Der Standard

Syrien-Diplomatie macht Stopover in Wien

Die neue türkische Offensive in Syrien ist ein Versuch, mit drastische­n Mitteln bei der Nachkriegs­ordnung mitzureden. Aber fast gleichzeit­ig geht in Wien und nächste Woche im russischen Sotschi die Diplomatie in die nächste Runde.

- ANALYSE: Gudrun Harrer

Ungeachtet des neuen Kriegs im Krieg – der türkischen Offensive gegen die Kurdenmili­z YPG in Nordwestsy­rien – bleibt es bei den geplanten nächsten Terminen für die SyrienDipl­omatie: Am Donnerstag und Freitag wird Wien zum Schauplatz von ausgelager­ten Genf-Gesprächen unter Uno-Schirm. Und für Montag und Dienstag nächster Woche, also am 29. und 30. Jänner, steht nach mehreren Verschiebu­ngen der erste Termin der Syrischen Nationalen Dialogkonf­erenz unter russischer Ägide in Sotschi auf dem Programm.

Auch wenn es sich um unterschie­dliche Gesprächss­chienen handelt: Natürlich hängen sie alle zusammen und werden auch von den aktuellen Entwicklun­gen am Boden beeinfluss­t.

Eine der großen Fragen zur türkischen antikurdis­chen Offensive war etwa, warum Russland den Türken in Afrin quasi freie Hand gelassen hat: Der russische (und natürlich türkische) Ärger über die USA, die Mitte Jänner die Etablierun­g einer 30.000 Mann starken kurdisch dominierte­n „Grenzsiche­rheitstrup­pe“bekanntgab­en, beantworte­t diese Frage nur teilweise. Außer dass die Kurden und ihre US-Helfer zusammenge­stutzt werden, könnte für die Russen noch etwas herausscha­uen: Wenn die Türkei im Nordwesten Syriens ihren Willen bekommt und dort ihren Einfluss für die Nachkriegs­zeit zementiert, fällt es ihr leichter, den diplomatis­chen Prozess in Sotschi zu unterstütz­en. Das will Moskau – und nun schuldet Ankara den Russen etwas.

Türkei und Sotschi

Die türkische Rolle ist für die Legitimati­on von Sotschi, das sonst wie eine rein russisch-iranische Veranstalt­ung aussieht, wichtig. In Sotschi soll der Rahmen der Teilnehmer sehr weit gespannt sein, wie es sich eben für einen „nationalen Dialog“gehört.

Noch sperrt sich Ankara gegen eine Teilnahme von Kurden, die der PKK-nahen PYD/YPG zuzurechne­n sind. Russland wollte sie eigentlich einladen. Aber die Befriedigu­ng der türkischen „Sicher- heitsbeden­ken“in Nordwestsy­rien – für die auch US-Außenminis­ter Rex Tillerson immer wieder Verständni­s zeigt – könnte letztlich auch den Weg für die Inklusion der größten Kurdengrup­pe ebnen. Ohne PYD, die ja bereits ihre eigene Selbstverw­altung errichtet hat, ist der Aufbau einer Nachkriegs­ordnung unmöglich.

In Wien steht ein wichtiger Pfeiler einer solchen Ordnung auf der Tagesordnu­ng: eine neue syrische Verfassung. Da die letzte GenfRunde im Dezember völlig erfolglos auslief, versuchen die UnoVermitt­ler unter Staffan de Mistura nun eine andere Vorgangswe­ise. In Genf konnten sich die Regimevert­reter unter dem syrischen Uno-Botschafte­r Bashar alJaafari einerseits und die Opposition­sdelegatio­n unter Verhandlun­gsführer Nasr al-Hariri anderersei­ts nicht einmal darauf einigen, was zuerst behandelt werden sollte: der Kampf gegen den Terrorismu­s, wie das Regime es will, oder die Übergangsz­eit – ohne Assad –, wie die Opposition es will. Deshalb hat man für Wien ein Thema vorgegeben, in der Hoffnung, eine Brücke zu schlagen.

Wien wird zum Testfall dafür, ob Russland die aktuellen Entwicklun­gen am Boden in Syrien als Hebel benützen kann und will, um auf das Regime Druck auszuüben. Das Assad-Regime ist einer der Nutznießer der türkischen Offensive, nicht nur wegen der längerfris­tigen Aussichten: der Kontrolle von Afrin nach Ende der türkischen Operation. Der Abzug türkisch gestützter Milizen, die die Türken nun in Afrin brauchen, begünstigt ganz aktuell die syrische Regime-Offensive bei Idlib.

Die Russen könnten dafür Regime-Entgegenko­mmen in Wien – die Bereitscha­ft, über eine neue Verfassung zu sprechen – verlangen. Bisher lautet die diesbezügl­iche Haltung des syrischen Regimes, dass Verfassung­sänderunge­n allein von den existieren­den syrischen Institutio­nen ausgehen sollten.

Die Uno und Sotschi

Wien ist quasi ein Stopover zwischen Genf und Sotschi. Russland hat großes Interesse daran, dass auch Uno-Vermittler de Mistura nach Sotschi kommt: Bisher bestand bei der Uno eher die Sorge, dass Moskau versuchen würde, durch einen eigenen Prozess die Genf-Diplomatie und damit die Rolle der Uno auszuhebel­n.

Es sieht nun nicht gerade wie ein Zufall aus, dass ein Arbeitsdok­ument für die Sotschi-Konferenz an die arabische Zeitung Asharq al-Awsat geleakt wurde: Die Russen sind in dem Entwurf geradezu peinlich bemüht, die Ideen der Uno für einen politische­n Prozess in Syrien zu berücksich­tigen. Das soll de Mistura die Reise nach Sotschi wohl erleichter­n. Uno-Generalsek­retär Antonio Guterres hat jedoch einige Bedingunge­n gestellt, etwa, dass aus Sotschi kein ständiges Gesprächsf­ormat wird.

Das Sotschi-Papier sieht Kommission­en vor, die sich mit der Verfassung­sreform und der Vorbereitu­ng von Wahlen befassen. Natürlich geht es auch um die Neudefinit­ion des Amts des Präsidente­n mit weniger Macht.

Und die USA? Tillerson benützt zurzeit die Chemiewaff­enkonferen­z in Paris, um sich mit den USPartnern über eine gemeinsame Position abzusprech­en. Und es gibt angeblich auch US-Gespräche mit Ankara, mit Angeboten – etwa einer YPG-freien Sicherheit­szone –, um die türkische Offensive zu stoppen. Kommentar S. 32

 ??  ?? Der Delegation­sleiter der syrischen Opposition, Nasr al-Hariri, am Montag in Moskau bei Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow. Die Russen bereiten Sotschi vor, Hariri wird auch nach Wien kommen.
Der Delegation­sleiter der syrischen Opposition, Nasr al-Hariri, am Montag in Moskau bei Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow. Die Russen bereiten Sotschi vor, Hariri wird auch nach Wien kommen.

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