Erinnerung an einen Mutigen und Gerechten
Vor 25 Jahren starb der bosnische Serbe Srdjan Aleksić, weil er einem Muslim half
Die alten Steine und die hohen Platanen machen den Platz in Trebinje zu einem der schönsten in der Herzegowina. Er ist das Herz der Stadt. Auch an jenem Tag im Jänner 1993 gingen hier Bürger spazieren. Srdjan Aleksić, ein damals 26-jähriger Mann, sah, wie Soldaten hier auf seinen Bekannten Alen Glavović einschlugen. Er ging auf die Soldaten zu, er setzte sich dafür ein, dass sie von ihm abließen. Glavović konnte deshalb flüchten. Doch in der Folge gingen vier Soldaten auf Aleksić los. Sie verprügelten ihn so brutal, dass er ein paar Tage später, am 27. Jänner 1993, verstarb – genau vor 25 Jahren.
Heute ist Aleksić ein Symbol für Zivilcourage. Aber auch der Kontext ist wichtig, um seinen außergewöhnlichen Mut einzuordnen. Denn er half einem der „anderen“. Hatten Männer mit muslimischen Namen aus Trebinje noch 1992 an der Seite von bosnischen Serben gemeinsam an der DubrovnikFront gegen kroatische Einheiten gekämpft, so waren sie ab 1993 bereits selbst bedroht.
Aleksić mit seinem serbischorthodoxen Namen hatte also Glavović mit seinem bosniakischmuslimischen Namen zu einem Zeitpunkt geholfen, als die Entsolidarisierung bereits im Gange war, wo Bürger nur mehr als Mitglieder einer Gruppe gesehen wurden. Er zeigte Solidarität mit einem Menschen, obwohl das für ihn selbst gefährlich werden konnte – und auch wurde.
Es gab damals den Plan, homogene ethnische Gebiete zu schaffen, es herrschte eine Atmosphäre der Einschüchterung. Wenig später wurden die meisten Muslime aus Trebinje vertrieben – etwa 4000 Personen mit Bussen nach Montenegro gebracht.
Die vier Soldaten wurden übrigens ein Jahr später zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, nachdem sie gleich nach dem Angriff verhaftet worden waren. Der französisch-deutsche Historiker Nicolas Moll hat für das Zentrum für Südosteuropastudien in Graz er- forscht, wie heute an Aleksić erinnert wird.
Bereits zu seinem Begräbnis kamen hunderte Menschen, doch Aleksić wurde erst ab 2007 in der Öffentlichkeit ein richtiger „Held“. Medien berichteten zunehmend, auch ein Film wurde ausgestrahlt. Aleksić bekam posthum Auszeichnungen, nicht nur in Bosnien-Herzegowina, sondern auch in Serbien wurden einige Straßen nach ihm benannt.
„Menschliche Pflicht“
Sein Vater Rade Aleksić sagt, sein Sohn sei „bei der Erfüllung seiner menschlichen Pflicht“gestorben. Moll verweist darauf, dass die Erinnerung an Aleksić von Medien und Politik mitunter dekontextualisiert oder entpolitisiert, von anderen wiederum ethnisiert und politisiert wird.
Für die einen spielt der ethnische Aspekt keine Rolle, sie betonen, dass Aleksić einfach einen Nachbarn verteidigte, die anderen erinnern an ihn als Beispiel für Zivilcourage von bosnischen Serben, die sich für Muslime einsetzten. Wenn man Aleksić als einen „Gerechten“sieht, könnte man allgemeiner fragen: „Wie haben wir uns im Krieg verhalten? Und wie würde jeder von uns in Aleksić’ Situation reagiert haben?“, meint Moll. Am Beispiel des Verhaltens von Srdjan Aleksić mitten im Krieg stellt sich die größere Frage von Solidarität: „Inwieweit sind wir bereit zu intervenieren, wenn anderen unrecht getan wird?“