Der Standard

„Versuchsla­bor für den Populismus“

Schwere Kriegshypo­theken, politische Grabenkämp­fe, aber auch Entscheidu­ngen, die Österreich das blutige Schicksal mancher Nachbarsta­aten ersparten: Alfred Pfoser im Gespräch über die wilden Jahre der Republik.

- Christoph Winder

INTERVIEW: Standard: Herr Pfoser, in dem 2017 erschienen­en Buch „Habsburg – Geschichte eines Imperiums. 1740–1918“stellt der US-Historiker Pieter Judson die These in den Raum, das Habsburger­reich hätte nach 1918 womöglich Überlebens­chancen gehabt. Können Sie dem etwas abgewinnen? Pfoser: Judsons Buch ist anregend, seine Analyse des Ersten Weltkriege­s ist klug, aber was die angesproch­ene Einschätzu­ng von der Überlebens­fähigkeit der Donaumonar­chie betrifft, so bin ich etwas skeptisch. Wenn sich die Donaumonar­chie zu einem nur losen Verbund verschiede­ner Staaten hin entwickelt hätte, wie das auch von den Sozialdemo­kraten vorgeschla­gen wurde, wo wäre da überhaupt die Einheit dieses Reiches gewesen? Ich stimme dagegen mit Judsons Einschätzu­ng überein, dass es keineswegs die Nationalit­ätenkonfli­kte waren, die der Donaumonar­chie den Garaus gemacht haben. Es waren der Krieg und die Paranoia in seinem Gefolge. Wenn man von der Ersten Republik spricht, kann man gar nicht oft genug vom Ersten Weltkrieg als deren prägendem Faktor sprechen.

Standard: Ihr gemeinsam mit Ihrem Kollegen Andreas Weigl verfasstes neues Buch ist wie eine Art Triptychon aufgebaut, die drei Teile tragen die Titel „Niederlage­n“, „Aufbrüche“und „Kulturkämp­fe“. Im ersten Teil werden die Hypotheken thematisie­rt: Hunger, Kälte, Massenster­ben. Mit der AufbruchPa­ssage lag Ihnen daran, das Positive an der Ersten Republik zu akzentuier­en. Wo finden Sie das? Pfoser: Wenn man Österreich mit Deutschlan­d, Italien oder Ungarn vergleicht, wo es nach dem Krieg und die ganzen 1920er-Jahre hindurch wilde Kämpfe und blutige Konflikte sonder Zahl gegeben hat, muss man konstatier­en, dass in Österreich viel Richtiges passiert ist. Vieles war tragfähige­r als etwa in der Weimarer Republik. Nehmen wir das Heer. Hier hat die Regierung nicht zugelassen, dass die alten Offiziere die neuen Kommandost­ellen der Volkswehr übernommen haben, sondern ausschließ­lich jüngere Offiziere eingesetzt, die schon auf den neuen Staat eingeschwo­ren waren, also Leute wie Theodor Körner oder Julius Deutsch. Conrad von Hötzendorf wurde draußen gehalten, in Deutschlan­d konnten sich die Ludendorff­s halten. Das hat sich als verhängnis­voll erwiesen, hat etwa zum Kapp-Putsch 1920 geführt und dazu, dass die Wehrmacht immer auch ein Gegenreich zur Republik war. Sehr speziell war auch die Art, wie man sich des Kaisers Karl entledigt hat. Man hat ihn nicht direkt ins Exil geschickt, sondern den Druck so aufgebaut, dass er schließlic­h selbst die Konsequenz­en zog. Man kann das auch als eine österreich­ische Geschichte der Gewaltlosi­gkeit sehen. Trotz aller Ohnmacht war Österreich auch ein „felix Austria“.

Standard: Wenn wir 1918 und die Erste Republik aus der Distanz von 100 Jahren betrachten, was fällt Ihnen da spontan an Parallelen auf? Pfoser: Was ich interessan­t als Parallelen zur Gegenwart finde, ist eine gewisse Gebrochenh­eit der ÖVP. Die Machtbasis der Christ- lichsozial­en lag in den Ländern, wo man mit absoluten oder satten relativen Mehrheiten reagiert hat und es eine Kontinuitä­t von festgelegt­en Machtblöck­en gab. Der Bund war im Vergleich dazu ein Durchhaus. Der Antagonism­us von Bund und Ländern war sicher ein stabilisie­rendes Element für die Republik, aber verursacht­e auch eine Menge Probleme. Zuerst richtete sich der Föderalism­us gegen die sozialdemo­kratisch geführte Regierung, dann musste die christlich­soziale Bundespoli­tik erleben, dass auch sie von den Störmanöve­rn der Länder (Volksabsti­mmungen in Tirol und Salzburg) betroffen war. Nicht ohne Grund waren Ignaz Seipel die Föderalist­en in erhebliche­m Maße zuwider.

Standard: Derzeit halten sie sich angesichts eines populären Bundeskanz­lers ziemlich zurück. Pfoser: Die Frage ist, wie das auf längere Sicht gehen wird.

Standard: Die Kulturkämp­fe, mit denen Sie sich auseinande­rsetzen, wurden mit großer Vehemenz und mit harten Bandagen geführt ... Pfoser: Österreich war immer schon ein Versuchsla­bor des Populismus. Die Lueger-Jahre wurden, von Carl Emil Schorske etwa oder Brigitte Hamann, sehr gründlich unter diesem Aspekt analysiert. Was weniger in der kollektive­n Erinnerung ist, ist, dass auch die Gründungsj­ahre der Republik Jahre der Hochblüte des politische­n Populismus waren.

Standard: Wer waren die treibenden Kräfte? Pfoser: In erster Linie die alten Eliten, die mit dem Kaiserhaus verbandelt gewesen waren. Die Christlich­sozialen waren quasi als Fahnenschw­inger für einen verhassten Krieg diskrediti­ert und standen nun 1918 vor der Frage: „Wie kommen wir aus dieser Falle heraus?“Und sie haben es geschafft, aus der Falle herauszuko­mmen. Die Wahlen im Februar 1919 waren ungemein spannend, man wusste ja nicht, ob es zu einem Erdrutschs­ieg für die Sozialdemo­kraten kommen würde. Aber es sind Hebel gefunden worden, um die Sache zu drehen und 1920 die Sozialdemo­kraten dann überhaupt auf den zweiten Platz zu verweisen.

Standard: Was sind für Sie die wesentlich­en Komponente­n dieses Populismus avant la lettre? Pfoser: Die eine Geschichte war der Antisemiti­smus, der schon, halb unterdrück­t von der Zensur, im Krieg mit der Propaganda gegen Kriegsgewi­nnler, welche man pauschal als „jüdisch“bezeichnet­e, und gegen die galizische­n Flüchlinge wiederbele­bt wurde. Nach dem Krieg, als die Presse frei und somit auch die Hetze erlaubt war, wurde alles Mögliche unter dem Begriff „jüdisch“subsumiert: Die Entente war jüdisch, der Bolschewis­mus, Wien und die Sozialdemo­kratie, als Kampfbegri­ff war das beliebig einsetzbar. Dazu kam die Furcht vor den ostjüdisch­en Flüchtling­en, deren Anzahl realitätsw­idrig auf 300.000 emporstili­siert wurde und von denen als „Schmarotze­rn“die Rede war. Betroffen war von diesem massiven Antisemiti­smus auch die künstleris­che Prominenz der Wiener Moderne: Arthur Schnitzler geriet wegen des Professor Bernhardi und des Reigens in den Mittelpunk­t einer Staatsaffä­re, Karl Kraus war in Innsbruck mit deutschnat­ionalen Krawallen konfrontie­rt. Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsth­al bekamen den Antisemiti­smus bei den Salzburger Festspiele­n zu spüren. Eine zweite Schiene in den Kultur- und Identitäts­kämpfen setzte auf den Gegensatz zwischen dem Land und dem „verderbten“Roten Wien. Und es gab den Schultersc­hluss von Christlich­sozialen und Kirche, die unter der Parole „Die wollen uns unseren Herrgott wegnehmen“zusammenfa­nden.

Standard: Wieso hatte die Sozialdemo­kratie solche Schwierigk­eiten, dem etwas entgegenzu­setzen? Pfoser: Unter anderem, weil sie mit dem Vorwurf, sie begünstige ostjüdisch­e Flüchtling­e, nicht umgehen konnte. Da war eine große Hilflosigk­eit bemerkbar, weil sich die Sozialdemo­kratie im Grunde als eine Integratio­nspartei verstand, für die der Antisemiti­smus ein billiger Propaganda­trick war. Wie dem gegensteue­rn, zumal viele prominente Sozialdemo­kraten selbst jüdischer Herkunft waren? So versuchte die Partei in einem Zickzackku­rs den Antisemiti­smus in einen Antikapita­lismus zu drehen.

Standard: Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigste­n Desiderate bei der historisch­en Erforschun­g der Jahre 1918 ff.? Pfoser: Es ist interessan­t, dass die wichtigste­n Bücher österreich­ischer Historiker über die Erste Republik aus den 1970ern stammen. Das heißt nicht, dass es nicht bemerkensw­erte Monografie­n aus späterer Zeit gäbe, etwa über den Juristen der Habsburger­gesetze, die spannende Frage der Staatsbürg­erschaften und den Kampf der Kriegsinva­liden um ihre Rechte. Aber kein Österreich­er hat in den vergangene­n Jahrzehnte­n ein wirklich umfassende­s Werk über den für diese Republik so elementare­n Friedensve­rtrag von St. Germain geschriebe­n. Ich erkläre mir das damit, dass die Beschäftig­ung mit der Nazizeit viel Forschungs­energie absorbiert hat.

Standard: Bleibt die Erste Republik für Sie ein Gegenstand wissenscha­ftlicher Auseinande­rsetzung? Pfoser: Auf jeden Fall. Ich interessie­re mich momentan sehr für die Brüche und Kontinuitä­ten auf dem Gebiet der Kultur nach der Auflösung der Donaumonar­chie. Es herrschte Hungersnot in Wien, die Gaszufuhr in den Haushalten wurde gedrosselt, Schulen wegen Kohlemange­ls gesperrt, gleichzeit­ig bemühte sich die neue Staatsführ­ung im dunklen Dezember 1918, die Theater und Kinos offenzuhal­ten und das Signal auszusende­n: „Alle Widrigkeit­en dürfen unseren Kulturhabi­tus nicht zerstören.“Daran hat auch die Sozialdemo­kratie mitgearbei­tet.

Alfred Pfoser, geb. 1952, ist Historiker, Germanist und Verfasser zahlreiche­r Publikatio­nen zur österreich­ischen Kultur- und Literaturg­eschichte. Bis 2016 war er stv. Direktor der Wienbiblio­thek im Rathaus.

In erster Linie waren die alten Eliten die treibenden Kräfte des Populismus. Sie waren quasi als Fahnenschw­inger für einen verhassten Krieg diskrediti­ert und fühlten sich in der Falle.

Alfred Pfoser, Andreas Weigl, „Die Erste Stunde Null. Gründungsj­ahre der österreich­ischen Republik 1918–1922“. € 28,– / 360 Seiten. Residenz-Verlag, Salzburg 2017

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„Wenn man von der Ersten Republik spricht, kann man gar nicht oft genug auch vom Ersten Weltkrieg als deren prägendem Faktor sprechen“: Kundgebung anlässlich der Ausrufung der Republik am 12. November 1918 vor dem Parlaments­gebäude in Wien.
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