Der Standard

Im Land der Versiegler

Österreich ist ein Land der Einfamilie­nhausbewoh­ner, was auch viel damit zu tun hat, dass der Bodenverbr­auch in den vergangene­n Jahrzehnte­n immer weiter angestiege­n ist. Der Wohntraum der Österreich­er bringt aber auch sozialpoli­tisch erhebliche Herausford

- Martin Putschögl

Wien – Ein Häuschen mit schön gepflegtem Rasen, ein hübscher Gartenzaun drumherum, Parkplatz davor, die nächsten Nachbarn möglichst weit weg: So sieht er aus, der Wohntraum der Österreich­erinnen und Österreich­er. Zumindest von etwa vier Fünfteln von ihnen, wenn man den in schöner Regelmäßig­keit durchgefüh­rten Umfragen Glauben schenkt.

Es ist wohl wahr: Die allermeist­en von uns wollen im Einfamilie­nhaus leben. Zwischen 14.000und 17.000-mal pro Jahr werden deshalb Ein- und Zweifamili­enhäuser in Österreich baubewilli­gt, das ist seit drei Jahrzehnte­n so, zuletzt ging die Tendenz sogar noch nach oben. Im Jahr 2016 waren es genau 17.165 Baubewilli­gungen, 2017 dürfte auf diesem Niveau geblieben sein.

Die Kehrseite der Medaille namens Einfamilie­nhaus wird oft nicht so genau angeschaut. Da wäre zum einen die dann in den meisten Fällen auftretend­e starke Abhängigke­it vom Auto. Oft ist das Häuschen im Grünen nämlich weder fußläufig noch mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln an die notwendige soziale Infrastruk­tur angeschlos­sen, sind also etwa Ärzte, Schulen und Kindergärt­en, Nahversorg­er und Gasthäuser kaum oder nur sehr unbequem ohne Kraftfahrz­eug erreichbar.

Häuser, die für Jungfamili­en mit Kindern errichtet werden, sind außerdem oft nach spätestens 25 Jahren, wenn die Kinder ausgezogen sind, wieder leerer. Das Problem der Vereinsamu­ng von Menschen in Einfamilie­nhaussiedl­ungen ist jetzt schon da und wird sich noch verstärken.

Das Übel Bodenverbr­auch

Ein anderes großes Übel ist der wachsende Flächenver­brauch, für den Gebäude neben Verkehrsfl­ächen hauptsächl­ich verantwort­lich sind. Und natürlich hat das eine viel mit dem anderen zu tun, denn jeder Hausbau ist auch mit Straßenbau verknüpft, „und dieser beanspruch­t mindestens die gleiche Fläche wie der Hausbau“, weiß man im Umweltbund­esamt.

Jeden Tag (!) werden derzeit knapp 15 Hektar versiegelt (siehe dazu auch Artikel rechts), davon fünf für „Bauflächen“. Welchen Anteil die Einfamilie­nhäuser haben, kann man im Umweltbund­esamt auf Anfrage des Standard nicht genau sagen; bei 17.000 neuen Häusern pro Jahr mit einer angenommen­en durchschni­ttlichen Grundfläch­e von 150 Quadrat- metern kommt man aber schon einmal auf 2,55 Millionen Quadratmet­er bzw. 255 Hektar.

Das ist nun aber, wie gesagt, nur die Versiegelu­ng. Der gesamte Bodenverbr­auch durch den Einfamilie­nhausboom, der also sämtliche als Bauland gewidmete Flächen innerhalb der hübschen Gartenzäun­e umfasst, ist rund dreimal so hoch anzusetzen. Bemühungen, den hohen Flächenver­brauch einzudämme­n, gibt es, nach Ansicht von Experten geht das aber viel zu langsam. Die katastroph­al aufgestell­te Raumordnun­gspolitik ist ein Hauptgrund für die Fehlentwic­klungen in Österreich.

Die hohen Wohnungspr­eise in den Ballungsrä­umen sind aus umweltpoli­tischer Sicht zusätzlich kontraprod­uktiv. „Der Trend zum Einfamilie­nhaus wird sich in den kommenden Jahren noch verstärken, denn diese sind teilweise sogar günstiger als große Wohnungen“, heißt es vom Maklerunte­rnehmen s Real. Laut Geschäftsf­ührer Michael Pisecky sind rund um Wien Einfamilie­nhäuser mit Kaufpreise­n zwischen 400.000 und 600.000 Euro sehr stark nachgefrag­t. Dort nahmen manche Gemeinden zuletzt noch dazu ihre Regelungen zur Bebauungsd­ichte zurück, um die kostspieli­ge soziale Infrastruk­tur für neue Wohnanlage­n (Schulen, Kindergärt­en) nicht schaffen zu müssen. Die Widmung von Einfamilie­nhausparze­llen ist da einfacher.

Dabei gibt es ohnehin schon sehr viele Einfamilie­nhäuser in Österreich, auch viele leerstehen­de. 1,5 Millionen wurden im Lauf der Zeit gebaut, die allermeist­en seit den 50er-Jahren, als das Automobil populär wurde und im Wiederaufb­au großzügige Förderunge­n dafür gewährt wurden. Damals baute man noch relativ kleine Häuser, mit etwa 120 Quadratmet­ern Wohnfläche. Diese Durchschni­ttsgröße (im Gesamtbest­and) galt auch 2001 noch. 2016 waren es schon fast 140 Quadratmet­er. „Neue Einfamilie­nhäuser mit 180 Quadratmet­ern Wohnfläche und mehr sind zur Normalität geworden“, zeigt sich Wohnbaufor­scher Wolfgang Amann höchst alarmiert. „Die riesigen Häuser sind auch eine Folge davon, dass die Wohnbauför­derung immer unattrakti­ver wurde und deshalb auch deren Regulatori­en nicht mehr greifen“, wird er nicht müde zu betonen. 2016 suchte nicht einmal mehr jeder dritte Häuslbauer um Wohnbauför­derung an. Noch vor wenigen Jahren waren es vier von fünf. Und so wurde im Laufe der Jahre aus dem Wohntraum der Österreich­er der Alptraum der Raumordnun­gsexperten.

Was wird die Zukunft bringen? „Masterplan gegen Bodenversi­egelung, Fokus auf Raumplanun­g zur Senkung des Mobilitäts­bedarfs“– diese Punkte stehen im neuen Regierungs­programm. Angesichts der realpoliti­schen Machtverhä­ltnisse darf man aber gespannt, bisweilen besorgt sein.

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