Mit dem Pinsel Räume bauen
Mit den historischen Räumen des Semperdepots, seit vielen Jahren Atelierhaus der Akademie, hat sich die Klasse für Bühnengestaltung beschäftigt. Und sie hat die alte Technik des Prospektemalens wiederentdeckt.
Wien – Es ist ein Raum mit dem gewissen Wow-Effekt. Imposant ist am Prospekthof des einstigen Semperdepots schon allein die Höhe: Rund 22 Meter hoch ist dieser über vier Geschoße bis unter das Dach offene Raum mit den rundumlaufende Galerien. Kaum zu glauben, dass das 1874–1877 von Gottfried Semper als Kulissendepot für die k.k. Hoftheater erbaute Bauwerk nach dem Auszug der Theaterwerkstätten 1952 jahrzehntelang leerstand.
Gigantische Theaterprospekte, daran erinnern die riesigen Halterungen für die Flaschenzüge an den gusseisernen Säulen und Geländern, konnten hier präsentiert werden, wieder faltenfrei werden für die nächste Aufführung oder auf ihre Wirkung hin überprüft werden. Heute lagern die alten Prospekte, so sie noch erhalten sind, bei Art for Art im Schweizergarten. Meisterwerke des Illusionismus, die ganze Straßenfluchten und Architekturfantasien in die Leinwand hineinbauten oder italienische Landschaften samt Ruinen und Hirten ausbreiteten.
Die Theatermalerei ist vermutlich so alt wie das europäische Theater selbst, aber im Moment sei es „nicht en vogue“, in Inszenierungen gemalte Prospekte zu hängen, erklärt Jasmin Hoffmann, die im von Anna Viebrock geleiteten Studiengang Bühnengestaltung unterrichtet.
Hoffmann würde es freuen, wenn der Prospekt in der Bühnenbildnerei wieder mehr einbezogen würde und Bühnenmaler nicht nur für die Illusion der Oberflächen – Holz, Marmor etc. – auf den Kulissen zuständig wären. „Bei den Salzburger Festspielen haben wir ewig nur Betonoberflächen gemalt, das wird dann auch irgendwann langweilig.“
Und so ist die in Hamburg ausgebildete Bühnenmalerin nicht nur daran interessiert, ein Gefühl für die fotografisch schlecht dokumentierte Historie dieses relativ einzigartigen Ortes weiterzugeben, sondern wünscht sich auch, dass die Bühnenbildstudierenden die Technik des Prospektemalens kennenlernen. Anders als in Deutschland, wo Bühnenmaler ein anerkannter Ausbildungsberuf ist, gibt es dieses Spezialtraining in Österreich nicht. An der Akademie lernt man Modellbau und Entwurf, erhält Einblicke in die Bereiche Licht, Film,Video – aber Malerei? Der Ausflug im Kurs „Material & Wirkung“war für viele ungewohntes Neuland.
Im Theater und in der Oper geht es um Räume, die man der Vorstellung öffnet – auch visuell. Und so war es Hoffmann wichtig, dass die Studierenden sich mit der Imagination von Raum beschäftigen. Das ehemalige Semperdepot, seit 1990 Atelierhaus der Akademie, also ein Ort, der ihnen sehr vertraut ist, weil sie dort täglich einund ausgehen, diente als Ausgangspunkt für neu erdachte und bildlich gebaute Räume.
Surreale Räume
Collagiert wurden Situationen von Keller bis Dachboden: Die halsbrecherische Perspektive lässt ein Treppenhaus beklemmend wirken (Till Jasper Krappmann). In einem mit Rohren durchzogenen Keller tun sich hinter Vorhängen surreale Raumfalten auf (David Mohoric), in anderen Gängen wartet hinter der Aufzugstür ein Aquarium (Flora Besenbäck). In auf Lichtstimmungen fokussierten Fensterarchitekturen sorgt ein zur Wand gedrehtes Gemälde für Spannung (Isabella Voicu). Enge strahlt der Raum aus, der aus hölzernen Elementen – aus Balken, Diehlen und Einbauten (Junda Dietze) verdichtet wurde.
Der Übung geschuldet messen die Prospekte nur drei mal zwei Meter, was sie in der historischen Umgebung fast ein wenig scheu wirken lässt. Aber vielleicht, wünscht sich Hoffmann, werden sie einmal gemeinsam an einem gut 20 Meter breiten Prospekt, wie er für große Häuser üblich wäre, malen.
Routinierter sind sie im Modellbau: eine klaustrophobische Tiefgarage, das Fragment einer eingestürzten Straßenbrücke, eine Arena mit labyrinthischen Tribünen – drei Entwürfe, die alle für das gleiche Libretto, Skizzen. Erdbeben. Träume von Marcel Beyer, entstanden sind. Gemeinsam mit Anna Viebrock, die das Bühnenbild für die Uraufführung der Oper in Stuttgart gestaltet, lasen die Studierenden den Text – die erste, zweite und die Letztfassung –, trafen Beyer und die Regisseure.
Lesen, etwa Shakespeare-Sonette, um so Ideen zu entwickeln, das gehört zur Praxis der Klasse. Sogar Karl Kraus’ angeblich nicht auf die Bühne zu bringende Letzte Tage der Menschheit nahm man sich vor und musste einsehen: Es geht tatsächlich nicht. Performances zum Semesterprojekt „Skizzen. Erdbeben. Träume“: 25./27. 1., 18.00; 26. 1., 16.00; 28. 1., 14.00