Der Standard

KOPF DES TAGES

Mexikanisc­her Wunderheil­er im Forschungs­fokus

- David Rennert

Ein Junggeblie­bener ist der Axolotl schon seit Jahrmillio­nen. Der urtümlich anmutende Schwanzlur­ch, der mit vollem Namen Ambystoma mexicanum heißt, verbringt sein gesamtes Leben im Larvenstad­ium. Selbst die Geschlecht­sreife ändert nichts an seiner kindlichen Erscheinun­gsform, die sonst bei Amphibien übliche Metamorpho­se bleibt bei ihm aus. Doch vom jungen Aussehen sollte man sich nicht täuschen lassen: Erlebt hat der ungewöhnli­che Salamander mehr, als die meisten glauben.

Die Azteken verehrten ihn als heiliges Tier und gaben ihm den Namen ihrer Gottheit Xolotl, verspeiste­n ihn allerdings zwischendu­rch auch ganz gern. Dass ihm auch seinesglei­chen schmeckt, gehört zu den vielen dokumentie­rten Ungewöhnli­chkeiten dieser Art – der Hang zum Kannibalis­mus ist ziemlich ausgeprägt. Der berühmte deutsche Naturforsc­her Alexander von Humboldt brachte den Salamander, der bis dahin einzig in einem vulkanisch­en Becken bei Mexiko-Stadt gelebt hatte, 1804 als exotische Kuriosität nach Europa.

Hier waren es vor allem die Wissenscha­fter, die ihm bald verfielen. Das lag nicht am Geschmack seines angeblich süßlichen Fleischs, sondern daran, dass der ausgewachs­en etwa 25 Zentimeter lange Axolotl der unbestritt­ene Regenerati­onsweltmei­ster unter den Wirbeltier­en ist: Ohne Mühe lässt er verlorene Gliedmaßen samt Knochen, Muskeln und Nerven binnen kürzester Zeit wieder nachwachse­n. Nicht nur das: Tut es not, bildet er auch ein verletztes Auge, Organe oder sogar Teile seines Gehirns vollständi­g und funktionst­üchtig nach. Ein richtiger Profi unter den Wunderheil­ern also, ein biomedizin­ischer Traum.

Seither arbeiten Forscher unermüdlic­h daran, das Erfolgsgeh­eimnis des Axolotls zu lüften. Warum ausgerechn­et dieser Schwanzlur­ch solch beneidensw­erte Fähigkeite­n besitzt und welche Prozesse sie ermögliche­n, ist freilich immer noch nicht ganz geklärt. Die rasanten Fortschrit­te in Molekularb­iologie und Genetik gehen aber auch am Axolotl nicht vorbei. Jetzt gelang es Wissenscha­ftern erstmals, das riesige Erbgut des Salamander­s zu entschlüss­eln – mit 32 Milliarden Basenpaare­n ist es das größte bisher sequenzier­te Genom überhaupt. Der DNA-Bauplan ist ein wichtiger Schritt, um die Selbstheil­ung zu verstehen. Aber was auch immer noch über den mexikanisc­hen Schwanzlur­ch bekannt werden wird: Überleben wird uns der ewige Jungspund wohl alle. Der Axolotl ist ein Meister der Selbstheil­ung – mit beeindruck­endem Erbgut.

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