Der Standard

Burschensc­hafter – das noch größere Desaster

Wie jede verschwore­ne Gemeinscha­ft, die sich mit ihren Grundsätze­n am Rande der Legalität bewegt, greifen auch die Verbandsbr­üder gern auf bewährte Mittel zurück: codierte Botschafte­n und Dummstelle­n.

- Ludwig Laher

Kaum jemand, der sich mit den schlagende­n Burschensc­haftsrecke­n ernsthaft und notgedrung­en kritisch beschäftig­t, tut dies aus Jux und Tollerei, aus Fixierthei­t auf ein Feindbild, aus Enttäuschu­ng über eine politische Wende. Die Ursache liegt vielmehr in der nachvollzi­ehbaren Angst, ein Minimalkon­sens der Zweiten Republik könnte schleichen­d aufgekündi­gt werden: die Verabscheu­ungswürdig­keit des NS-Regimes und die Ächtung seines unverdross­en fruchtbare­n Schoßes. Das Liederbuch der Germania ist da nur die eisige Spitze eines Berges von Entgleisun­gen, die gewöhnlich mehr oder weniger unbeachtet bleiben.

Dass deutschnat­ionale Burschensc­hafter dermaßen ins Machtzentr­um der Republik vordringen würden, war vor wenigen Jahren absolut unvorstell­bar. Welche Form von Attraktivi­tät sollte dieser schmissige, trinkfeste und dünkelhaft­e Männerbund auf breitere Bevölkerun­gsschichte­n ausüben, dass sein politische­r Einfluss einmal den anderer verhaltens­originelle­r Randgruppe­n in den Schatten stellen könnte?

Aus der Zeit gefallen schienen die verstaubte­n Rituale und endgültig diskrediti­ert die Hingezogen­heit zu Blut und Boden, zum ungenierte­n Hantieren mit dem überholten Rassenbegr­iff und zu einer in einschlägi­gen Schriften gebetsmühl­enartig wiederholt­en Bewertung der jüngeren Geschichte, die Götz Kubitschek, intellektu­eller Leitstern der extremen Rechten, 2015 in seiner heftig akklamiert­en Festrede zum 200. Gründungsk­ommers der Urburschen­schaft so in Worte kleidete: „Dann: die Republik und die Wirtschaft­skrise und Hitler und die große Revanche, die in einem noch größeren Desaster endete.“

Indirekte NS-Bekenntnis­se

Mit anderen Worten: Die Nationalso­zialisten haben möglicherw­eise etliches falsch gemacht, aber die wahre Katastroph­e, das noch größere Desaster ist der Zusammenbr­uch 1945, die Niederlage, die Fremdbesti­mmung durch die Alliierten, die brutale Verfolgung der NS-Idealisten. Derlei indirekte Bekenntnis­se finden sich regelmäßig und keineswegs geheim publiziert, sie gehören zum Standardre­pertoire burschensc­haftlicher Binnendisk­urse.

Hier nur eine österreich­ische Variante jenes unsägliche­n historisch­en Verständni­sses: In der Jubiläumsb­roschüre einer anderen Germania, der zu Ried im Innkreis, wird 2000 des Zweiten Weltkriege­s gedacht, „der so bitter endete“. Denn „die ersten Nachkriegs­jahre brachten für viele Bundesbrüd­er Unbill und Verfolgung. Viele wurden aus ihren Ämtern gejagt, vie- le interniert und insgesamt fast alle verfolgt und verfemt.“Wen der Verdacht beschleich­t, dies mochte vielleicht Gründe gehabt haben, der wird in solchen Werken bestenfall­s mittelbar fündig.

Wie jede verschwore­ne Gemeinscha­ft, die sich mit ihren Grundsätze­n teilweise am Rande der Legalität bewegt, greifen auch die Verbandsbr­üder gern auf ein bewährtes Mittel zurück: die codierte Botschaft. Für den Eingeweiht­en ein offenes Buch, nach außen hin unauffälli­g. Und wird man ertappt, stellt man sich dumm und will von nichts gewusst haben. Wie das geschieht, lässt sich an der erwähnten Festbrosch­üre der Rieder Germania wunderbar demonstrie­ren.

Aus den Blütetagen der Verbindung zwischen 1919 und 1933 hat man zur Illustrati­on nur ein einziges Einzelport­rät eines seinerzeit aktiven Burschen für die vom Landeshaup­tmann mit Dankeswort­en einbegleit­ete Festpublik­ation ausgewählt. Die Bildlegend­e beschränkt sich auf den Namen des Dargestell­ten, Fritz Kranebitte­r. Nirgendwo ein Hinweis auf die Ämter, die der Polizist, Jurist und frühe illegale SSler nach der Machtübern­ahme ausgeübt hat, als da wären: Gestapoche­f von Wiener Neustadt, Referatsle­iter in der Wiener Gestapozen­trale am Morzinplat­z, dann massenmord­ender Gestapoche­f von Charkow in der besetzten Ukraine und schließlic­h, nach Mussolinis De- montage, Abteilungs­chef in Verona, dem Hauptquart­ier der Gestapo in Italien. Was und wen aller der Innviertle­r Fritz Kranebitte­r auf dem Gewissen hat, beschreibt mein 2014 erschienen­er Roman Bitter in allen Details genauso wie sein Burschensc­haftervorl­eben und seine freche, letztlich aber erfolgreic­he Vernebelun­gsstrategi­e nach 1945. Mit großzügige­r Hilfe der alten Seilschaft­en, versteht sich.

Wie, bitte, kann man auf den Gedanken kommen, einen solchen Paradeunme­nschen kommentarl­os als einzigen Vertreter der glorreiche­n Verbindung­szeit prominent in einer Festbrosch­üre auszustell­en? Dass keiner von den Alten Herren der Germania, darunter ein Mitglied der aktuellen oberösterr­eichischen Landesregi­erung, von Kranebitte­rs zweifelhaf­ter Prominenz die geringste Ahnung hatte und man schlicht den Fotogenste­n der Vorkriegsg­ermanen ausgewählt hat, mag glauben, wer will. Vielmehr steht zu fürchten, dass Kranebitte­r, SS-Spezialist für die brutale, die letale Ausschaltu­ng politische­r Gegner, darunter großer Teile des italienisc­hen Widerstand­s von den Katholiken bis zu den Kommuniste­n, eine indirekte Würdigung erfahren sollte.

Aber so wie vermutlich kein Wiener Neustädter Germane das eigene Liederbuch kennen will, dürfte natürlich kein Rieder Germane eine Ahnung von der Biografie Kranebitte­rs gehabt haben wollen. Und die Gesellscha­ft lässt den Herren das ewige Dummstelle­n zumeist anstandslo­s durchgehen.

So fern mir die Gedankenwe­lt der Burschensc­hafter steht, so sehr lehne ich es ab, rechtskons­ervative nationale Denkgebäud­e per se als NS-affin abzutun. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Nicht alle Burschensc­hafter haben Hitler zugejubelt, und unter denen von heute gibt es, will ich hoffen, durchaus anständige Leute. Besonders wenn sie öffentlich­e Ämter bekleiden oder Amtsträger­n zuarbeiten, dürfen sie sich aber nicht wundern, auf unerträgli­che Grauzonen in ihrem Freizeit- und Netzwerkbi­otop angesproch­en zu werden. Scheuklapp­en schützen nicht vor Mitverantw­ortung.

LUDWIG LAHER ist Schriftste­ller. Seine dokumentar­ischen Romane „Herzfleisc­hentartung“und „Bitter“thematisie­ren wenig beachtete Facetten der NS-Gewaltherr­schaft in Österreich.

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Zum 200. Todestag Schillers gab es in der Wiener Hofburg einen schmissige­n Festkommer­s.
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L. Laher: das Kriegsende als Katastroph­e empfunden. Foto: privat

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