„Grillini“ohne Grillo
Italiens Starkomiker distanziert sich von Partei
Rom – Beppe Grillo, Gründer von Italiens Fünf-Sterne-Bewegung, startet einen neuen Blog. Damit trennt sich der Starkomiker vom überaus populären Blog der Protestpartei, in dem seit der Gründung 2009 politische Richtlinien veröffentlicht wurden. Der Schritt erfolgt kurz vor den italienischen Wahlen am 4. März. Die „Grillini“liegen als Einzelpartei in den Umfragen in Führung. Ihr Spitzenkandidat Luigi Di Maio hat zuletzt alte Prinzipien über Bord geworden, etwa die Forderung eines Euro-Referendums oder das Verbot von Bündnissen mit anderen Parteien.
Grillo, der selbst nicht kandidiert, aber als das Gesicht der Partei gilt, hat sich in der Vergangenheit immer wieder aus der vordersten Reihe zurückgezogen. „Formt eure Zukunft selbst“, richtete Grillo den Fünf Sternen nun am Dienstag aus. (red)
„Heute beginnt etwas Außerordentliches, ein Abenteuer der Befreiung, der Fantasie, der Utopie, der Träume und der Visionen“, schrieb Beppe Grillo am Dienstag auf seinem neuen Blog. Einen Bezug zur Politik, zum Wahlkampf, zu der von ihm gegründeten Protestbewegung Movimento 5 Stelle (M5S) oder zum Spitzenkandidaten Luigi Di Maio sucht man vergeblich auf der Seite. „Ich kann keinesfalls ein Bezugspunkt für eure Zukunft sein, diese müsst ihr euch selbst erschaffen“, schreibt er an die Aktivisten und Parlamentarier der Protestbewegung.
Das Einzige, was neben dieser Absage im neuen Grillo-Blog noch auf sein politisches Geschöpf verweist, ist ein Link zur offiziellen Seite des M5S, zum „Blog delle Stelle“(„Blog der Sterne“). Grillos Abschied von seinen „Grillini“, seine „Befreiung“, wie er das nennt, erfolgt mitten im Wahlkampf für die Parlamentswahlen am 4. März. Vor den Wahlen 2013 war der bärtige Komiker aus Genua anlässlich seiner „TsunamiTour“noch in allen größeren Städten Italiens aufgetreten und hatte seine Protestbewegung im Alleingang zur zweitgrößten Partei hinter dem Mitte-links-Bündnis PD gemacht.
163 völlig unbekannte Kandidaten saßen danach dank Grillos Polemiken gegen die „vollgefressene, abgewirtschaftete Politikerkaste“im Parlament. Ob der Gründer des M5S in diesem Jahr noch an einer Wahlkampfkundgebung der Protestbewegung teilnehmen wird, ist ungewiss. Das „Addio“Grillos mitten im Wahlkampf ist zwar ein politischer Paukenschlag – aber ganz unerwartet kommt die- ser nicht. Dass er sich nicht dauerhaft als Anführer des M5S sehe, hatte der 69-Jährige schon Anfang 2016 anklingen lassen, als er sagte, er wolle „als Politiker einen Schritt zur Seite“machen und wieder vermehrt als Komiker auftreten – was er dann auch tat.
Revolutionäre Phase vorbei
Zu seiner inneren Abkehr von der Protestbewegung beigetragen hatte auch der Tod seines Kompagnons Roberto Casaleggio, des Inhabers der Internetfirma Casaleggio & Associati und Webgurus der Bewegung, im April 2016. Die Plattformen von Casaleggio & Associati waren nicht nur für Grillos Blog zuständig, sondern auch für die Internet-Abstimmungen der M5S-Aktivisten. Für seine neue Internetseite hat Grillo nun ein anderes Unternehmen gewählt. Gril- lo musste auch feststellen, dass seine Protestbewegung in den letzten Wochen viele der alten Ideale und Prinzipien über Bord geworfen hat. So hat der Spitzenkandidat des M5S, der 31-jährige Süditaliener Luigi Di Maio, unlängst betont, dass ein Referendum über den Euro-Austritt „nicht mehr erforderlich“sei.
Zuvor war das Euro-Referendum das zentrale Anliegen und Wahlversprechen der „Grillini“gewesen. Abgeschafft wurde auch das Verbot, mit der politischen Konkurrenz – den „korrupten Systemparteien“– Koalitionen einzugehen. Mit anderen Worten: Die revolutionäre Phase des M5S ist vorbei, die Protestbewegung ist in der Realität angekommen. Nach den nächsten Wahlen will man als möglicherweise stärkste Einzelpartei mitregieren, und da sind Kompromisse unumgänglich.
Die Führung des M5S hat auf den Abschied des Gründers gefasst reagiert. „Die Bewegung steht inzwischen auf ihren eigenen Beinen“, erklärte Di Maio. Die politische Linie gäben ohnehin die Bürger per Internet-Abstimmung vor sowie der politische Chef, also Di Maio selbst. Beppe Grillo bleibe „der Garant“der Bewegung, betonte Di Maio, sein Abschied sei nicht Folge eines „Vatermords“.
Führung in Umfragen
Davide Casaleggio, der nach dem Tod seines Vaters Roberto für die Internetplattform der Protestbewegung zuständig war, wünschte Grillo „viel Glück“mit seinem neuen Blog. „Mein Vater und Beppe haben Geschichte geschrieben – wir werden auch ohne sie mit demselben Enthusiasmus weitermachen.“
Wie stark sich der Rückzug der Galionsfigur Grillo auf den Wahlausgang auswirken wird, bleibt abzuwarten. Seine bisherigen Teilrückzüge hatten der Bewegung nicht geschadet, im Gegenteil: Die Protestpartei hat den PD in den Umfragen schon vor Monaten überholt und liegt mit 27 Prozent vor allen anderen Parteien in Führung. Ihren Zenit scheint die Bewegung allerdings überschritten zu haben: Vor rund einem halben Jahr war die Zustimmung noch bei über 30 Prozent gelegen.