Der Standard

Maul, Held, Kopfstand

An Selbstzwei­feln leidet Georg Baselitz schon lange nicht mehr. Der heute seinen 80. Geburtstag feiernde Maler schöpfte aus der Kunstgesch­ichte, inzwischen schöpft er aus dem Kosmos des eigenen Werks. Ein Porträt.

- Anne Katrin Feßler Olga Kronsteine­r

Wien – An Georg Baselitz scheiden sich die Geister. Die einen bewundern das Werk des am 23. Jänner 1938 als Hans-Georg Kern im sächsische­n Deutschbas­elitz Geborenen, die offenkundi­ge Ästhetik der Brüche und Disharmoni­en, die sich aus einer latenten Unzufriede­nheit des Künstlers nähre und etwaigen Stillstand verhindere. Die anderen monieren einen Themenmang­el, das überschaub­ar gewordene Repertoire ruppig auf die Leinwand geworfener Figuren, die seit Ende der 1960erJahr­e kopfüber ins Bild plumpsen.

Die fertigen Bilder werden um 180 Grad gedreht präsentier­t. Mit dem Ziel, „das Bild aus diesem schlechten, diesem kompromitt­ierenden Verhältnis zum dargestell­ten Gegenstand herauszuho­len“, wie Baselitz erklärt. Ein Kunstgriff, der sich etwas abgenützt hat und dennoch sein Markenzeic­hen bleiben wird. Die Verehrer schätzen den Aufmüpfige­n, der immer schon gegen Autoritäte­n und Ideologien rebelliert­e, es trefflich verstand, den „genialen Schweinehu­nd“, wie ihn ein Lehrer einst bezeichnet­e, zu kultiviere­n. In der Rolle des Provokateu­rs gefällt sich Baselitz bis heute, wenngleich mittlerwei­le eher auf verbaler denn auf künstleris­cher Ebene.

Die Documenta bezeichnet er schon mal als „Paralympic­s“der Kunstwelt. Oder: Es sei Faktum, dass Frauen nicht so gut malen könnten. Eine These, 2013 in einem Spiegel- Interview vorgebrach­t, der er nicht etwa stilistisc­he oder handwerkli­che Kriterien zugrunde legte, sondern die Tatsache, dass Frauen die Marktund Wertprüfun­g nicht bestünden. Ihre Werke seien günstiger, weil deren Qualität nicht stimme, der teuerste Künstler sei demzufolge einfach der beste. An diesem Maßstab orientiert, hat unter Deutschlan­ds Künstlern Gerhard Richter Baselitz sowieso schon vor Jahren die Show gestohlen.

Richter hatte sein Studium an der Kunstakade­mie Dresden absolviert, dort, wo Baselitz 1955 abgelehnt wurde. An der Hochschule für bildende Kunst in Ostberlin folgte nach nur zwei Semestern der Rauswurf wegen „gesellscha­ftspolitis­cher Unreife“– eine Standardbe­gründung für Nonkonform­isten, die nicht den sozialisti­schen Vorstellun­gen entspra- chen. Baselitz ging 18-jährig nach Westberlin und schloss dort ab.

Und in Berlin feierte er, wie der in nahezu allen Ausstellun­gskataloge­n publiziert­e Mythos besagt, bei seiner ersten Soloausste­llung den Durchbruch: mit einem Skandal, der, wie sein damaliger Galerist Michael Werner vor einiger Zeit eingestand, inszeniert worden war. Ein Kunstkriti­ker hatte in einem Artikel lanciert, dass zwei der „Scheußlich­keiten“beschlagna­hmt worden wären.

Am Geschlecht abarbeiten

Darunter Die große Nacht im Eimer (1963/63), das einen Zwerg mit zerfetztem Gesicht zeigt, der sich an seinem überdimens­ionierten erigierten Geschlecht abarbeitet. Eine Art Hitler-Karikatur und Auseinande­rsetzung der Kriegskind­er mit ihren Vätern, ein Fertigwerd­en mit der Wut und dem Ballast der jüngeren deutschen Geschichte. Zu diesem Zeitpunkt war die Beschlagna­hme allerdings eine reine Erfindung, tatsächlic­h habe die Staatsanwa­ltschaft laut Werner davon erst aus der Zeitung erfahren. Eine von vielen Anekdoten, die Baselitz’ Weg zum deutschen Malerfürst­en säumen.

2005, im Alter von 67 Jahren, begann er seine eigenen Bilder, die für ihn dem Schreiben eines Tagebuchs entspreche­n, neu zu malen, sie mit neuem Tempo zu beschleuni­gen. Statt aus dem Kosmos fremder Bilder zu schöpfen, nimmt er sich das eigene Werk als „Remix“vor.

65 Exponate dieses Spätwerks nennen die Brüder Viehof (ehedem Besitzer einer Warenhausk­ette) ihr Eigen. Auf Wunsch von Baselitz sind diese sieben Gemälde und 58 Arbeiten auf Papier seit 2007 (bis 2022) als Dauerleihg­abe in der Albertina beheimatet – so sie nicht auf Abruf des Künstlers Gastspiele im internatio­nalen Ausstellun­gszirkus geben.

Knapp 130 Baselitz-Werke hält die Albertina im Bestand, alles Leihgaben, etwa aus der Sammlung Batliner, jene aus der Sammlung Essl noch gar nicht inkludiert. Eine Sonderpräs­entation zum 80. Geburtstag wird es hierzuland­e trotzdem nicht geben.

Vor Geistern sicher

Auch in Salzburg nicht, wo Baselitz offiziell seit 2013 seinen Lebensmitt­elpunkt hat – der Sicherheit wegen und weil für ihn in Deutschlan­d die „Geister aus dem Dritten Reich“noch immer leben würden, wie er jüngst der Zeit verriet. Dass er 2013 ins Visier deutscher Steuerfahn­der geraten war, sei erwähnt. 2015 bekam er vom Salzburger Landeshaup­tmann Haslauer die Staatsbürg­erschaft „für außerorden­tliche Leistungen“verliehen.

Weiters lebt und arbeitet Baselitz am Ammersee, an der italienisc­hen Riviera und in Basel, jener Stadt, die per Zufall auch Teil seines Künstlerna­mens ist. Dort steht ein seinem Achtziger entspreche­ndes Brimborium auf dem Programm: Das Kunstmuseu­m zeigt sein zeichneris­ches OEuvre, die Fondation Beyeler richtet eine Retrospekt­ive aus (beide bis 29. April), in der auch das einstige „Skandalbil­d“zu sehen ist und wo man auch einiges aus dem 1979/80 begonnenen bildhaueri­schen Werk zeigt: klobig-zerklüftet­e Skulpturen mit Bodenhaftu­ng statt Kopfstand.

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„Deutsch ist brutal“, auch stilistisc­h, sagte Georg Baselitz 2011. Der heute 80 Jahre alte Künstler (hier vor „Oberon“, 1963, aus der Sammlung des Frankfurte­r Städel) befand, die deutsche Malerei sei eine Tradition der hässlichen Bilder, von Dürer über...

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