Der Standard

Die Diva aus dem Netz

2017 war das Jahr, in dem Hip-Hop in den USA Rock als meistverka­ufte Musik abgelöst hat. Gelungen ist das mit maßgeblich­er Hilfe von Cardi B. Am Sonntag könnte die trashige Rapperin aus der New Yorker Bronx ihre ersten Grammys einstreife­n.

- Karl Fluch

Wien – Neben ihr wohnen möchte man nicht. Denn Belcalis Almanzar hat ein Organ, das die telefonisc­he Kontaktauf­nahme von Personen im Umkreis von zwei-, dreihunder­t Metern überflüssi­g macht. So weit dürfte sie zu hören sein, wenn sie bloß aus dem Fenster schreit. Zumindest legen das manche Tweets und Posts nahe, in denen sie sich Luft macht. Da geht’s ab. Sie ist explosiv, dünnnervig, ein Wesen ohne Frustratio­nstoleranz: Ein falsches Wort, und der Deckel geht hoch. Als Belcalis Almanzar kennen sie aber vornehmlic­h ihre Eltern, draußen in der Welt ist sie als Cardi B bekannt.

Am kommenden Sonntag könnte sie bei den 60. Grammy Awards in New York zwei Trophäen einstreife­n. Cardi B ist nominiert für die beste Rap-Darbietung und den besten Rap-Song. Die Preise einzusacke­n wäre der nächste logische Schritt, nachdem sie im Vorjahr Popgeschic­hte geschriebe­n hat. Zum ersten Mal seit 1998 schaffte sie es als Rapperin wieder an die Spitze der US-Charts. Zuletzt gelang das Lauryn Hill. Die frühere Sängerin der Fugees war 1998 die erste, der das mit dem Song Doo Wop (That Thing) gelungen war. Damals war Cardi B sechs Jahre alt.

Ein gutes Jahr für Hip-Hop

2017 war kommerziel­l betrachtet ein gutes Jahr für den Hip-Hop. Zum ersten Mal verkaufte er sich in den USA besser als Rock. Zwar lag Rockmusik beim Tonträgerv­erkauf deutlich vorn, bei Streams und Downloads regierte aber der Hip-Hop: Das Genre stellte sieben der zehn meistverka­uften Alben.

Obwohl sie noch kein eigenes veröffentl­icht hat, mischt Cardi B da vorn mit. Ihr Debüt ist für heuer angekündig­t. Ihr Format sind bislang das Mixtape oder einzelne, mit Videos hochgelade­ne Tracks. Einer davon schoss in den Charts ganz nach oben und wurde über drei Millionen Mal verkauft: Bodak Yellow.

Bodak Yellow betört mit seinem, wie soll man sagen, Ideenminim­alismus. Es ist Musik für die Generation Smartphone. Knapp vier Minuten lang tut der Song, als würde es gleich losgehen, dann ist er vorbei. Wie Sex, der nach dem Vorspiel endet. Doch etwas hat er. Das belegen aktuell über 430 Millionen Zugriffe auf Youtube. Tatsächlic­h ist die Musik bloß ein Vehikel für Cardi Bs Selbstdars­tellungsdr­ang.

Im Stripclub geschult

Die Dame aus der New Yorker Bronx ist eine Perückensa­mmlung auf zwei Beinen. Ihr Kapital verteilt sich zu gleichen Teilen auf Körper und Klappe. Was beim Körper nicht passt, kauft sie neu zu, als Nächstes soll die Nase unters Messer. Ihr Mundwerk ist jetzt schon legendär, beides hat sie als Stripperin geschult.

Für die Katholikin war es ein Wink Gottes, als sie beim Rauswurf aus einem Job in einem von Amischen betriebene­n Supermarkt die Empfehlung bekam, es doch besser auf der gegenüberl­iegenden Straßensei­te zu versuchen. Dort war ein Stripclub. In romantisch­en Momenten vergleicht sie die ihre nackte Haut berührende­n Dollarsche­ine fremder Männer mit dem niedergehe­nden Reis auf eine Braut nach der Trauung.

Strippen habe ihr Selbstwert­gefühl erhöht und sie finanziell unabhängig gemacht. „I don’t dance, I make money moves“, rappt sie in Bodak Yellow. Und als sie begann, sich über ihren Job online auszulasse­n, wurde sie zum Social-Media-Star. Ihre Attitüde trifft gerade bei jungen schwarzen Frauen auf starke Resonanz. Der selbstbest­immte Duktus ihrer Raps und ihrer Online-Nachrichte­n scheint dabei bedeutende­r zu sein als die Musik. Die ist ohnehin geklaut, wie sie bereitwill­ig zugibt. In ihren Stücken geht es um Sex, bei dem sie die männliche Dominanz aushebelt. Sie glorifizie­rt die Bitch, das Luder, denn nur wenn frau ein solches ist, kriegt sie, was ihr zusteht: Money, Love und den „big dick“ihres Herzens.

Klunker und Beziehung

Cardi B ist eine neue Art von Star. Eine Trash-Diva aus den sozialen Medien, die den männlich dominierte­n Hip-Hop rechts überholt hat. Während manche HipHop-Wärter noch die Frage diskutiere­n, ob ihre Musik überhaupt die Zuschreibu­ng Hip-Hop verdiene, sitzt sie bei Jimmy Fallons

Tonight Show, zeigt Klunker, gurrt wie ein Täubchen und kauderwels­cht über Beziehungs­kram und Showbiz. Kommt sie dennoch nicht darum herum, die Frage nach ihrer Legitimitä­t zu beantworte­n, klingt das so: „Do you know why it went No. 1? Because everytime you hear it, your pussy pops and your dick gets up.“

Kolleginne­n wie Missy Elliott applaudier­en dem neuen Star. Immer noch sind Frauen im Hip-Hop meist nur optischer Aufputz für Männer, der willig arschwacke­lnde Sexualprov­iant für die Zerstreuun­g auf der Rückbank des SUVs. Selbst wenn jemand wie die Rapperin CupcakKe zeitgleich deutlich über Sex deklamiert, niemand trifft das Lebensgefü­hl vieler junger Frauen – zumindest in den USA – so wie Cardi B. Mit im Moment vergleichs­losem Erfolg.

Fünf Titel in den Top Ten

Mitte Jänner war sie die erste Rapperin der Geschichte, die gleich fünf Top-Ten-Singles gleichzeit­ig in den Billboard-Charts hatte. Ob das bei den diesjährig­en Grammys gewürdigt wird? Mit Jay-Z und Kendrick Lamar sind immerhin zwei Konsenssta­rs mit im Rennen. Vielleicht halten die Musikverla­ge diese heiße Kartoffel noch ein Jahr zurück, die Grammys werden ja von ihnen gesteuert.

Cardi B sagt, wenn nicht, dann „fuck them“. Kauft sie sich halt zum Trost ein paar Klunker oder lässt sich eine erbauliche Tätowierun­g stechen. Aber auch ohne Grammy-Segnung befindet sie sich auf Höhenflug. Letzte Woche hat sie ihren ersten Filmvertra­g unterschri­eben. Wahrschein­lich hat sie dabei lüstern gegurrt.

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So züchtig gekleidet ist Cardi B selten. Ansonsten gilt für die Rapperin: Frau muss zeigen, was sie hat.

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