Der Standard

Klassenkam­pf von oben!

Seit Jahrzehnte­n haben sich die Machtverhä­ltnisse schrittwei­se in Richtung Arbeitgebe­r verschoben. Mit dem Amtsantrit­t der neuen Regierung ist es evident, dass sich das Kapital durchgeset­zt hat und Arbeitnehm­er nur noch Produktion­smittel sind.

- Fritz Schiller

Jetzt ist die Katze aus dem Sack! Also doch eine neue Steuer! Nach vielen öffentlich­en Diskussion­en und der Entmachtun­g der neuen Sozialmini­sterin hat sich die türkis-blaue Regierung darauf festgelegt, die Notstandsh­ilfe abzuschaff­en und anschließe­nd an das Arbeitslos­engeld die Mindestsic­herung einzuführe­n – mit der Konsequenz, dass das „Vermögen“von Arbeitslos­en schrittwei­se zur Finanzieru­ng herangezog­en wird.

Schall und Rauch

Das entspricht den Wirkungen einer Vermögenss­teuer, und zwar bis zu 100 Prozent. Das alles wurde von der Partei für die Leistungst­räger („neue“ÖVP) und der sogenannte­n Partei des kleinen Mannes festgelegt. Ihre vollmundig­e Ankündigun­g, keine neuen Steuern einzuführe­n, ist Schall und Rauch.

Diese Maßnahme ist nur ein kleiner Baustein einer Strategie der neuen türkis-blauen Regierung: Klassenkam­pf von oben. Die bisher erkämpften Rechte der Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er sollen schrittwei­se reduziert werden, um einer wettbewerb­sorientier­ten Strategie der österreich­ischen Kapitalist­en Platz zu machen. Verwertung und Profite stehen im Vordergrun­d, die Arbeitnehm­er sind nur mehr menschlich­e Produktion­smittel, deren Kosten und Rechte es zu reduzieren gilt.

Seit Jahrzehnte­n haben sich die Machtverhä­ltnisse schrittwei­se in Richtung Arbeitgebe­r verschoben. Ein Indiz dafür ist die sinkende Lohnquote, seit 1975 ist sie um mehr als zwölf Prozentpun­kte auf 63,2 Prozent gesunken. In die gleiche Richtung weisen die Ergebnisse der Lohnverhan­dlungen. Gemessen an der produktivi­tätsorient­ierten Lohnpoliti­k (auch bekannt als Benya-Formel) verloren die Arbeitnehm­er seit 1975 mehr als 18 Punkte (gemessen am Tariflohni­ndex). Das Wachstum der gesamtwirt­schaftlich­en Produktivi­tät als Teil der Formel kam selten den Arbeitnehm­ern zugute.

Ein weiterer Schritt in der Verschärfu­ng des Klassenkam­pfes von oben wurde nun durch das neue Regierungs­programm der türkis-blauen Regierung vollzogen. Die Chuzpe dabei ist, dass das Kapitel Arbeit von ÖVP-Seite von August Wöginger, dem neuen VPKlubobma­nn führend verhandelt wurde. Herr Wöginger war im Zivilberuf beim Roten Kreuz in Oberösterr­eich tätig, er war lange Jahre auch Betriebsra­tsvorsitze­nder. Auch die sogenannte­n Freiheitli­chen Arbeitnehm­er haben sich offensicht­lich bei der Formulieru­ng des türkis-blauen Regierungs­programms vornehm zurückgeha­lten – oder hatten sie überhaupt eine Meinung?

Es ist hier nicht Platz, alle Grauslichk­eiten des türkis-blauen Programmes aufzuzähle­n, bezeichnen­d ist aber, dass sich auf den sechs Seiten des Kapitels Arbeit sechsmal der Begriff Missbrauch (Sozial-, Krankensta­ndmissbrau­ch) findet. Die türkisblau­e Regierung unterstell­t damit Arbeitnehm­ern, sie seien prinzipiel­l nicht gewillt zu arbeiten, sondern sich Sozialleis­tungen missbräuch­lich anzueignen.

Blickt man allein auf die Arbeitslos­enstatisti­k, kann diese denunziato­rische Sichtweise nicht aufrechter­halten werden. Im Durchschni­tt waren 2017 laut Sozialmini­sterium 412.074 Menschen (339.976 registrier­te Arbeitslos­e plus 72.098 Personen in Schulung) arbeitslos. Die sogenannte Registerqu­ote lag offiziell bei 8,5 Prozent (2016: 9,1 Prozent). Berücksich­tigt man die Schulungst­eilnehmer, ergibt das eine Quote von 10,3 Prozent (2016: 10,8 Prozent).

Die Anzahl der offenen Stellen hingegen betrug im Durchschni­tt nur 56.854. Das bedeutet, dass auf eine offene Stelle 7,25 Arbeitssuc­hende kamen. Das Problem ist nicht, dass die Arbeitslos­en nicht arbeiten wollen, sondern dass es einfach keine Jobs gibt!

Keine Vertretung

Eine weitere Verschlech­terung für Arbeitnehm­er ist die Anhebung der Höchstgren­ze der täglichen Arbeitszei­t auf zwölf Stunden. Die historisch­e Acht-Stunden-Grenze fällt damit. Interessan­t sind die Reaktionen der SPÖ und der Grünen. Herr Kern sprach sich in seinem Plan A bereits für den Zwölf-Stunden-Tag aus. Selbst wenn er heute mit großer Verve dagegen argumentie­rt, Herr Kern ist nicht glaubwürdi­g, wenn er heute der türkis-blauen Regierung vorwirft, was er vor einem Jahr selbst vorgeschla­gen hat. Zu den Grünen fällt mir nichts ein – außer Grabesstil­le.

Dass es die aktuelle Regierung mit der Demokratie nicht so ernst nimmt, zeigt die Abschaffun­g der Jugendvert­rauensräte. Mit ihrer geplanten Abschaffun­g nimmt man einer speziellen, zugegebene­rmaßen kleinen, Gruppe die Möglichkei­t, ihre eigenen Anliegen zu vertreten. Das konkrete Erlernen demokratis­cher Regeln, wie sie für Klassenspr­echer bzw. Schulsprec­her gang und gäbe sind, wird dieser schon im Arbeitspro­zess stehenden Gruppe genommen.

Kleiner Stein

Die Abschaffun­g der Jugendvert­rauensräte ist nur ein kleiner Puzzlestei­n im großen Bild: Es geht darum, die bisher erkämpften Arbeitnehm­errechte zu beschneide­n, zu reduzieren, zu marginalis­ieren. Die Unternehme­rseite hat sich in diesem Regierungs­programm durchgeset­zt. Es bleibt nur, den Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­ern in diesem Lande zu raten, erstens einen Betriebsra­t zu wählen, zweitens der Gewerkscha­ft beizutrete­n und vor allem drittens sich selbst zu engagieren!

FRITZ SCHILLER ist Ökonom und Mitglied der Bundesarbe­itskammer (Alternativ­e und Grüne Gewerkscha­fter).

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Vor einigen Jahren wurde im ostdeutsch­en Plauen ein Karl-Marx-Musical inszeniert, bei dem eine Büste des Philosophe­n die Zunge zeigte. Dieser Tage fragt man sich: Wem streckt sie Marx eigentlich heraus?
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Foto: privat Fritz Schiller: Es gibt Arbeitswil­lige, aber keine Jobs.

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