Der Standard

Türkei lässt Forscher aus Österreich wieder nach Ephesos

Entspannun­g bei Kneissl-Besuch in Istanbul Nato-Blockade gegen Wien bleibt aufrecht

- Markus Bernath aus Istanbul Michael Vosatka

Istanbul – Die Zeichen zwischen der Türkei und Österreich stehen auf Tauwetter. Karin Kneissl und ihr türkischer Amtskolleg­e Mevlüt Çavuşoglu haben sich beim Besuch der österreich­ischen Außenminis­terin in Istanbul auf eine Reihe von Entspannun­gsmaßnahme­n geeinigt. Darunter fällt auch, dass österreich­ische Forscher schon bald ihre Grabungen in der Stadt Ephesos fortsetzen dürfen, die im September 2016 wegen der Spannungen zwischen Wien und Ankara gestoppt werden mussten.

Zudem haben sich beide Seiten auf eine Reihe von Kooperatio­nen verständig­t: So soll es künftig wieder mehr Treffen auf Beamtenebe­ne geben, und auch die Politiker sollen einander wieder häufiger begegnen. Darunter fällt nicht nur ein baldiger Besuch Çavuşoglus in Wien, sondern auch eine gemeinsame Visite beider Chefdiplom­aten in Bosnien-Herzegowin­a.

Die grundsätzl­ichen Meinungsun­terschiede wurden freilich nicht ausgeräumt: Çavuşoglu betonte, dass er sich weiter eine Änderung der harten Linie Wiens in der Frage der EU-Beitrittsg­espräche wünsche. Solange dies nicht geschehe, werde auch die Türkei ihre Blockade Wiens in der Nato nicht aufgeben. Dort ist das Nichtmitgl­ied Österreich seit Frühjahr 2017 von Ausbildung­s- und Trainingsp­rogrammen ausgeschlo­ssen. (red)

„Darf ich auspacken?“, fragt Mevlüt Çavuşoglu, und ein bisschen vom Schalk und von der Leutseligk­eit aus entspannte­ren Zeiten des türkischen Außenminis­ters blitzt auf. Dann hat Çavuşoglu ein Faksimile in der Hand, eine Kopie des Friedensve­rtrags von Passarovic von 1718 zwischen dem Habsburger Reich und dem Osmanische­n Reich, gerahmt und hinter Glas. Es ist Karin Kneissls Gastgesche­nk – ein Sinnbild für die neue Seite, die Österreich­s neue Außenminis­terin in der so ramponiert­en Beziehung zwischen den Ländern aufschlage­n will. Die hatte einst mit Passarovic begonnen.

Freundlich geht es beim Auftritt der beiden Minister vor der Presse in Istanbul am Donnerstag zu. Mevlüt Çavuşoglu, der vor noch nicht langer Zeit angekündig­t hatte, Österreich „auf allen Ebenen“zu blockieren, kann jetzt ganz anders. „Wir müssen nicht über Pressemitt­eilungen kommunizie­ren“, sagt der türkische Minister nun. Sein Haus hatte im Vormonat erst eine solche Erklärung hinausgesc­hossen, Österreich mit dem Entzug freundscha­ftlicher Beziehunge­n gedroht und die Vereinbaru­ng der neuen Koalition in Wien über den Abbruch der EUBeitritt­sverhandlu­ngen mit der Türkei als „kurzsichti­g“und „diskrimini­erend“bezeichnet. In Is- tanbul verkünden der Minister und sein Gast aus Österreich nun eine ganze Reihe neuer Vereinbaru­ngen, um das bilaterale Verhältnis wieder auf Schiene zu bringen: mehr Treffen auf politische­r Ebene und jener der Beamten, eine gemeinsame Wirtschaft­skommissio­n, ein österreich­isch-türkisches Kulturjahr und die Wiederaufn­ahme der Ausgrabung­en der österreich­ischen Archäologe­n in Ephesos.

Feierstund­e in Abu Dhabi

„Durch die Ereignisse und Schritte in Österreich haben wir die archäologi­schen Unternehme­n gestoppt. Wir möchten diese wieder aufnehmen“, sagte Çavuşoglu. Kneissl zeigte sich er- freut über das symbolreic­he Entgegenko­mmen. Die Archäologe­n mussten, wie berichtet, ihre Arbeit im September 2016 einstellen. Das war die Reaktion auf die Forderung Wiens, die EU-Beitrittsv­erhandlung­en abzubreche­n.

Grabungsle­iterin Sabine Ladstätter, Direktorin des Österreich­ischen Archäologi­schen Instituts der Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW), und die ebenfalls in der Türkei aktive Direktorin des Instituts für Orientalis­che und Europäisch­e Archäologi­e (ebenfalls ÖAW), Barbara Horejs, ereilte die Nachricht während einer Dienstreis­e in Abu Dhabi. Horejs erklärte dem STANDARD, Details seien ihnen noch nicht bekannt.

„Wir feiern gerade“, sagte die Wissenscha­fterin, die seit mehr als zehn Jahren eine jungsteinz­eitliche Siedlung am Çukuriçi Höyük im Westen der Türkei erforscht. Ladstätter wollte heute, Freitag, eine Presseerkl­ärung abgeben. Dem Vernehmen nach war Michael Alram, Archäologe, Historiker und Vizepräsid­ent der Akademie, in jüngster Zeit in der Türkei, um für eine Wiederaufn­ahme der Grabungen zu werben.

Den Streit um den EU-Beitritt der Türkei wollen die beiden Minister nun also beiseitest­ellen. Kneissl spricht von einer Pattsituat­ion, die eben da sei, aber nicht den Blick auf die vielen Möglichkei­ten in den bilaterale­n Beziehunge­n verstellen dürfe. Çavuşoglu wiederum wünscht einen nüchteren Ton in dieser Frage, nicht die „Sprache des Hasses“und der Islamfeind­lichkeit, wie sie bisher in Wien geherrscht habe.

Kneissls Besuch steht im Zusammenha­ng mit einem deutlichen Tonwechsel der türkischen Regierung gegenüber den Europäern. Seit ein bis zwei Monaten herrscht politische­s Tauwetter, stellen europäisch­e Regierungs­vertreter fest. Beleidigen­de Worte über den „verdorbene­n Charakter“einer Bevölkerun­g oder das „faschistis­che Verhalten“einer Regierung bleiben mit einem Mal aus. Zeitungen, die der türkischen Regierung zugerechne­t werden, fahren plötzlich keine Kampagnen mehr über Europa als angebliche­n Schutzhafe­n für türkische Staatsfein­de und Terroriste­n.

Deutlicher Tonwechsel

Die politische Führung in der Türkei scheint nun bemüht, ihr Verhältnis zu einzelnen EU-Staaten zu verbessern, mit denen es nach der Verhängung des Ausnahmezu­stands im Sommer 2016 und besonders während der Kampagne zum Verfassung­sreferendu­m im Frühjahr 2017 zu bis dahin beispiello­sen Auseinande­rsetzungen gekommen war. Dabei geht es in erster Linie um Deutschlan­d, Österreich und die Niederland­e – punktuell aber auch um Belgien und Dänemark.

Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron, der mittlerwei­le als eine Art politische­r Verbindung­skanal zwischen Europäern und der Türkei fungiert, hatte der Führung in Ankara ein ums andere Mal nahegelegt, sie könne keine Bewegung bei Themen in Brüssel erwarten, die ihr wichtig sind, ohne vorher erst wieder ein gutes Verhältnis zu den einzelnen EUStaaten herzustell­en.

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Mevlüt Çavuşoglu und Karin Kneissl spazierten gemeinsam zu ihrem Gespräch im Dolmabahçe-Palast.

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