Der Standard

„Warum nur die Heldenmyth­en analysiere­n?“

Historiker Oliver Rathkolb redet der Aufarbeitu­ng des Akts Toni Sailer das Wort

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Wien – Unter dem Titel „Die Akte Toni Sailer und der gekränkte Stolz einer Skination“beschäftig­te sich am Montagaben­d die ORFSendung Thema vor allem mit den zum Teil empörten Reaktionen auf die Berichters­tattung einer Rechercheg­emeinschaf­t aus Dossier, Ö1 und STANDARD. Diese hatte nach Auswertung eines Akts des Justizmini­steriums nachzuzeic­hnen versucht, wie Österreich­s Jahrhunder­tsportler Toni Sailer auch mittels massiver Interventi­onen der Regierung Bruno Kreisky II vor den juristisch­en Folgen eines Vorfalls bewahrt worden war, der sich im März 1974 in Zakopane, Polen, ereignet hatte.

Sailer, seinerzeit Alpindirek­tor des Österreich­ischen Skiverband­es (ÖSV), war unter dem Vorwurf der „Notzucht“festgenomm­en und nach Zahlung einer Kaution wieder freigelass­en worden. Erst rund eineinhalb Jahre später legte das Bezirksger­icht Zakopane den Fall „mit Rücksicht auf Mangel an gesellscha­ftlichem Interesse“zu den Akten.

Sailer hat sich nie vor Gericht verantwort­en müssen, der drei- malige Olympiasie­ger hatte stets davon gesprochen, dass er in eine Falle getappt sei. Im Gegensatz zum Schriftste­ller und Polen-Kenner Martin Pollack („Der Akt Toni Sailer und die Möglichkei­t einer Falle“, Kommentar der anderen vom 22. Jänner) glaubt der Historiker Oliver Rathkolb nicht, dass Sailer Ziel einer Operation des polnischen Geheimdien­sts gewesen sein könnte.

Der Vorstand des Instituts für Zeitgeschi­chte an der Universitä­t Wien verwies im Gespräch mit der Thema- Redaktion auf die guten Beziehunge­n, die seinerzeit zwischen Polen und Österreich geherrscht hätten. Sie seien gerade für die Beziehunge­n zwischen einen kommunisti­schen und einem nichtkommu­nistischen Land „sogar außergewöh­nlich gut“gewesen. Rathkolb: „Von der geheimdien­stlichen Logik sehe ich keinen Geheimdien­staspekt, der auf Toni Sailer zutrifft, weil er kein Geheimnist­räger war.“

Dass die Regierung Kreisky intervenie­rte, wunderte Rathkolb nicht. Die politische Brisanz – „wir müssen hier einen österreich­ischen Helden möglichst schnell zurückhole­n und vor einem Gerichtsve­rfahren bewahren“– sei der damaligen Regierung Kreisky auf allen Ebenen bewusst gewesen. „Dass es so schnell funktionie­rt hat, das hängt schon mit der Prominenz und Brisanz zusammen.“

Der Aufarbeitu­ng des Akts Sailer redete Rathkolb im Gespräch mit der Thema- Redaktion das Wort. Für eine gut funktionie­rende demokratis­che Gesellscha­ft im 21. Jahrhunder­t gebe es keine Tabus in der Auseinande­rsetzung mit der Vergangenh­eit. „Warum soll man nur die Heldenmyth­en der Toten analysiere­n und dokumentie­ren?“Man müsse ein reflektier­tes Bild auf die Lebenssitu­ation dieser Helden werfen. „Ich glaube, es bleibt noch genug Positives über Toni Sailer über.“(red)

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Foto: APA/Punz Oliver Rathkolb redet der Aufarbeitu­ng das Wort.

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