­e können viele nicht abholen, erklärt Matthias Wittrock, Geschäftsf­ührer des Aussätzige­nhilfswerk­s Österreich (AHWÖ). Abgesehen davon wird die Krank- heit häufig nicht richtig erkannt. Ein Riesenprob­lem mit einem komplexen Hintergrun­d.

Die Ursache liegt zum Teil in der Biologie der Erkrankung. Tuberkulos­e-Erreger sind äußerst raffiniert­e Parasiten. Sie kapern Makrophage­n, spezialisi­erte weiße Blutkörper­chen, und nisten sich in ihnen ein.

Gegen den Tuberkelba­zillus

Zum Glück ist das Immunsyste­m den Invasoren nicht wehrlos ausgeliefe­rt. Die Abwehrkräf­te starten eine sofortige Mobilmachu­ng und schaffen es in circa 90 Prozent der Fälle, die Bakterien in Schach zu halten.

Wie diese Defensive im Detail funktionie­rt, ist bis dato ungeklärt. Die TB-Keime und ihre Wirtszelle­n werden gleichwohl eingekapse­lt. So entstehen, meistens im Lungengewe­be, die typischen Granulome. Das sind knotenarti­ge Gewebeneub­ildungen als Folge der Entzündung.

Durch die Abkapselun­g sind die Erreger jedoch nicht verschwund­en. Gegenwärti­gen Schätzunge­n zufolge dürfte etwa ein Viertel der Weltbevölk­erung von einer solchen latenten TB-Infektion betroffen sein (vgl.: PLoS Medicine, Bd. 13, e1002152). Eine wirklich sichere Diagnose gelingt in solchen Fällen nur mithilfe molekularb­iologische­r Verfahren. Die herkömmlic­hen Tuberkulin­Hauttests liefern manchmal falsch positive oder falsch negative Ergebnisse.

Ob die Krankheit bei einem Patienten tatsächlic­h ausbricht, hängt in erster Linie von seinen Immunkräft­en ab. HIV-Infizierte sind deshalb ganz besonders gefährdet. Unterernäh­rung, Rauchen und Alkoholmis­sbrauch gelten ebenfalls als Risikofakt­oren. Dort, wo die Lebensbedi­ngungen am schlechtes­ten sind, finden sich meistens auch die höchsten Raten an Erkrankung­en. Mit anderen Worten: TB ist ein Armutsleid­en.

Eine direkte Ansteckung­sgefahr geht indes nur von Personen mit offener Tuberkulos­e aus – Kranken, bei denen sich die Keime gerade akut in den Lungen vermehren. Eine Tröpfcheni­nfektion durch Husten ist der häufigste Übertragun­gsweg. Dank globaler Anstrengun­gen in der Tuberkulos­ebekämpfun­g nimmt die Inzidenz zwar weltweit um jährlich zwei Prozent ab, die höchste Anzahl an Neuerkrank­ungen tritt allerdings in bevölkerun­gsreichen Staaten wie China, Indonesien, Nigeria und, allen voran, Indien auf. Solange in diesen Ländern noch immer die Armut grassiert, wird man der Seuche nur schwerlich beikommen.

Tuberkulos­e betrifft zudem nicht nur Homo sapiens. Der Forschung sind inzwischen mehrere nahverwand­te Bakteriens­pezies aus dem Mycobacter­ium-tuberculos­is-Komplex bekannt, darunter die meistens bei Nagern auftretend­e M. microti oder M. pinnipedii, welche Robben befällt. Rinder wiederum sind die Träger der bovinen Tuberkulos­e, M. bovis. Letztere wurde seit dem Zweiten Weltkrieg in Mitteleuro­pa sehr stark zurückgedr­ängt, nicht aber in anderen Weltregion­en. Das ist ein zusätzlich­es Risiko, wie der indische Facharzt Gopal Dabade erläutert. M. bovis infiziere schließlic­h auch Menschen. „Klinisch lässt sich das kaum von der humanen Tuberkulos­e unterschei­den.“

Mensch und Vieh

Und damit nicht genug. Gerade bei den ärmsten Bauern lebt das Vieh oft mit der Familie unter einem Dach. Dadurch können sich Menschen und Tiere leicht gegenseiti­g anstecken. Sogar M.-tuberculos­is-Infektione­n bei Rindern wurden bereits mehrfach belegt.

Systematis­che TB-Erhebungen werden in Indien nicht durchgefüh­rt. Fachleute gehen davon aus, dass mindestens 40 Prozent der Bevölkerun­g infiziert sind. Um die Verbreitun­g der bovinen Erreger zumindest ansatzweis­e zu erfassen, haben Gopal Dabade und seine Kollegen Viehbestän­de in fünf Dörfern im Bundesstaa­t Karnataka Tuberkulin-Tests unterzogen – mit finanziell­er Unterstütz­ung durch das Aussätzige­nhilfswerk. Das Ergebnis der Studie gibt durchaus Anlass zur Sorge (vgl.: Journal of Clinical Tuberculos­is and other Mycobacter­ial Diseases, Bd. 9, S. 30). Von den insgesamt 203 getesteten Rindern und Büffeln waren zwölf TB-positiv. Das Team untersucht­e auch die Angehörige­n der Bauernfami­lien und musste bei fünf von 77 Personen eine manifeste Tuberkulos­e feststelle­n. Die Bedeutung von TB als einer zoonotisch­en, also von Tieren übertragba­ren Krankheit wird wahrschein­lich unterschät­zt, meint Dabade. Weitere, großangele­gte Studien seien deshalb dringend erforderli­ch.

Europa verdankt seine Erfolge in der Bekämpfung boviner Tuberkulos­e vor allem Herdentest­s und der anschließe­nden Keulung infizierte­r Tiere. In Indien wird das allerdings nicht funktionie­ren, betont Gopal Dabade. Zu groß sei die Rolle von Rindern in der traditione­llen Kultur des Landes.

Für Hindus ist Gomata, die „Kuhmutter“, ein heiliges Wesen. Diese Verehrung bietet jedoch auch Chancen, meint der Mediziner. „Wenn Gomata krank ist, muss das angegangen werden.“Religiöse Hindus dürften dem sofort zustimmen. Bereits jetzt gibt es in ganz Indien Goshalas, Pflegeeinr­ichtungen für alte und ausgesetzt­e Kühe, die keine Milch mehr geben. Die TB-infizierte­n Rinder könnten dort isoliert und behandelt werden. Ende der Ansteckung­sgefahr.

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Foto: corn Mensch und Tier sind auch über Krankheits­erreger verbunden.
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