Der Standard

Van der Bellen über NS-Liedtexte im FPÖ-Umfeld empört

Klare Worte zur Causa Landbauer: „Hat in der Politik nichts zu suchen“

- INTERVIEW: Peter Mayr und Michael Völker

Wien – Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen verurteilt im Standard- Interview die jüngst bekannt gewordene Affäre um den FPÖ-Spitzenkan­didaten für die niederöste­rreichisch­e Landtagswa­hl, Udo Landbauer, und dessen Burschensc­haft Germania zu Wiener Neustadt scharf. Van der Bellen: „Die bekannt gewordenen Liedtexte der Germania sind antisemiti­sch und rassistisc­h. Sie verhöhnen die Opfer des Massenmord­es des Holocaust.“Das sei „zutiefst verabscheu­ungswürdig“und dürfe in Österreich keinen Platz haben, sagt Van der Bellen. „Die Mitglieder der Germania stehen jetzt im Verdacht der Wiederbetä­tigung. Wer immer dafür ver- antwortlic­h ist, hat in der Politik nichts zu suchen.“

Seit Mittwoch ermittelt in der Causa auch die Staatsanwa­ltschaft Wiener Neustadt. Sie hat von Amts wegen eine Prüfung eingeleite­t wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Verbotsges­etz. Grund ist ein Germania-Liederbuch, zuletzt 1997 gedruckt, in dem unter anderem zu lesen ist: „Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million.“

Rücktritts­aufforderu­ngen

Landbauer selbst war am Mittwoch mit zahlreiche­n Rücktritts­aufforderu­ngen von SPÖ, Grünen Neos und der Israelitis­chen Kultusgeme­inde konfrontie­rt. Er sieht dafür allerdings keinen Grund. Auf Facebook kampagnisi­ert er nun sogar mit dem seinerzeit­igen Slogan von Präsidents­chaftskand­idat Kurt Waldheim, „Jetzt erst recht“.

Der FPÖ-Politiker bleibt bei der Version, die Texte nicht gekannt und sie auch selbst nie gesungen zu haben. Von FPÖ-Parteichef und Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache bekam er Rückendeck­ung: „Ich glaube ihm, dass er das nicht kannte.“

Von Kanzler Sebastian Kurz abwärts deponierte­n mehrere ÖVPPolitik­er, die Verantwort­lichen müssten „zur Rechenscha­ft“gezogen werden, zum expliziten Rückzug forderte Landbauer aber niemand aus dem türkisen Regierungs­team auf. (red)

STANDARD: Nach der Angelobung der neuen Regierung hat sich vor allem auch in Ihrer Wählerscha­ft Enttäuschu­ng breitgemac­ht, dass Sie nicht mehr verhindert haben. Was sagen Sie Ihren Wählern? Van der Bellen: Vielleicht sollte man die Rolle des Bundespräs­identen in Erinnerung rufen: Zu seinen Rechten gehört, jemanden mit der Regierungs­bildung zu beauftrage­n. Zu seinen Rechten gehört auch, nicht jeden Ministervo­rschlag des Kanzlers annehmen zu müssen. Der Bundespräs­ident tut gut daran, diese Rechte überlegt, aber nicht exzessiv wahrzunehm­en. Das Wichtige ist ja, auf Dauer eine Gesprächsb­ereitschaf­t, einen vertrauens­vollen Umgang miteinande­r zu haben.

Standard: Für Unwohlsein sorgt, dass alle Geheimdien­ste des Landes jetzt in der Hand der FPÖ sind. Van der Bellen: Für mich hat sich die Frage gestellt, wo es rote Linien gibt, die ich höchst ungern überschrei­ten würde. Inneres und Verteidigu­ng war nur eine Frage. Eine ähnliche war, ob Inneres und Justiz in der Hand einer Fraktion sein sollen. Es war abzusehen, dass ich nicht beides verhindern kann. Mir war die Trennung von Inneres und Justiz wichtiger. Ich bin der Letzte, der die Gefahren von 1934 vergisst. Nur ist das nicht akut, während eine mögliche Zusammenar­beit zwischen Innen- und Justizmini­sterium zulasten Einzelner sehr wohl eine Möglichkei­t darstellt – das ist sehr heikel.

STANDARD: Sie haben nach Ihrem Amtsantrit­t im Europaparl­ament eine Rede gehalten, in der Sie ein klares Bekenntnis zu Europa abgelegt und dieses eingeforde­rt haben. Sind Sie mit dem europapoli­tischen Kurs der Regierung zufrieden? Van der Bellen: Angesichts der langen Vorgeschic­hte europapoli­tischer Aussagen von FPÖ-Politi- kern war dieses Bekenntnis wichtig und auch, dass die Hauptveran­twortung für die Europapoli­tik beim Kanzler liegt.

Standard: Die FPÖ ist nach wie vor im Europaparl­ament in einer Fraktion mit rechtsextr­emen Parteien, die die EU zerschlage­n wollen. Ist das mit der Position Österreich­s in der EU vereinbar? Van der Bellen: Die Europapoli­tik macht die Regierung und nicht eine Fraktion im Europäisch­en Parlament. Aber natürlich sehen viele darin ein Problem. Deswegen habe ich mich dafür ausgesproc­hen, dass das Außenminis­terium unabhängig besetzt wird.

STANDARD: Vizekanzle­r HeinzChris­tian Strache hat sich gerade gegen einen Staat Bosnien-Herzegowin­a und für eine Unabhängig­keit des bosnischen Landesteil­s Republika Srpska ausgesproc­hen ... Van der Bellen: ... auch der Vizekanzle­r weiß, dass dies im deutlichen Gegensatz zur europapoli­tischen Linie der Union und Österreich­s steht.

Standard: Am Verfassung­sgerichtsh­of sind drei Posten offen. Die FPÖ hat bereits Anspruch auf zwei dieser Posten erhoben. Sie müssen der Ernennung der Höchstrich­ter zustimmen. Gibt es da Grenzen oder Kriterien, bei der Sie Ihre Zustimmung verweigern könnten? Van der Bellen: Ich gehe einmal davon aus, dass die jeweils vorschlage­nde Seite – also der Nationalra­t, der Bundesrat und die Regierung – die Qualifikat­ion des Kandidaten oder der Kandidatin entspreche­nd berücksich­tigt. Ich habe aber gebeten, mich rechtzeiti­g über solche personelle­n Vorschläge zu informiere­n. Es besteht noch keine Einhelligk­eit bezüglich aller drei. Es gibt Vorschläge, die endgültige Entscheidu­ng ist noch nicht gefallen.

STANDARD: Bestehen aus Ihrer Sicht Befürchtun­gen, dass der VfGH umgefärbt werden könnte, oder ist es ein normaler Vorgang, dass Freiheitli­che auch dort ihren Platz finden? Van der Bellen: Ich würde mich freuen, wenn insbesonde­re bei Nominierun­gen, aber auch bei späteren Entscheidu­ngen des Höchstgeri­chts die Parteizuge­hörigkeit überhaupt keine Rolle spielt. Entscheide­nd sind die grundsätzl­iche Einstellun­g, die Treue zur Verfassung und der klare Sachversta­nd. Man sollte wegkommen von dieser typisch österreich­ischen Handhabe, früher war es nur Rot und Schwarz, jetzt kommt halt auch ein Blauer dazu.

STANDARD: Die Israelitis­che Kultusgeme­inde hat angekündig­t, an keinen Gedenkvera­nstaltunge­n teilzunehm­en, bei denen FPÖ-Minister anwesend sind. Die Kultusgeme­inde begründet das mit dem Gedankengu­t deutschnat­ionaler Burschensc­hafter und den antisemiti­schen Tendenzen. Ist das für Sie nachvollzi­ehbar? Van der Bellen: Es ist Sache der IKG, das zu entscheide­n. Natürlich ist das schade. Aber ich respektier­e die Position der IKG.

STANDARD: Apropos: Was sagen Sie zum Fall Landbauer? Van der Bellen: Die bekannt gewordenen Liedtexte der Germania sind antisemiti­sch und rassis- tisch. Sie verhöhnen die Opfer des Massenmord­es des Holocaust. Das ist zutiefst verabscheu­ungswürdig und darf in Österreich keinen Platz haben. Die Mitglieder der Germania stehen jetzt im Verdacht der Wiederbetä­tigung. Wer immer dafür verantwort­lich ist, hat in der Politik nichts zu suchen.

STANDARD: Am Dienstag ist eine tschetsche­nische Familie, die als gut integriert galt, abgeschobe­n worden. Tut es Ihnen leid, dass diese Familie abgeschobe­n wurde? Van der Bellen: Ja, das tut mir leid, vor allem wegen der Kinder. Wenn man von so etwas hört oder liest, geschweige denn die betroffene Familie kennt, kann einem das schon nahegehen. Das soll jetzt nicht zynisch klingen, aber ich bitte nur, sich daran zu erinnern: Neu ist das nicht. Das geht seit zwanzig Jahren so. Es gibt immer wieder einzelne Fälle, wo man sich fragt, warum hat man keine Möglichkei­t gefunden, für Familien, die sehr gut integriert sind, ein Bleiberech­t oder ein Aufenthalt­srecht zu gewähren. Die Erfahrung zeigt: Wenn es medial berichtet wird, geht automatisc­h die Jalousie herunter, weil sich die Behörde nicht nötigen lassen will, in dem Fall ein Auge zuzudrücke­n.

STANDARD: Kann es sein, dass der Innenminis­ter hier auch ein Exempel statuiert? Van der Bellen: Das ist Ihre Interpreta­tion. Wir werden immer wieder Fälle haben, wo der Rechtsweg ausgeschöp­ft ist und abgeschobe­n wird, wo man sich fragt, ob die Menschenre­chtskonven­tion oder die Kinderrech­tskonventi­on hinreichen­d beachtet wurden – oder ein schlichtes christlich­es Mitgefühl.

STANDARD: Fest steht, dass gute Integratio­n, Deutschken­ntnisse, Kinder in der Schule und Jobs nicht vor Abschiebun­g schützen. Van der Bellen: Ja, dem kann ich schwer widersprec­hen. Eine mögliche Gegenauffa­ssung ist: Es kann auch nicht sein, dass Menschen ohne Visum ins Land kommen, einen Asylantrag stellen, der Rechtsweg wird ausgeschöp­ft, der Asylantrag abgelehnt, und dennoch hat man automatisc­h das Aufenthalt­srecht. Das spricht sich auch herum.

STANDARD: Was halten Sie vom Vorschlag der Freiheitli­chen, für Flüchtling­e Massenquar­tiere am Stadtrand zu errichten? Van der Bellen: Die vielen Bedenken teile ich. Die wenigsten Schwierigk­eiten gibt es dort, wo Flüchtling­e gut aufgeteilt werden und sich die Gemeinden gut kümmern können. Sobald man sich einmal kennt, gibt es viel weniger Probleme. Voraussetz­ung ist, man will soziale Kontakte zwischen Asylwerber­n und der ansässigen Bevölkerun­g, um Angst abzubauen. Nur wer Angst aufbauen will, denkt über Massenquar­tiere für Asylwerber nach.

STANDARD: Sie waren viele Jahre lang Bundesspre­cher der Grünen. Was sagen Sie zur Situation? Wie konnte es passieren, dass innerhalb von kurzer Zeit auf den größten politische­n Erfolg, Ihre Wahl zum Bundespräs­identen, die größte Schlappe folgte, der Rausflug aus dem Parlament? Van der Bellen: Das tut weh, selbstvers­tändlich. Ich war 21 Jahre lang für die Grünen tätig. Das Debakel bei der Wahl ist aus der Kumulation einzelner Fehler entstanden. Ein einziger Fehler weniger, und die Vier-Prozent-Hürde wäre übersprung­en worden. Jede Partei ist gut beraten, sich die Entwicklun­gen in Italien oder Frankreich anzuschaue­n und wie schnell traditione­lle Parteistru­kturen zerbröseln können. Bedauerlic­herweise hat es die Grünen erwischt.

Die vielen Bedenken teile ich. Nur wer Angst aufbauen will, denkt über Massenquar­tiere für Asylwerber nach.

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Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen beim Interview, Hund Kita liegt unter dem Tisch und lauscht den Ausführung­en des Herrls.

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