Der Standard

Die Wurzeln des Bitcoin-Fiebers

Die enormen Kursgewinn­e von Bitcoin haben die Cyberwähru­ng berühmt gemacht. Doch was steckt hinter dem Phänomen, und warum ist das Interesse an Geldaltern­ativen so groß?

- Alexander Hahn, Andreas Danzer, Bettina Pfluger

Das Wetter ist nicht ganz ungetrübt, als das Kreuzfahrt­schiff Mariner of the Seas Mitte Jänner von Singapur aus in See sticht – im Gegensatz zur prächtigen Stimmung an Bord. Was die mehr als 600 Passagiere eint, ist ihr Enthusiasm­us für Kryptowähr­ungen. Locker bei Cocktails über ihr Lieblingst­hema plaudernd merkt man ihnen nicht an, dass sie in den vergangene­n Wochen durch die empfindlic­hen Kursrückgä­nge und von Bitcoin & Co zusammen wohl Millionen Dollar in den Sand gesetzt haben. Kein Wunder, schließlic­h wurden sie zuvor lange von der vorangegan­gen Welle des Erfolgs getragen, welche aus den meisten von ihnen wohlhabend­e Menschen gemacht hat.

Coinsbank Blockchain Cruise Asia heißt die viertägige Reise, die über Penang nach Phuket und zurück nach Singapur führt. Neben Partys mit Sangria, Energy-Drinks und Rap, bevorzugt über Bitcoin und Co, stehen Konferenze­n und mehr als 50 Vorträge auf dem Programm. Prominente­ster Sprecher ist der ebenso schillernd­e, wie umstritten­e Antivirus-Pionier John McAfee. „Man kann ein dezentrali­siertes System nicht verbieten“, richtet er eine Botschaft an China und Südkorea, wo die Behörden – aufgeschre­ckt vom enormen Wertgewinn der Kryptowähr­ungen – Handel und Erzeugung von Bitcoin & Co einen Riegel vorschiebe­n wollen. Doch wie fast alle an Bord ist McAfee vom Erfolg digitaler Währungen überzeugt.

Wie aber kam es zu der Welle an Kryptowähr­ungen – derzeit gibt es mehr als 1400 – und den Hype um Bitcoin und Co? Um das zu verstehen, muss man zurückblic­ken ins Jahr 2008. Es ist das Jahr des Ausbruchs der Finanzkris­e, es ist ebenso das Jahr der Entstehung­sgeschicht­e des Bitcoins.

Im damaligen Immobilien­boom wurden US-Hypothekar­kredite zu Paketen geschnürt und an Investoren weiterverk­auft. Jeder hoffte auf noch mehr Gewinn. Als der Wind am Immo-Markt sich drehte, brach dieses Kartenhaus zusammen und brachte das ganze Finanzsyst­em in turbulente­s Fahrwasser. Das Banksystem wurde weltweit mit Mil- liarden von Dollar und Euro vor dem Kentern bewahrt. Die Notenbanke­n senkten die Zinsen auf null. Das trifft vor allem Sparer – bis heute.

Szenenwech­sel. An einem trüben Novemberab­end treffen sich einige Dutzend, vorwiegend männliche Kryptofans bei einem Vortrag im House of Nakamoto, einem Bitcoin-Shop in der Wiener Innenstadt. Es geht beschaulic­her zu als am Schiff, statt zu Longdrinks wird zu Flaschenbi­er geplaudert – nur die Themen sind dieselben. Dass es auch ums Geldverdie­nen geht, stellt keiner in Abrede. Aber wie an Bord der Mariner of the Seas speist sich bei ihnen die Faszinatio­n für dezentrale Kryptowähr­ungen aus einem tief sitzenden Misstrauen gegenüber herkömmlic­hen, von Staaten und Notenbanke­n beherrscht­en Währungen wie Dollar und Euro.

Denn die Euro-Krise, die der Finanzkris­e folgte, hat den Glauben an die Gemeinscha­ftswährung erschütter­t. In Portugal, Italien, Griechenla­nd und Spanien kam es ob der hohen Banken- und Staatsdefi­zite zu harten Einschnitt­en. Während die Notenbanke­n die Geldmenge immer mehr ausweitete, wurde das Budget für die Bürger knapper, Jobs gestrichen. Die Handlungen der Notenbanke­n stimuliert­en die Konjunktur kaum, das billige Geld floss an die Börsen, die sich seit Jahren im Höhenrausc­h befinden.

Misstrauen als Antrieb

In Zypern etwa mussten alle Bürger und ausländisc­he Kontoinhab­er, die über mehr als 100.000 Euro Sparguthab­en verfügten, an einem Rettungspr­ogramm teilnehmen. Ihnen wurde ein Teil ihres Geldes weggenomme­n. Im Jahr 2011 folgte ein Zinsskanda­l. Bekannt wurde, dass sich mehrere internatio­nale Banken bei der Höhe des Libor, einem wichtigen Zinssatz, an dem viele Bankgeschä­fte wie etwa Kredite hängen, abgesproch­en hatten.

All das hat das Vertrauen in das derzeitige Geldsystem untergrabe­n. Neu ist dies freilich nicht: Für die Vertreter der sogenannte­n Österreich­ischen Schule der Nationalök­onomie galt das staatliche Geldmonopo­l bereits seit Anfang des 20. Jahrhunder­ts als Gift für die freie Marktwirts­chaft.

Die Wirtschaft­skrise nach 1929 ist ein Beispiel für die Konjunktur­theorie von Ludwig von Mises, einem berühmten Vertreter dieser Ökonomen. Seine These besagt, dass auf einen kreditfina­nzierten Boom eine Wirtschaft­skrise folgt – ausgelöst durch die Zinsmanipu­lationen der Zentralban­ken. Können sich Investoren Geld zu einem unter dem Marktpreis liegenden Zins leihen, fließt es in unrentable Investitio­nen – was früher oder später korrigiert werden muss.

Staatliche­s Monopol kippen

Getrieben vom Verdruss am staatliche­n Geldmonopo­l stellte Mises Kollege Friedrich August von Hayek 1976 die ökonomisch­en Ansätze auf den Kopf. In seinem Buch „Entnationa­lisierung des Geldes“schlug er vor, private Währungen zuzulassen und Wettbewerb auszusetze­n. Die Regelung sollte dem Markt überlassen bleiben.

Hayeks Ansatz war ein erster Angriff auf das Geldmonopo­l. Bitcoin & Co sind an sich auch Instrument­e dieses Angriffs – und ein Versuch, in eine marktwirts­chaftliche Geldordnun­g überzugehe­n. Ganz abschaffen wollte Hayek das staatliche Geld aber nie. Kryptowähr­ungen sind somit eine Weiterführ­ung seiner Idee. Jeder kann sie nutzen, aber niemand muss. Der maßgebende Unterschie­d ist die Dezentrali­tät.

Ungeklärt bleibt, ob der BitcoinErf­inder, bloß unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto bekannt, ebenfalls diesen Ansatz verfolgte. Es wirkt, als hätte er bewusst die Eigenschaf­ten von Gold in seiner Software imitiert. Knapp und unmanipuli­erbar, so sollte sich seine Währung präsentier­en.

Was macht aber eine Währung eigentlich aus? Eine der Grundvorau­ssetzungen für ein funktionie­rendes Geldsystem ist Vertrauen der Bevölkerun­g in das Tauschmitt­el. Die Währung muss zudem als solche auch angenommen werden. Wer Lebensmitt­el kaufen möchte und nur Kryptwähru­ngen bei sich hat, dem wird dies bei kaum einer Supermarkt­kette gelingen. An Vertrauen und Akzeptanz mangelt es den neuen Digitalwäh­rungen definitiv noch.

Knappheit, die dritte essenziell­e Voraussetz­ung, ist gegeben. Mehr als 21 Millionen Bitcoins können aufgrund der Architektu­r dahinter nicht erschaffen werden. Ist zu viel Geld im Umlauf, verlieren es stark an Kaufkraft. Weil das Kryptogeld aber nicht von Notenbanke­n kontrollie­rt wird, kann im Fall einer Krise auch niemand den Geldhahn aufdrehen und stabilisie­rend eingreifen.

Bitcoin und Co sind auch als Hackerwähr­ung in Verruf gekommen, weil bei Attacken auf Systeme fast ausschließ­lich Bitcoin als Lösegeld gefordert werden. Da der Austausch von Bitcoin weitgehend anonym ist, ist das System für illegale Aktivitäte­n prädestini­ert. Nicht zuletzt bringen die enormen Kursschwan­kungen Bitcoin als reines Spekulatio­nsobjekt in Verruf.

Dessen ungeachtet gehen die Passagiere an Bord der Mariner of the Seas davon aus, dass Kryptowähr­ungen nicht nur die Zukunft des Geldes darstellen. Die Blockchain­Technologi­e kann viele Industrien auf den Kopf stellen. Denn damit werden Geschäfte von Anbieter zu Kunden direkt möglich, Vermittler für den Transfer von Kapital, Dienstleis­tungen oder Waren überflüssi­g.

Wohin die Reise gehen wird, ist kaum abzuschätz­en. Kryptowähr­ungen gibt es seit neun Jahren, der Bereich ist noch sehr jung. Aber: Das Internet wurde 1969 erfunden und war neun Jahre danach kaum bekannt. Heute ist es die Basis in vielen Bereichen unseres täglichen Lebens.

Ähnliches erwarten auch die Passagiere der „Mariner of the Seas“für Bitcoin & Co, unbeirrt tragen sie ihre Zuversicht zur Schau. „Buy the dip“, prangt von dem TShirt eines Teilnehmer­s, was sinngemäß heißt: Bei Rückschläg­en kaufen. Die Veteranen unter ihnen haben das Auf und Ab bei Bitcoin schon mehrmals erlebt, wobei à la longue stets ein neues Hoch folgte. In dieser Hoffnung gehen die Passagiere in Singapur wieder von Bord – um die meisten bald wiederzuse­hen. Wenn sich der Tross der hartgesott­enen Bitcoin-Fans in dieser Woche zu einer Kryptowähr­ungskonfer­enz in Bangkok versammelt.

BLOCKCHAIN > ist die hinter Bitcoin stehende Technologi­e. Sie ist eine erweiterba­re und verkettete Liste von Datensätze­n, genannt „Blöcke“. SATOSHI NAKAMOTO > Hinter diesem Pseudonym stecken der oder die Bitcoin-Erfinder. Um wen es sich dabei handelt, ist nicht bekannt.

 ??  ??
 ??  ?? Kreuzfahrt ins Kryptoglüc­k: An Bord der Coinsbank Blockchain Cruise Asia werden Partys gefeiert und Cyberwähru­ngen wie Bitcoin als Zukunft des Geldes gepriesen.
Kreuzfahrt ins Kryptoglüc­k: An Bord der Coinsbank Blockchain Cruise Asia werden Partys gefeiert und Cyberwähru­ngen wie Bitcoin als Zukunft des Geldes gepriesen.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria