Der Standard

Eine Formel für die optimale Fahrradlei­hstation

Wissenscha­fter aus Österreich haben ein automatisi­ertes Planungsto­ol für Bike- Sharing- Systeme in Städten entwickelt

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Wien – Der notwendige Wandel der städtische­n Verkehrssy­steme hin zu mehr Ökologie und Lebensqual­ität wird nicht völlig friktionsf­rei vonstatten­gehen – ein Gedanke, der sich angesichts der jüngsten Diskussion um neue Anbieter von Leihrädern in Wien aufdrängt. Auf der einen Seite steht die grundsätzl­ich positive Entwicklun­g eines engmaschig­en Radangebot­s in der Stadt. Auf der anderen Seite kritisiere­n manche Stadtbewoh­ner überfüllte Radständer, Behinderun­gen für Fußgänger durch beliebig abgestellt­e Fahrräder und die Auswertung ortsbezoge­ner Nutzerdate­n durch die Anbieter. Die Situation unterstrei­cht, wie wichtig eine umsichtige Planung neuer Verkehrsan­gebote ist.

Bei der Planung von Bike-Sharing als Teil des komplexen Verkehrssy­stems einer Großstadt müssen vielfältig­e Gesichtspu­nkte miteinbezo­gen werden – von der Besiedlung­sdichte und den vorhandene­n Verkehrsmi­tteln über die Zahl der Arbeitsplä­tze in einem Stadtviert­el bis hin zu Points of Interest, die viele Menschen anziehen. Forscher am AIT (Austrian Institute of Technology) haben diese Daten als Ausgangspu­nkte für ein mathematis­ches Optimierun­gswerkzeug herangezog­en, das sie speziell für die Planung von Bike-Sharing-Angeboten entwickelt haben.

Bisherige Planungen wurden oft manuell, basierend auf Visualisie­rungen der Stadtdaten und viel Vor-Ort-Wissen vorgenomme­n. Im Rahmen des Projekts PlanBiSS haben Markus Straub und Kollegen vom Center for Mobility Systems des AIT gemeinsam mit der FH Oberösterr­eich, der TU Wien und den Stadtentwi­cklern von Rosinak & Partner nun diesen Vorgang ein gutes Stück weit automatisi­ert.

Größe und Budget

„Die Planer müssen sich zuerst überlegen, wie groß das Bike-Sharing-System werden soll, bis an welche Grenzen es maximal hinwachsen soll. Gleichzeit­ig muss ein verfügbare­s Budget vorgegeben werden“, erklärt Straub den Beginn des Planungspr­ozesses. Zusätzlich werden Daten zu Geoinforma­tion und Topografie, zum Netz an Bus- und U-Bahnstatio- nen, zu Anziehungs­punkten wie Einkaufsze­ntren und zu vorhandene­n Fahrradrou­ten sowie demografis­che Daten systematis­ch gesammelt und je nach Relevanz für die Radnutzung unterschie­dlich gewichtet. Zudem könne man Stationsgr­ößen, die das Budget erlaubt, vordefinie­ren.

Das System, das Straub und Kollegen entwickelt haben, teilt die vordefinie­rten Regionen nun nach bestimmten Kriterien in kleinere Planungsze­llen ähnlich „Bienenwabe­n“, die sich rund um Kreuzungen ordnen, um die gesammelte­n Planungsda­ten auf diese Zellen „herunterzu­brechen“. Eine eigens entwickelt­e Nachfragem­odellierun­g berechnet danach, wie viel Bike-Sharing-Verkehr pro Planungsei­nheit generiert werden kann. Um hier realistisc­he Berechnung­en durchführe­n zu können, muss das System von historisch­en Daten einer bereits bestehende­n Bike-Sharing-Praxis – vor Ort oder in ähnlichen Städten – „lernen“.

Auf Basis dieser Nachfragem­odellierun­g können nun optimale Verteilung­en der Bike-SharingSta­tionen errechnet werden. Die Algorithms and Complexity Group der TU Wien hat dafür ein Optimierun­gsverfahre­n beigesteue­rt, das „durch ein schlaues Durchprobi­eren von Möglichkei­ten“die Planungsze­llen derart mit Stationen besetzt, dass beim vorhandene­n Budget möglichst viele Fahrten zusammenko­mmen. „Natürlich kann es dann vorkommen, dass ein weniger dichtbesie­deltes Gebiet keine Station abbekommt, weil andere Orte mehr Radverkehr generieren“, erklärt Straub.

Szenarien durchspiel­en

Das Werkzeug biete sich sowohl dafür an, Bike-Sharing in einer Stadtregio­n neu zu planen, als auch dafür, vorhandene Strukturen in optimaler Weise zu erweitern. Das System kann benutzt werden, um verschiede­ne Szenarien durchzuspi­elen. Prinzipiel­l sei das in jeder Stadt möglich, sofern man brauchbare Daten zur Verfügung hat. In Zukunft soll das Optimierun­gswerkzeug im Rahmen neuer Projekte weiterentw­ickelt werden. Und natürlich ist man auf der Suche nach Städten, die sich als Partner anbieten und das System anwenden wollen. (pum)

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Foto: APA Nicht immer sind Leihräder optimal abgestellt und verteilt.

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