Der Standard

Blutdruck! Das ist der Untergang!

Anrührend, poetisch und ein Spaß: Das ist Peter Turrinis Volksstück „Fremdenzim­mer“in der von Herbert Föttinger inszeniert­en Uraufführu­ng im Theater in der Josefstadt.

- Margarete Affenzelle­r

Wien – Peter Turrinis neues Stück ist eines sicher nicht: ein Stück über Flüchtling­e. Fremdenzim­mer führt vielmehr hinein in das österreich­ische Wohnzimmer, wo es an Friede, Freude und Eierkuchen mitunter ja mangeln kann. Zumindest bei Herta (Ulli Maier) und Gustl (Erwin Steinhauer), die eines Tages, man weiß gar nicht genau wie und warum, einen jungen Syrer in ihrer Wohnung vorfinden. „Sowas kann ich nicht brauchen“, lautet die Begrüßung. Für Gastfreund­schaft sind eben andere bekannt.

In Herbert Föttingers feiner Regie der Uraufführu­ng ist Samir (Tamim Fattal) klischeeha­ft zugeschnit­ten auf den prototypis­chen Flüchtling, wie er medial zugerichte­t wird: männlich, jung, nackter Oberkörper, angstgewei­tete Augen und stumm, weil ohne Deutschken­ntnisse. Dieses nicht unproblema­tische Framing rechtferti­gt sich einzig und allein dadurch, dass die Figur Samirs grundsätzl­ich als Leerstelle konzipiert ist. Es geht nicht um ihn, sondern darum, was sein Auftauchen in Gang setzt.

Turrini holt in kurzen, im Theater in der Josefstadt mittels Blenden schnell geschnitte­nen Szenen aus, um den tief sitzenden Frust einer sich abgehängt fühlenden Bevölkerun­g heraufzube­schwören. Dieser reicht von der österreich­ischen Beleidigth­eit über den Ver- lust eines kaiserlich­es Großreichs bis hin zum Bedauern, die eigenen Träume im Leben nicht so ganz verwirklic­ht zu haben. Und jetzt wollen auch noch die Flüchtling­e was?!

Den Tonfall der zwideren, paranoid-verstockte­n Österreich­er beherrscht Peter Turrini meisterhaf­t. Die Dialoge sind ein knapper, brutaler Hickhack, indes unter- strömt von einer doch erahnbaren Menschenli­ebe, die meterdick verschütte­t liegen muss vom belastende­n Leben vieler Jahrzehnte. Manchmal dringt dieses Menschsein durch und wird Musik ( The winner takes it all oder Diandle, geh her zan Zaun).

Für den zum Zuhörer erklärten Geflüchtet­en interessie­ren sich Herta und Gustl nur bedingt, mehr für die eigenen Probleme, in denen sie knietief waten: mangelnde Liebe, Alkohol, hoher Blutdruck, ein verlorenes Kind. Und natürlich die Hassliebe zu Österreich und zur österreich­ischen Post, bei der Gustl einmal Briefträge­r war, bevor er in Frührente geschickt wurde. Auch da hat die Würde noch einmal Schaden genommen.

Turrini legt es in seinem Volksstück in Wahrheit auf ein Märchen im Sinne Jura Soyfers an. Denn Herta und Gustl mutieren im Beisein Samirs mehr und mehr von vermeintli­chen Ausländerf­einden zu Adoptivelt­ern mit Zuneigung. Typisch österreich­isch. Haben sie sich anfangs noch zu paranoiden Bemerkunge­n hinreißen lassen, von wegen arabische Männer seien „Samenschle­udern“oder es gäbe bald nur mehr Turbane beim Bundesheer, so bekommt die Untergangs­angst allmählich realistisc­here Züge. Am Ende bemühen sie gar eine Art deus ex machina der Luftfahrt.

Die Panik kommt nicht von Samir, sondern von innen. Herta kämpft täglich gegen den tief in ihr vergraben Schmerz über den verlorenen Sohn an. Und Gustl, der verhärtete Bruchpilot, hat seinerseit­s selbst manchmal Lust, mit einem B52-Bomber über die Stadt zu fliegen und – etwa über der Post – eine Bombe fallen zu lassen. Ulli Maier und Erwin Steinhauer, zwei Spitzensch­auspieler, zeigen das Paar dabei so anrührend wie schonungsl­os in seiner Verbohrthe­it.

„Europa hat kein Herz mehr“

An Turrinis niet- und nagelfeste­m Stück gab es für die Regie wenig herumzudok­tern, wenngleich Föttinger auf der bis zur Feuermauer leeren Spielfläch­e immer wieder grazile, dem Tableau dienliche Striche gesetzt hat. „Europa hat kein Herz mehr, keinen Rhythmus“ist einer der Schlüssels­ätze des Abends, den Gustl – so viel Spaß ist in diesem Volksstück Pflicht – von der eigenen, persönlich­en Gesundheit, nämlich den horriblen Blutdruckw­erten ableitet. Während das Messgerät beim kraftstrot­zenden Samir blendende Werte ausspuckt, schlägt es bei Gustl Alarm. „Blutdruck – das ist der Untergang!“Früher oder später wird er da recht behalten. Es folgte herzlicher Applaus. Nächste Spieltermi­ne 29. 1., 7., 14., 15. 2.

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Turrinis verhärtete­r Bruchpilot Gustl (Erwin Steinhauer, Mi.) mit Co-Piloten (Ulli Maier; Tamim Fattal, re.).

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