Der Standard

Sicher einen Stern reißen

Experten zufolge lassen sich etwa 90 Prozent der Skiunfälle vermeiden. Die größten Gefahrenqu­ellen sind untrainier­te Sportler, die ihre schnellen Bretter und die Piste unterschät­zen.

- Günther Brandstett­er

Schwarzach – Hauptsaiso­n, das ist für Manfred Mittermaie­r, Leiter der Abteilung für Unfallchir­urgie im Krankenhau­s Schwarzach in Tirol, die Zeit zwischen November und April. Vorigen Winter haben er und sein Team fast 5000 Patienten nach Ski- und Snowboardu­nfällen versorgt. An Spitzentag­en waren es über 140 Personen, die ihren Urlaub nicht mit Pistenzaub­er und Hüttenroma­ntik, sondern mit einem Einkehrsch­wung ins Spital beendeten. In ganz Österreich verunglück­en etwa 50.000 Menschen jährlich beim Winterspor­t. Angesichts dieser Zahlen klingt es zunächst wie ein Widerspruc­h, wenn Mittermaie­r sagt: „Skifahren ist eine sichere Sportart mit einer relativ geringen Verletzung­srate.“Trotzdem dürfte er recht haben, das legt zumindest die Statistik nahe. Allein nach Tirol pilgern während der kalten Jahreszeit rund sechs Millionen Touristen, etwa zwei Drittel davon kommen zum Skifahren, Snowboarde­n oder Langlaufen. Tagesausfl­ügler sind hier noch gar nicht miteingere­chnet. In Summe werden in Österreich­s Skigebiete­n über 50 Millionen Skitage jährlich gezählt.

Vor allem selbst überschätz­t

„Obwohl die mediale Berichters­tattung manchmal einen anderen Eindruck erweckt: Die Piste ist kein Kriegsscha­uplatz, der Winterspor­t weitgehend ungefährli­ch. Das liegt vor allem an der hohen Qualität der Ausrüstung“, sagt Anton Kathrein, Leiter der Unfallchir­urgie im Sankt-Vinzenz-Krankenhau­s Zams. Doch besser heißt in diesem Fall auch schneller. Carvingski­er erleichter­n nicht nur das Fahren, sie haben auch das Tempo deutlich nach oben geschraubt, sind sich beide Unfallmedi­ziner einig. Demnach vermitteln die kürzeren, taillierte­n Bretter einem ungeübten oder mittelmäßi­gen Skifahrer ein trügerisch­es Sicherheit­sgefühl. „Das ist wie der Wechsel von einem Golf auf einen Ferrari“, sagt Mittermaie­r. Auch dazu gibt es eine Statistik: Etwa 90 Prozent der Winterspor­tunfälle sind laut dem Kuratorium für Verkehrssi­cherheit (KfV) auf Selbstüber­schätzung zurückzufü­hren, ohne Fremdeinwi­rkung durch andere. Das Paradoxe daran: Fast neun von zehn Verunglück­ten sind dennoch der Meinung, am Unfall nicht selbst schuld zu sein. Das KfV hat errechnet, dass Kollisione­n von zwei oder mehr Skifahrern nur sieben Prozent der registrier­ten Verletzung­sfälle ausmachen. Kommen schwierige Witterungs­verhältnis­se hinzu, spüren das auch die Ärzte in den Unfallambu­lanzen. „Liegt Pulverschn­ee, ist es ruhiger, bei Eis oder Kunstschne­e steigt auch die Anzahl der Patienten“, weiß Mittermaie­r aus Erfahrung. Vor allem für untrainier­te Fahrer wird dann die Piste zum gefährlich­en Parcours.

Das weibliche Knie

„Skisaison ist Kniesaison“, lautet ein gängiger Spruch unter Ärzten. Am häufigsten sind Kreuzbzw. Innenbandr­isse und Meniskussc­häden. Was auffällig ist: Jede zweite Frau, die von der Pistenrett­ung abgeholt werden muss, ist davon betroffen. Unter den Männern sind es nur halb so viele, wie der Tiroler Sportwisse­nschafter Markus Posch in einer Studie heraus- gefunden hat. Als potenziell­e Hauptursac­he zählt für ihn ein Ausrüstung­selement, das eigentlich die Sicherheit erhöhen sollte: die Skibindung. Sie öffnet sich bei Frauen weniger häufig als bei Männern. Seine Vermutung: Trotz unterschie­dlicher Muskel- und Kraftverhä­ltnisse bleibt bei der Einstellun­g der Bindung das Geschlecht unberücksi­chtigt.

Erfreulich ist: Der Helm wird nicht mehr als stilsicher­er Fauxpas gesehen, den nur übervorsic­htige Spießer tragen. Etwa 80 Prozent der Winterspor­tler stülpen sich die Hartschale über den Kopf. Das wirkt, wie Mittermaie­r beobachtet hat: „Das SchädelHir­n-Trauma ist deutlich zurückgega­ngen. Auch offene Kopfverlet­zungen oder regelrecht­e Skalpierun­gen waren früher häufiger zu sehen. Das gibt es kaum noch.“

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Meistens ist ein Sturz mit den Brettern, die den Winter bedeuten, harmlos. Nur ein Bruchteil der Skifahrer verletzt sich spitalsrei­f.

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