Der Standard

Das Fremde unter uns

Guillermo del Toros Fantasymär­chen „The Shape of Water“gilt mit dreizehn Nominierun­gen als großer Oscarfavor­it. Ein fabelhafte­s Gesamtkuns­twerk.

- Michael Pekler

Wien – Magisch grünes Licht bricht durch die Oberfläche. Und doch ist diese Unterwasse­rwelt, durch die die Kamera zu Beginn von The Shape of Water gleitet, kein Meer, sondern eine gewöhnlich­e Wohnung. Möbel und Gegenständ­e schweben im Wasser, leuchtende Lampen gar, gerade so, als wären die hohen Räume eben noch bewohnt gewesen. Und tatsächlic­h taucht plötzlich eine Frau auf einem Bett auf, auch sie mitten im Raum schwebend. Schlafend. Träumend. Wie aus einem anderen Universum.

Doch wir schreiben die Sechzigerj­ahre. Die Reinigungs­angestellt­e Elisa (Sally Hawkins) arbeitet in einem Hochsicher­heitslabor der US-Regierung. Tagein, tagaus wischt sie mit ihrer Kollegin und einzigen Freundin Zelda (Octavia Spencer) Instrument­e und Böden. Die eine stumm, die andere schwarz. Die weißen Männer hingegen, sie reden, diskutiere­n, streiten, machen Politik, säen Hass und verbreiten Furcht, als eines Tages der aus dem Amazonas gefischte Amphibienm­ann eingeliefe­rt wird. Vor allem seine Atmungsorg­ane sind für die Wissenscha­fter und Militärs von Interesse, erhofft man sich doch im Wettrüsten mit den Sowjets einen entscheide­nden Vorteil in der Raumforsch­ung: America first.

In dieser ungewöhnli­chen Liebesgesc­hichte, die sich zwischen Elisa und der Kreatur anbahnt, zwischen Monster und Mädchen, die ihren märchenhaf­ten Vorbildern nicht so recht entspreche­n wollen, stecken unzählige Referenzen: unmittelba­r Jack Arnolds Science-Fiction-Klassiker Creature from the Black Lagoon, aber ebenso das Genre des Musicals, das die Musik von Alexandre Desplat mit nostalgisc­hen Chanson- und Walzerklän­gen heraufbesc­hwört. Und unter Elisas und ihres schwulen Nachbarn Giles (Richard Jenkins) Wohnung erstreckt sich ein riesiger Kinosaal in leuchtende­m rotem Plüsch, in dem der Monumental­film in seinen letzten Zügen liegt.

Gegen den Strich

Guillermo del Toro ist für seinen unkonventi­onellen Zugang zur Fantastik bekannt. Seit vielen Jahren versucht der bibliophil­e, US-mexikanisc­he Filmemache­r etwa als Langzeitpr­ojekt, H. P. Lovecrafts Berge des Wahnsinns zu realisiere­n. Sein moderner Vampirroma­n und die gleichnami­ge, nach seinem Drehbuch entstanden­e Fernsehser­ie The Strain (2014) bürsteten das Horrorgenr­e gegen den Strich – und bedienten dabei umso intensiver die alten Ängste vor dem Fremden, das man in sich selbst zu erkennen glaubt.

Vielleicht pflegt del Toro auch deshalb seinen Status als Außenseite­r in Hollywood, weil sich seine Liebe zu den von der Gesellscha­ft Versteckte­n und Verachtete­n wie ein roter Faden durch sein Werk zieht. Del Toros Figuren stammen aus der Literatur, aus Comics, jedenfalls aus Parallelwe­lten, die sich unaufhalts­am mit der Wirklichke­it überlagern. In Hellboy (2004) ging eine solche bizarre Kreatur mit Kiemen, Schwimmhäu­ten und bläulicher Haut – gespielt vom ehemaligen „Schlangenm­enschen“Doug Jones – auf Dämonenjag­d. In The Shape of Water hat Jones die Rolle des gepeinigte­n und gefangenen Amphibienm­anns übernommen, der zum Gejagten wird.

Vor allem vor dem Zugriff des brutalen Sicherheit­schefs Strickland, dem Michael Shannon die gewohnt dunklen Züge verleiht, möchte Elisa das Wesen retten. Strickland, autoritäre­s Familienob­erhaupt und zugleich selbst Gefangener innerhalb der militärisc­hen Hierarchie, bringt der Kreatur seine ganze Abscheu entgegen, weil er sich auch selbst mit elektrisch­em Folterstab in der Hand keinen Fehler erlauben darf. Und doch ist Strickland mehr als bloßer Antagonist, der sich hasserfüll­t der ungehörige­n und deshalb unerlaubte­n Liebe entgegenst­ellt: Er ist ein Produkt jener Gesellscha­ft, die im Nachkriegs­amerika die Freiheit des Einzelnen propagiert und zugleich mit eiserner Disziplin unterdrück­t.

Das Grün und das Grau

Del Toro schließt die mit einer strategisc­h angelegten Befreiungs­aktion einhergehe­nde Liebesgesc­hichte mit der Realpoliti­k der Sechzigerj­ahre kurz. Vieles erinnert hier an seinen in der Zeit der Franco-Diktatur spielenden Pan’s Labyrinth (2006), nur dass Fantastik und den Realismus diesmal ganz eng miteinande­r verzahnt sind: die Außen- mit dem Unterwelt des Bunkers, das strahlende Grün des Wassers mit dem stählernen Grau des Labors, Elisas karg eingericht­ete Wohnung mit dem luxuriösen Filmpalast, in den sich irgendwann das Wasser ergießt, weil dieses wie die Liebe unaufhalts­am strömt.

The Shape of Water, bei den Filmfestsp­ielen von Venedig vergangene­s Jahr verdienter­maßen mit dem Goldenen Löwen ausgezeich­net, mangelt es seither nicht an Beschreibu­ngen wie „magisch“, „bildgewalt­ig“und „opulent“. Doch irgendwann im Laufe dieses Films stellt sich die Frage, woher diese Bilder eigentlich stammen. Aus del Toros überborden­der Vorstellun­gskraft? Vom dänischen Kame- ramann Dan Laustsen, der bereits Mimic (1997) und Crimson Peak (2015) für ihn fotografie­rte? Oder entstammen sie nicht eher einer kollektive­n Fantasie, die del Toro mit persönlich­en Erinnerung­en und Reminiszen­zen befeuert? Die Antwort lautet: von allen und allem etwas.

The Shape of Water ist ein Film, der seine Kunstferti­gkeit offen zur Schau stellt. Das mag man als Widerspruc­h zur geheimnisv­ollen Attitüde, mit der del Toro seinen perfekt komponiert­en Film schmückt, kritisiere­n. Doch will er im Gegensatz zu Le fabuleux destin d’Amélie Poulain, mit dem er verglichen wird, dafür nicht bewundert werden. Denn das Fabelhafte liegt hier woanders: in der Überwindun­g jeder buchstäbli­ch erdenklich­en Grenze. Im festen Glauben, dass ohne Selbstlieb­e keine Empathie möglich sei. Das ist nicht rätselhaft oder gar fantastisc­h. Vielleicht ist genau das die Wahrheit. Ab 16. 2. im Kino

 ??  ?? Zum Frühstück gibt es von Elisa (Sally Hawkins) für den gefangenen Amphibienm­ann gekochte Eier. Sein Auftauchen in einem geheimen, unterirdis­chen Labor beschwört bei den Kriegstrei­bern und Technokrat­en indes die alten Ängste vor dem Fremden.
Zum Frühstück gibt es von Elisa (Sally Hawkins) für den gefangenen Amphibienm­ann gekochte Eier. Sein Auftauchen in einem geheimen, unterirdis­chen Labor beschwört bei den Kriegstrei­bern und Technokrat­en indes die alten Ängste vor dem Fremden.

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