Der Standard

Wenn zu Hause das Licht ausgeht

Jedes Jahr wird rund 28.000 Haushalten in Österreich der Strom abgedreht. In der „Wärmestube“in Wien treffen sich jene Menschen, die sich die Wohnung und Heizung nicht leisten können. Zwei Betroffene erzählen, wie es ihnen mit dieser Situation geht.

- REPORTAGE: Jakob Pallinger

Wien – Langsam füllt sich die Gaststube. An den Tischen nehmen einige ältere Herren Platz, schlagen die Zeitung auf oder greifen sich einige der Kartenspie­le, die beim Eingang bereitlieg­en. „Püree oder Gnocchi?“, ruft Gerhard Koudela den hereinkomm­enden Gästen zu. Viele nehmen sich stillschwe­igend den Teller, manche erwidern mit einem kurzen „Danke“. Koudela kennt einige der Besucher, setzt sich bei den Tischen dazu und fragt, wie es ihnen geht. Seit zweieinhal­b Jahren leitet er die sogenannte „Wärmestube“der Caritas Breitensee in Wien-Penzing, in der ehrenamtli­che Mitarbeite­r einmal pro Woche gratis Essen an Menschen in der Umgebung ausgeben.

„Viele kommen für ein warmes Essen, einen beheizten Raum und die sozialen Kontakte vor Ort“, sagt Koudela. Etwa zehn Gäste sind bisher gekommen, an manchen Tagen seien es bis zu vierzig. Die Hintergrün­de seien vielschich­tig: Obdachlosi­gkeit, Arbeitslos­igkeit aber vor allem auch Schwierigk­eiten bei der Zahlung von Strom- und Heizkosten, meint Koudela.

Unter den Gästen ist etwa Novak Zyrül. „Im Sommer kommt man gut über die Runden, im Winter ist ein warmer Raum und Essen wichtig“, meint der 77-Jährige, der regelmäßig eine der Wärmestube­n in Wien besucht. Der gelernte Werkzeugma­cher ging vor fünfzehn Jahren in Pension, mit seinem Pensionsan­spruch versuche er nun so gut es geht über die Runden zu kommen. „Ich habe einen älteren Mietvertra­g und zahle deswegen etwas weniger Miete. Dafür ist die Isolierung im Haus schlecht“, sagt Zyrül. Vor einigen Jahren sei er von einer Elektrohei­zung auf eine Ölheizung umgestiege­n, weil die Stromrechn­ung zu hoch geworden sei. Um seine 50 Quadratmet­er Wohnung zu beheizen, zahle er jetzt 200 Euro im Monat. Vor allem im Winter wisse man nie, wie hoch die Rechnung am Ende ausfallen werde, sagt Zyrül.

Häufiger Ölheizung

Zyrül ist nicht der Einzige, der mit der Stromrechn­ung zu kämpfen hat. Laut einer Studie der Regulierun­gsbehörde für Strom- und Gaswirtsch­aft, E-Control, waren im Jahr 2014 3,1 Prozent und da- mit 117.000 Haushalte in Österreich energiearm. Eine genaue Definition von Energiearm­ut sei schwierig, sagt Christina VeiglGutha­nn von der E-Control. Grundsätzl­ich könne man aber sagen, dass darunter jene Haushalte fallen, deren Einkommen unter der Armutsgefä­hrdungssch­welle liegen und die gleichzeit­ig überdurchs­chnittlich hohe Energiekos­ten haben. Während ein durchschni­ttlicher Haushalt in Österreich laut Statistik Austria 4,6 Prozent seines Einkommens für Heizkosten, Warmwasser, kochen und Licht ausgibt, seien es bei energiearm­en Haushalten mit 22,8 Prozent mehr als viermal so viel. Energiearm­e Haushalte würden zudem häufiger mit Öl heizen und in älteren Wohnhäuser­n leben, so Veigl-Guthann. Betroffen seien allen voran alleinsteh­ende Pensionist­en und Pensionist­in- nen, alleinerzi­ehende Mütter mit ihren Kindern, sowie Personen, die nur einen Pflichtsch­ulabschlus­s vorweisen können.

Können diese ihre Stromrechn­ungen nicht bezahlen, beziehungs­weise stehen sie mit den Zahlungen zu lange im Verzug, kann ihnen der Netzbetrei­ber im wahrsten Sinne des Wortes das Licht abdrehen. Laut E-Control wurden 2016 in Österreich in 23.421 Fällen der Strom und in 4747 Fällen das Gas abgedreht. Eine Anfrage des STANDARD bei heimischen Stromanbie­tern und Netzbetrei­ber zeigt die Unterschie­de bei einzelnen Bundesländ­ern: So führten die Wiener Netze 2016 insgesamt 7055 Abschaltun­gen durch, bei der EVN in Niederöste­rreich waren es 150 Fälle, beim Verbund wurden etwa 450 Verträge wegen fehlenden Zahlungen gekündigt, bei der Energie AG Oberösterr­eich will man keine genauen Zahlen nennen. Bei vielen könne die Stromverso­rgung nach relativ kurzer Zeit wieder aufgenomme­n werden, erklärt EVN-Sprecher Stefan Zach. Zudem müssen zuerst mindestens zwei Mahnungen ausgeschic­kt worden sein, bevor der Strom abgedreht werden darf. An gesetzlich­en Feiertagen dürfe ebenfalls nicht abgeschalt­en werden. Melden sich Kunden sofort bei ihrem Stromanbie­ter, wenn es zu Zahlungspr­oblemen kommt, könne in den meisten Fällen eine gemeinsame Lösung gefunden werden, so Zach. Oft helfe es auch, energiefre­ssende Haushaltsg­eräte oder veraltete Fenster auszutausc­hen.

Die Kälte kriecht durch

Was es heißt, auf die Heizung in der Wohnung zu verzichten, weiß auch Hans Stefan Zinke. Der 59Jährige hat an einem der Tische in der Ecke der Wärmestube Platz genommen, die schwarze Jacke hat er angelassen. „Im Winter kriecht die Kälte durch die Wände“, sagt Zinke. In seiner 36 Quadratmet­er Wohnung könne er sich nicht mehr aufhalten, seit ihm die Wiener Netze vor zwei Jahren den Strom abdrehten. Zinke kann sich noch gut an den Tag erinnern: Wie ein Techniker in der Früh zu seiner Zählerkast­en gekommen ist. Warum nehmen Sie mir das weg?, habe Zinke ihn gefragt. Bevor er die Raten nicht abbezahlt hätte, würden der Strom nicht wieder aufgedreht werden, habe der Techniker ihm geantworte­t. Seither schläft Zinke bei Freunden.

Früher hatte Zinke als Fußballer bei der Austria gespielt, sei viel in Europa herumgekom­men. Als er nach einer Zeit als Trainer aus dem Ausland wieder nach Österreich zog, habe er nur schwer einen Job finden können. „In meinem Alter kriegst du nix mehr“, sagt er. Für zwei Jahre sei Zinke bei einem Beratungsu­nternehmen untergekom­men, seit 2014 ist er arbeitslos. Vom AMS erhält Zinke Notstandsh­ilfe, bekäme er einen Job, nehme er diesen aber sofort, meint er. Auch deswegen habe er sich für die Aktion 20.000 angemeldet, bis diese eingestell­t wurde. Wie er sich die Rechnungen in Zukunft leisten soll, weiß er nicht. „Vielleicht geringfügi­g bei der MA 48. Ansonsten bin ich wohl nicht mehr zu gebrauchen.“

‚Warum nehmen Sie mir das weg?‘, habe ich den Techniker gefragt. Seit der Abschaltun­g schlafe ich bei Freunden. Hans Stefan Zinke

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Jeden Dienstag kochen ehrenamtli­che Mitarbeite­r in den Wärmestube­n Essen für energiearm­e Menschen.
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