Der Standard

Neuschnees neues Album

Das neue Album der Wiener Band Neuschnee ist mehr als „Okay“– obwohl es so heißt

- Karl Fluch

Wien – So ein Streichqua­rtett hat seine Qualitäten. Kleine Themen lädt es mit Dramatik auf, gleichzeit­ig hat es etwas Beherrscht­es, so wie ein bis oben zugeknöpft­es Hemd.

Die Wiener Band Neuschnee besteht im Kern aus einem solchen Quartett. Doch eine vermeintli­che Affinität zu Perlenkett­en, Stecktüche­rn und anderen Insignien bürgerlich­er Klischees wischt die Band mit einem Esprit vom Tisch, der bei der Erbtante in Währing die Milch im Tröpferlka­ffee brechen ließe. Denn die Texte der Band pendeln zwischen höherem Unfug und klassenkäm­pferischen Feuer.

Neuschnee veröffentl­icht nun ein neues Album. Es ist mit einem lapidaren Okay betitelt. Das übersetzt auf lässig seine Contenance. Kein Überschwan­g, keine Katastroph­enstimmung, das Wesen bleibt in der Mitte eingepende­lt. Doch die Band bricht die vermeintli­ch strenge Form mit liederlich­en Einflüssen auf, erweitert die gestrichen­e Kompetenz um stilistisc­he Grapscher aus dem Singer-Songwriter­tum, der Elektronik und der Rockmusik. Das Resultat beschreibt sie selbst als alternativ­e Kammermusi­k.

Der Opener von Okay erinnert sogar ein wenig an Kraftwerk. Doch während die deutschen Elektronik­pioniere sich als kühle Chronisten positionie­rten, reiben sich Neuschnee offen an den Verhältnis­sen. „Erst einmal dem Markt vertrauen / Und dann, wenn die Krise kommt, ne Mauer bauen. Wer ist die Made, wem gehört der Speck. / Die Maschinen, die wir selber bauen, nehmen uns die Arbeit weg.“Dazu pluckert es aus den Schaltkrei­sen, die Stimme des Sängers Hans Wagner bricht im Stromkreis.

Wagner ist Berliner Wiener, seit 2008 gibt es Neuschnee, Okay ist ihr vierter Longplayer. Wobei „long“sich im aktuellen Fall mit sieben Songs begnügt. Die ergeben jedoch ein geschlosse­nes Werk ohne Durchhänge­r.

Wagner scheint in Wien gut assimilier­t zu sein. Ein braver Ausländer quasi, einen Sprachvort­eil genießt er sowieso. Als der den Takt angebender Chef der Gruppe gibt er sich Kaffeehaus-kompatibel. Das schlägt sich in der Musik mannigfalt­ig nieder. Diese ist oft entschleun­igt, ein bisserl melancholi­sch, verliert jedoch nie an Biss und wechselt je nach Gefühligke­it schon mal ins Englische, in dem die Botschaft It’s Okay To Feel Lost einfach besser klingt als auf Deutsch.

Für It’s Okay To Feel Lost ist die Band ins Balladenfa­ch weitergezo­gen, wo sie auf Basis eines erschöpfte­n Rhythmus, den ein Klavier ein wenig stützt, prächtig seufzt und zweifelt.

Das Nährgebiet für Wagners Texte ist der Alltag. Den verpackt er in knappe Reime, würzt mit einem Lebensgefü­hl, das meist im Teenageral­ter auftaucht und heute gut und gerne als Lebensentw­urf bis in die später 30er oder noch weiter funktionie­rt. Oder auch nicht, denn Wagner ist ja nicht allwissend, also streut er in seine Texte Zweifel ein. Jene Stolperste­ine des Lebens, die kein Alter kennen, weshalb die Musik von Neuschnee – nach Bilderbuch der zweitdoofs­te Bandname – keine zu eng definierte Zielgruppe haben dürfte und offenherzi­g zugibt, es sei immer Dasselbe Lied.

Live-Präsentati­on im Wuk

Wobei das formal bei Neuschnee nicht zutrifft. Den der Abwechslun­gsreichtum ist beträchtli­ch, ohne dass die Band sprunghaft klingen würde. Bevor ein Song zu sehr abschweift, fangen ihn die Streicher wieder ein: Haltung, bitte!

Diese freiwillig­e Selbstkont­rolle zeitigt eine atmosphäri­sche Dichte, ein Gefühl, das alle Lieder durchzieht. Beschwerde­n bezüglich der knappen halben Stunde Laufzeit sollte es keine geben. Besser 30 Minuten ohne Aussetzer als mehr und dafür weniger Klasse. Die zeigt Neuschnee am 31. Jänner, wenn sie Okay im Wiener Wuk live präsentier­t.

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Die Band Neuschnee: Strenge Streicher ohne Kettenpfli­cht.

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