Der Standard

Ein Provokateu­r in der Klimaforsc­hung

Energieexp­erte Steve Koonin zweifelt das Ausmaß menschlich­en Verschulde­ns in Bezug auf den Klimawande­l an. Die Datenlage sei unzureiche­nd. Heute, Mittwoch, spricht er in Wien.

- Kurt de Swaaf

Mag auch das Eis der Arktis stetig schwinden und allein an Europas Küsten dutzende wärmeliebe­nde Tierarten nordwärts wandern – der Klimawande­l wird mancherort­s heftig abgestritt­en. US-Präsident Donald Trump ist derzeit der prominente­ste Kopf in der Riege der Skeptiker. Schwere Schneefäll­e an der Ostküste reichen ihm schon als Argument gegen eine globale Erwärmung. Kritik an der Klimaforsc­hung kommt aber auch von Experten, denen man keine populistis­che Intention unterstell­en kann: Steven Koonin ist einer von ihnen. Der Physiker kann auf eine abwechslun­gsreiche Karriere zurückblic­ken. Schon 1992 wurde er von der US-Regierung als Berater in Klimafrage­n berufen.

Später arbeitete Koonin unter anderem für den Ölkonzern BP im Bereich regenerati­ve Energiefor­schung. 2009 ernannte ihn Barack Obama zum wissenscha­ftlichen Leiter der staatliche­n Energieage­ntur DEO. Zurzeit leitet Koonin das Center for Urban Science and Progress der New York University. „Mein Standpunkt weicht ein bisschen vom generellen Konsens ab“, sagt er. Den Klimawande­l gebe es, keine Frage, aber wie viel exakt trägt der Mensch zur Erwärmung bei? „Um das zu wissen, müsste man die beteiligte­n Naturkräft­e genau verstehen, und ich glaube nicht, dass wir das tun.“

Die bisherigen Berechnung­en seien zu unpräzise, was aber von vielen Experten übergangen werde. Politik und Gesellscha­ft bekämen dadurch ein falsches Bild. Zu viele Annahmen, zu wenig harte Fakten, sagt Koonin. Ein zentrales Problem seien die Klimamodel­le. Über 50 verschiede­ne davon sind allein bei der internatio­nalen Klimaschut­zkommissio­n IPCC in Gebrauch. Der Hintergrun­d: Für die Modellieru­ng werden Erde und Atmosphäre in Raster mit 100 Kilometern unterteilt. Viele klimarelev­ante Prozesse finden jedoch in kleinerem Maßstab statt. Die entspreche­nden Rechenpara­meter müssen daran angepasst werden. Man „stimmt“die Modelle, wie Steven Koonin es ausdrückt. „Genau wie in der Musik. Es ist eben nicht nur Physik.“Kein Wunder also, dass die Ergebnisse der einzelnen Modellrech­nungen weit auseinande­rliegen. Die Differenze­n betragen zum Teil das Dreifache der gesamten Erwärmung im 20. Jahrhunder­t. Der Weltklimar­at IPCC basiert seine Schlüsse auf den Durchschni­ttswerten aller Modelle, sagt Koonin. Das sei keine gute wissenscha­ftliche Praxis.

Der Physiker kritisiert die Zeitspanne­n diverser Betrachtun­gen. Der Meeresspie­gel zum Beispiel steige nicht erst seit 70 Jahren an, sondern schon seit Mitte des 19. Jahrhunder­ts (vgl. u. a. PNAS, Bd. 113, S. E1434). Damals war der menschlich­e Einfluss auf das Klima viel geringer, betont er. Ein weiterer Aspekt sei der eher begrenzte Beitrag des Homo sapiens zum Energieaus­tausch zwischen Boden und Atmosphäre. Dieser beträgt lediglich zwei Watt pro Quadratmet­er, erklärt Koonin. Regen und Verdampfun­g dagegen schlagen mit circa 84 Watt, der gesamte natürliche Treibhause­ffekt sogar mit rund 300 Watt pro Quadratmet­er zu Buche. Solche großen Unterschie­de erschweren die präzise Zuweisung von Effekten. „Es ist ein chaotische­s System.“Wer könne da genaue Prognosen treffen?

Bekannte Defizite

Die Fachwelt weiß natürlich um solche Defizite. Steven Koonin wirft ihr allerdings vor, diese nicht deutlich genug in die Diskussion­en einzubring­en. „Wissenscha­ft bedeutet, mit Unsicherhe­iten umzugehen.“Alles müsse offen auf den Tisch, auch die Lücken und Widersprüc­he. Im vergangene­n Jahr hat Koonin deshalb vorgeschla­gen, die Klimaforsc­hung einem umfassende­n Stresstest zu unterziehe­n. Ähnlich wie bei einer Militärübu­ng solle ein „Blaues Team“die gängigen Modelle und Schlussfol­gerungen verteidige­n, während ein „Rotes Team“diese mit konkreten Zahlen und Argumenten zu widerlegen versuche. Das würde die Debatte fördern und weitere Studien stärken, glaubt Koonin.

Ganz fehl am Platz seien dagegen Stellungna­hmen wie jene im aktuellen Bericht der US- Klimarats. Dort werde unter anderem ein vermehrtes Auftreten von Hitzewelle­n hervorgeho­ben. „Solche Behauptung­en sind eine Schande für die Wissenscha­ft“, sagt Koonin. Vergleichb­are Hitzephase­n habe es in den USA um 1900 auch schon gegeben.

Der Kritiker selbst erntet für seine Einwände natürlich ebenfalls Kritik. Man hält Koonin vor, Klimawande­lleugner mit Pseudoargu­menten zu beliefern. Allen offenen Fragen zum Trotz sei die globale Erwärmung schließlic­h real und messbar. 2014 zum Beispiel schrieb der Journalist Jeffrey Kluger zu Koonin im Time Magazine: „Sagen Umweltfors­cher und grüne Politiker tatsächlic­h, die Wissenscha­ft sei ,eindeutig‘? Ja, das tun sie – aber sie meinen damit, dass die fehlgeleit­ete Debatte über den Klimawande­l als gewaltiger Hoax zu Ende ist. Sie meinen nicht, es gebe keine Arbeit mehr zu erledigen.“

Vortrag an der Akademie

Koonin ficht all das nicht an. Die Integrität der Wissenscha­ft stehe für ihn an erster Stelle, sie müsse immer objektiv bleiben. Politik und Gesellscha­ft sollten die Forschungs­ergebnisse ungefärbt vorgesetzt bekommen. Welche Schlüsse sie daraus ziehen, sei nur ihnen vorbehalte­n. Koonin wird seine Positionen heute, Mittwoch, im Rahmen einer Schrödinge­r Lecture an der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften vortragen (17.30, Ignaz-SeipelPlat­z 2, 1010 Wien).

„Wir brauchen unbedingt bessere und präzisere Beobachtun­gen des Klimasyste­ms“, betont er. Die weitere Entwicklun­g regenerati­ver Energieres­sourcen sei ebenfalls sinnvoll, weil sich deren Vorteile nicht nur auf CO -Einsparung­en beschränke­n. Den flächendec­kenden Einsatz solcher neuer Technologi­en würde der Physiker noch verschiebe­n wollen – um zehn Jahre, „bis wir ein klares anthropoge­nes Signal im Chaos erkennen können.“Vielleicht spiele der Mensch ja gar keine so große Rolle, und der schnelle Verzicht auf fossile Brennstoff­e wäre voreilig. Mit dieser Meinung wird er sich nicht nur Freunde machen.

„Wir brauchen bessere Beobachtun­gen des Klimasyste­ms.“Steven Koonin

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Wie die Trockenhei­t der Landwirtsc­haft zusetzen kann, sieht man hier im Marchfeld. Was das alles mit dem Menschen zu tun hat, darüber gibt es unterschie­dliche Ansichten.
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