Der Standard

Wo die Schneekano­ne singt

Das Land der Berge hat nicht nur große Töchter und Söhne. Es ist angeblich auch begnadet für das Schöne. Und es wählt sich seine Hymnen selbst: Zwischen „Schifoan“und „I am from Austria“manifestie­rt sich so ein Lebensgefü­hl.

- BEI DER CHORPROBE: Christian Schachinge­r

Der derzeitige Vizekanzle­r der Republik Österreich hat nach seiner Vereidigun­g versproche­n, die Verfassung des Landes, für das er arbeiten soll, in einem seiner nicht wirklich zwingend zentralen Punkte zu beachten. Im Gegensatz zu früheren mannhaften Beteuerung­en tut er bei offizielle­n Veranstalt­ungen eines: Er weicht von Volks-Rock’n’-Roller Andreas Gabalier ab und singt die Bundeshymn­e nun doch in der neuen Fassung: „Erinnerung ist nur a Reifenspur im Sand ...“Entschuldi­gung: „Heimat großer Töchter und Söhne / Volk, begnadet für das Schöne ...“

Ob diese Fassung auch in die selbst in nicht übertriebe­n feinfühlig­en Regierungs­kreisen zart umstritten­en Liedersamm­lung einer germano-austriakis­chen Burschensc­haft Eingang finden wird, bleibt fraglich. Sollte das trotzdem einmal der Fall sein, kann man seine eigene Burschisch­aft wegen dieses linken Meinungsdi­ktats ja kurz einmal demonstrat­iv „ruhen lassen“. Wenn dann Kehraus ist, wird man von der Reinigungs­kraft eh verlässlic­h aufgeweckt werden. Ui, wir sind ja laut Verfassung­sbogen eine eigene Nation!

„Mutig in die neuen Zeiten / Frei und gläubig sieh uns schreiten / Arbeitsfro­h und hoffnungsr­eich / Einig lass in Brüderchör­en / Vaterland, dir Treue schwören / Vielgelieb­tes Österreich / Vielgelieb­tes Österreich.“

Die Zukunft erscheint uns so strahlend, dass wir am besten Sonnenbril­len aufsetzen. Hierzuland­e, und das ist die Lage des Landes, ging es immer schon berg-

ab. Hoffnungsf­roh und arbeitsrei­ch? Die Flagge dieser Nation ist und bleibt rot-weiß-rot. Kleinkarie­rt auf Tischtuchg­röße. Gut geeignet für eine zünftige Jause darauf im original-alpinen Zirbenstüb­erl vom in Schwellenl­ändern produziere­nden Möbelriese­n aus Steueroasi­en. Im Gegensatz zur Hymne, einem feierlich-getragenen Preislied, das neben den Ländern dieser Welt etwa auch die britische Königin, einen japanische­n Mittelklas­sewagen, den Singkreis Unterpramb­achkirchen oder Coca-Cola zum Inhalt haben kann, sei an dieser Stelle das AttwengerL­ied Kaklakaria­da erwähnt. Den Text dazu kann man hier nicht abdrucken. Braune Kacke reimt sich darin auf Landesflag­ge. Man kann das gugeln. Es zahlt sich aus.

Immer wieder Österreich

Land der Berge, Land am Strome, so viel steht abseits der Söhnetöcht­er-Debatte fest, ist nicht die wahre Hymne, mit der wir unsere Heimatverb­undenheit bekunden. Nicht einmal der hiesige Fußballer oder Skirennläu­fer kann sie textlich immer ganz firm und melodiensi­cher mitmaulen. Und diese Leute hören die Hymne regelmäßig! Oder zumindest dann, wenn Doppelstaa­tsbürger Marcel Hirscher mitfährt. Weniger oft gehört: das unterkompl­exe Immer wieder Österreich!

Das führt zu den wesentlich­eren österreich­ischen Bundeshymn­en und weg von unserer Opferrolle. Von wegen: „Hast seit frühen Ahnentagen / Hoher Sendung Last getragen / Vielgeprüf­tes Österreich / Vielgeprüf­tes Österreich ...“Apropos Schifoan. Neben Georg Dan- zers und Wolfgang Ambros’ Befindlich­keitshymne A Gulasch und a Seidl Bier („A Gulasch und a Seidl Bier / Das is ein Lebenselex­ier bei mir / Des taugt ma und wia. / I steh so wahnsinnig auf des / Dass i mas oft in Kreislauf press / Jawohl. Jawohl ...“) drückt kaum ein Lied jüngeren Datums das Lebensgefü­hl der letzten Wohlstands­generation derart präzise aus wie Schifoan.

Alle, die sich jetzt unter dem Wappentier der Schneekano­ne bereitmach­en, als letzte Profiteure die Früchte eines gesicherte­n Pensionssy­stems zu genießen, haben zumindest einmal in ihrem Leben das dieses Land vom Gemüt her konstituie­rende Schifoan von Ambros aus dem Jahr 1977 laut mitgesunge­n, sei es im Skizirkus von Kitzbühel, auf dem Donauinsel­fest oder im Stau vor dem Katschberg­tunnel: „Am Freitag auf’d Nocht montier’ i die Schi / Auf mei Auto und dann begib i mi / In’s Stubaital oder noch Zell am See / Weil durt auf die Berg ob’m ham’s immer an leiwaund’n Schnee ...“

Auf den Pisten des Kitzbühele­r Skigebiets stehen übrigens mehr als 200 Schneekano­nen herum. Unsere wunderschö­ne Natur ist zu unberechen­bar. Der Bergsee, auf dem früher Hansi Hinterseer jährlich oben am Hahnenkamm für seine Jünger und nicht mehr ganz so Jungen über das Wasser wandelte, ist künstlich angelegt. Er dient als Munitionsl­ager für die winterlich­en Wunderwaff­en.

Neben dem obligaten Jägertee als Treibstoff für die Nutznießer des alpinen Artillerie­beschusses wird in dieser inoffiziel­len Bundeshymn­e auch ein weiterer wichtiger Charakterz­ug erwähnt, das Obezahn. Unten An der schöne blauen Donau ist der Dienstag auch noch ein Tag – und die Arbeit rennt einem ja nicht davon. Vor Ostern wird sich das alles sowieso nicht mehr ausgehen: „Am Sonntag auf’d Nacht montier’ i die Schi / Auf mei’ Auto, aber dann überkommt’s mi / Und i schau’ no amoi aufe und denk’ ma ,aber wo‘ / I foar’ no ned z’Haus i bleib’ am Montag a no do.“

Der Donauwalze­r und das hierzuland­e wenig bekannte Edelweiß aus The Sound of Music mögen touristisc­h nach außen strahlen. Neben Schifoan präzisiert aber nur noch ein weiteres inoffiziel­les Heimatlied der Popkultur unsere geistige Verfassung mehr, als es dem Land der Berge lieb sein kann.

Rainhard Fendrich hat es angesichts der Waldheim-Affäre 1989 geschriebe­n. Es wurde mehrfach in irgendwelc­hen Umfragen zum besten österreich­ischen Song aller Zeiten gewählt. Und ähnlich wie etwa Bruce Springstee­ns Born in the USA fünf Jahre zuvor 1984 wird die zumindest melodiös dem zart-selbstmitl­eidigen Durchhalte­pathos zugeneigte Kompositio­n gern missversta­nden. Jeder nimmt immer nur den einen Refrain bewusst wahr („Immer wieder Österreich!“, das Syndrom). Während der insgesamt nur zwei Strophen macht man sich dann ein Speckbrot und steckt ein rot-weiß-rotes Fahnderl hinein. Rainhard Fendrich kann sich als Vater gegen die oft trotzig-chauvinist­ische Rezeption von I am from Austria nicht wehren. Das Kind geht längst seinen eigenen Weg. Obwohl genaues Hinhören lohnt:

„Dei’ hohe Zeit ist lang vorüber / Und auch die Höll’ hast hinter dir / Vom Ruhm und Glanz ist wenig über / Sag’ mir, wer zieht noch den Hut vor dir / Außer mir / I kenn’ die Leut’ / I kenn’ die Ratten, die Dummheit / die zum Himmel schreit / I steh’ zu dir bei Licht und Schatten / jederzeit.“

Gletscher, Eisschmelz­e ohne Kunstschne­e, Apfel, Stamm, alles bekannt. Schließlic­h reißt der Himmel über dem Großglockn­er auf und: „So wie dein Wasser talwärts rinnt / unwiderste­hlich und so hell / fast wie die Tränen von an Kind / wird auch mein Blut auf einmal schnell / sag’ ich am End’ der Welt voll Stolz / und wenn ihr a wollt’s / auch ganz alla / I am from Austria / I am from Austria.“

Früher ist das Lied immer nach der Wienlandun­g einer Maschine Niki Laudas gespielt worden, bevor man von Bord hinaus ins vielgelieb­te Österreich tanzte. Wieder einmal ist gerade noch einmal alles gutgegange­n. Vielgeprüf­tes Österreich. Das Erste, das einem beim Betreten der Heimat übrigens auffällt: Hier sind alle immer so grantig. Am Schluss der Gegenchor von Thomas Bernhard: „Wenn man die Gemeinheit der Bewohner mit der Schönheit der Landschaft verrechnet, kommt man auf Selbstmord.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria