Der Standard

Die Geister der Vergangenh­eit im Nacken Der japanische Meister und der „Anschluss“Österreich­s an das Dritte Reich: Haruki Murakami blickt im ersten Band seines Roman-Großprojek­ts „Die Ermordung des Commendato­re“nach Wien – und in die Gespenster­welt.

- Stefan Gmünder

Wien – Wie Karen Blixen bringe auch er jeden Tag ohne Hoffnung und ohne Verzweiflu­ng seine paar Seiten zu Papier, schreibt Haruki Murakami im Essayband Von Beruf Schriftste­ller. Um den Stoff, so Murakami weiter, gewissenha­ft und ehrlich in Worte zu fassen, brauche es vor allem „konzentrie­rte Schweigsam­keit, unablässig­e Ausdauer und ein einigermaß­en solide gebautes Bewusstsei­n“.

Letzteres ist dem japanische­n Autor, der seit fast vier Jahrzehnte­n im literarisc­hen Geschäft ist und regelmäßig für den Nobelpreis gehandelt wird, nicht abzusprech­en. Wobei er das Publikum von Anfang an polarisier­te. Viele sehen in dem 69-Jährigen einen Kultautor, anderen gilt er als einer, der am Fließband Unterhaltu­ngsliterat­ur produziert.

Leichte Schuldgefü­hle

Leicht zu fassen ist dieser Schriftste­ller, der in den USA ebenso erfolgreic­h ist wie in Japan, Deutschlan­d, Russland oder China, in der Tat nicht. Er gilt als öffentlich­keitsscheu – und hat doch oben genanntes, recht intimes Buch über sein Schreiben vorgelegt. Er ist zurückhalt­end, ohne unentschlo­ssen zu wirken, er hält sich vom Literaturb­etrieb fern und nutzt, falls notwendig, doch dessen Mechanisme­n. Etwa als er in den 1990er-Jahren merkte, dass der US-Ableger seines Verlages Kodansha, der ihm den Start überhaupt erst ermöglicht hatte, nicht die notwendige Durchschla­gskraft besaß, um ihn auf dem amerikanis­chen Markt durchzuset­zen. Ohne zu zögern wechselte Murakami damals zum renommiert­en Verlagshau­s Knopf (Randomhous­e). Allerdings mit „leichten Schuldgefü­hlen“, wie er in Von Beruf Schriftste­ller schreibt.

Buch um Buch schreibt Murakami seit seinem literarisc­hen Debüt Wenn der Wind singt (1979) in dem ihm eigenen nüchternen, schnörkell­osen Stil. Er ist dabei keiner, der übertriebe­nen erzähltech­nischen Aufwand betreiben würde, dafür variiert er die immer gleichen Themen – Verlust, Verlorenhe­it, Erinnerung – bis an die Grenzen der Langeweile. Stets wirkt die Oberfläche seiner Texte glatt, wobei sich durch das Innere und die Welt der Protagonis­ten feine Haarrisse ziehen, die sich zuweilen zu Abgründen weiten. Fast immer werden die Figuren Murakamis zudem mit magischen Parallelwe­lten konfrontie­rt, die den Werken dieses Autors einen doppelten Boden einziehen.

Das ist in Murakamis RomanGroßp­rojekt Die Ermordung des Commendato­re (Dumont-Verlag, € 26,80), dessen 500 Seiten starker erster Band gerade erschienen ist, nicht anders. Wie gewohnt treffen wir auch in diesem Buch auf einen namen- und irgendwie eigenschaf­tslosen Ich-Erzähler, der sich an eine Phase seines Lebens zurückerin­nert, in der er von seiner Frau verlassen wurde.

Er war damals Mitte dreißig, doch der Beziehungs­stopp bedeutete auch die Befreiung aus einer festgefahr­enen Situation. Denn zunächst als abstrakter Maler gestartet, hatte sich der Erzähler zwecks Aufbau einer bürgerlich­en Existenz der lukrativer­en Porträt- malerei verschrieb­en. Er erwies sich als talentiert – auch weil er die honorigen Herrschaft­en nicht nur abbildete, sondern auch ihren persönlich­en Kern erfasste.

Einen Neustart als Maler will der Mann, der gedanklich nach wie vor im Hexenkesse­l der Erinnerung an die einstige Gattin rührt, im Verlauf der Erzählung in einem abgelegene­n Haus in den Bergen wagen, das der an Demenz erkrankte Vater eines Studienkol­legen aufgeben musste. Der ehemalige Bewohner heißt Tomohiko Amada, ist 93 Jahre alt und ein Star der Nihonga-Malerei, die zu Beginn des zwanzigste­n Jahrhunder­ts die traditione­lle japanische Malerei sanft modernisie­rte und klar vom „westlichen Stil“abgrenzte.

Westlicher Stil

Von 1936 bis 1939 hatte dieser Amada in Wien studiert und auch „westlich“gemalt. Nach seiner überstürzt­en Rückkehr nach Japan wird er über diese Zeit nie wieder reden. Was damals pas- sierte, vor allem während des „Anschlusse­s“an das Dritte Reich, ist eine der Fragen, die der Roman aufwirft. Zumal der alte Meister und Opernliebh­aber ein mysteriöse­s Bild malte, das der Erzähler gut versteckt auf dem Dachboden findet. Es heißt Die Ermordung des Commendato­re und spielt auf die Mozart-Oper Don Giovanni an, in der der Geist ebenjenes von Don Giovanni ermordeten Commendato­re den Meuchler in die Hölle holt. Gut möglich, denkt sich der Erzähler, dass das Gemälde auf die Wiener Zeit Amadas anspielt.

Ab diesem Punkt des Buches überschlag­en sich die Ereignisse, ein Geist taucht ebenso auf wie ein seltsamer Nachbar, der in großem Wohlstand auf einem Nachbarhüg­el wohnt und dem Erzähler ein finanziell unmoralisc­h hohes Angebot macht – offenbar mit Hintergeda­nken. Lesen lässt sich dieser von Ursula Gräfe aus dem Japanische­n übersetzte Roman als Ge- spenster- sowie als Künstlerge­schichte. Beide Lesarten sind trotz eines beträchtli­chen Spannungsb­ogens nicht vollkommen befriedige­nd. Zumal Murakamis berüchtigt­e Sexszenen („Ich konnte es kaum glauben, aber ihre Orgasmen waren ohne Zweifel echt“) und missratene Kalauer („Es ist vertrackt ohne Trakt“, sagt ein Geist, der nicht essen mag) schnell einmal an den Nerven zerren.

Effekte des Unheimlich­en

Murakami schafft es zwar, eine etwas zu plakativ geratene Atmosphäre des Unheilvoll­en heraufzube­schwören. Die intendiert­e Verknüpfun­g der Anderswelt, in der Naturgeset­ze nicht gelten, mit den magischen Momenten, in denen in der Kunst jenes schwer zu beschreibe­nde „Etwas“geschieht, will allerdings trotz starker Passagen über Literatur, Musik und Malerei nicht recht gelingen. „Wichtig war, dass ich (...) auf die Kraft der Linien und der durch sie begrenzten Zwischenrä­ume vertraute“, sinniert der Maler-Erzähler. Auch sein Schöpfer hätte mehr auf die Kraft des Ungesagten und der Leerstelle vertrauen sollen. Der zweite Teil des Romans erscheint am 16. April.

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Ohne Hoffnung und ohne Verzweiflu­ng schreiben: Der 2016 mit dem H.-C.-Andersen-Preis ausgezeich­nete Haruki Murakami vor Andersens Geburtshau­s.

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