Der Standard

Erdogan demontiert die USA

Mit dem Afrin-Feldzug in Syrien nabelt sich die Türkei vom Nato-Verbündete­n ab

- Markus Bernath

Kleines Gebiet, große Folgen: Der Feldzug der Türkei gegen die Kurden in der nordsyrisc­hen Grenzprovi­nz Afrin ist eine Zäsur. Ein Einschnitt in der sonst eher zurückhalt­enden Militärpol­itik der Türkei und eine neue Wende im nun seit sieben Jahren dauernden Krieg in Syrien. Ankara ist im Begriff, den einzigen Waffenverb­ündeten der USA auf dem so komplizier­ten syrischen Kriegsscha­uplatz zu demontiere­n. Das AfrinAbent­euer sagt viel über die Stümperhaf­tigkeit der US-Regierung und über das neue Selbstvers­tändnis der Türkei von Tayyip Erdogan.

Dass der zweitgrößt­en Armee in der Nato die Besetzung der syrischen Provinz und die Vertreibun­g der Kurdenmili­z YPG gelingen sollte, darf man annehmen. Es mag vielleicht länger dauern, als der bloße Blick auf die Landkarte suggeriert. Ähnlich wie bei der „Operation Euphratsch­ild“der Türkei weiter östlich von Afrin in den vergangene­n zwei Jahren.

„Euphratsch­ild“aber hatte eine gewisse Unterstütz­ung der USA und die Billigung Russlands. Es ging vor allem gegen die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) in Syrien. Dieser Feldzug gegen die Kurden in Afrin jedoch ist eine rein türkische Unternehmu­ng: Innenpolit­ik, Machtpolit­ik, Abnabelung vom Nato-Verbündete­n USA und dem Westen. ie Türkei ist in der Vergangenh­eit wohl immer wieder mit Truppen in den Nordirak eingedrung­en, um Stellungen und Lager der PKK zu zerstören. Dafür hat sie sich auf Artikel 51 der UN-Charta berufen, auf das Recht zur Selbstvert­eidigung: Die PKK organisier­t vom Nordirak aus Terroransc­hläge in der Türkei. Auch beim Angriff auf die syrische Provinz Afrin geht es um die PKK, so versichert die türkische Führung unermüdlic­h. PKK und syrische Kurdenmili­z YPG seien dasselbe. Das ist nicht einfach von der Hand zu weisen. Organisato­rische Verbindung­en gibt es.

Angebliche Belege für eine Beteiligun­g syrischer Kurden an Terrorakte­n in der Türkei in den vergangene­n Jahren werden von Experten gleichwohl angezweife­lt. Irgendeine­n Sinn hat es auch nicht: Die YPG hat im Bürgerkrie­gsland Syrien anderes zu tun, als Anschläge in türkischen Großstädte­n zu planen, sollte man meinen. Doch es geht ja noch um anderes.

DEin politisch und militärisc­h eigenständ­iges Kurdengebi­et in Syrien wollen die nationalis­tisch gesonnenen Türken bekanntlic­h nicht hinnehmen. Sie sehen darin eine Bedrohung für den Bestand ihres Staates. Die mehrheitli­ch kurdische Bevölkerun­g im Südosten der Türkei würde sich abspalten, heißt es. So bekämpft Ankara lieber die Kurden, als ihre Sache zu kooptieren.

Die Amerikaner wissen das auch. Trotzdem bewaffnete­n sie die YPGMiliz in Syrien. Die „Volksstrei­tkräfte“waren eben die einzige verlässlic­he Truppe im Kampf gegen den IS. Nur tat die US-Regierung nichts, um das Dilemma für die Türken wieder aufzulösen. Donald Trump versprach Erdogan, die Waffenlief­erungen zu stoppen. Er tat es nicht. US-Generäle kündigten dagegen den Aufbau einer Grenztrupp­e im Norden Syriens an. Die YPG würde das zentrale Element sein. Das war den Türken zu viel.

Mit dem Angriff auf Afrin bricht die Türkei auch einen Krieg gegen den großen Rest des Kurdengebi­ets in Syrien los. Das schwächt die USA und stärkt Russlands Hand. Moskau billigt die Afrin-Operation. Die Türkei, so erwarten die Russen, wird ihren Platz an Syriens Machthaber Bashar al-Assad abtreten.

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